Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
654 Vereine und Versammlungen 
  
lösung eines V. ist bekannt zu machen, nicht auch 
die zugunsten des V. erfolgte Entscheidung. 
Besondere Bestimmungen gelten für politische 
Vereine (oben 5 2B). Sie müssen durch ihren Vor- 
stand die Satzung sowie das Verzeichnis der Mit- 
lieder des Vorstandes der zuständigen PolBe- 
örde einreichen, jede Aenderung in der Zusam- 
mensetzung des Vorstandes und jede Satzungs- 
änderung der PolBehörde, unter Meidung von 
Strafen binnen zwei Wochen mitteilen (## 3, 
18 RV). Es müssen alle Veranstaltungen zur 
Belehrung jugendlicher Personen unter 18 Jah- 
ren bei Meidung von Strafen für die jugendlichen 
Teilnehmer und die Vorstandsmitglieder unter- 
lassen werden. Jugendliche Personen unter 18 
Jahren dürfen nicht mehr als Mitglieder ge- 
duldet werden (§§ 17, 18). Ebensowenig dürfen 
aktive Militärpersonen (#) Mitglieder sein (RMG 
v. 2. 5. 74 § 40 Abs 2). Ungehorsam gegen diesen 
Befehl wird mit Arrest und, wenn durch den Un- 
ehorsam die Gefahr eines erheblichen Nachteils 
herbeigefuhrt oder ein erheblicher Nachteil ver- 
ursacht wird, mit strengem Arrest, Gefängnis 
"ors Festungshaft bestraft (MStGB v. 20. 6. 72 
2, 93). 
#s# 6. Das Recht der Versammlung nach dem 
Reichsvereinsgesetz im einzelnen. 
Zur Veranstaltung einer öffentlichen 
Vers. in der politische Angelegen- 
heiten erörtert werden sollen, bedarf es einer 
Anzeige bei der PolBehörde mindestens 24 
Stunden vor dem Beginne der Vers. unter An- 
abe des Ortes und der Zeit. Oeffentlich ist eine 
Gerl. die nicht an einem der Allgemeinheit ver- 
schlossenen Orte stattfindet und zu welcher nach 
der Art der Zusammenberufung (öffentliche oder 
allgemeine Einladungen) nicht nur ein individuell 
begrenzter Personenkreis (insbesondere die Mit- 
glieder des V.) Zutritt haben sollen oder haben, 
sondern jedermann oder doch eine unbestimmte 
Menschenmenge; wenn also die Teilnahme einer 
nach Zahl, Art und Individualität unbestimmten 
Mehrheit von Personen zusteht. Der Ausschluß 
einzelner Persönlichkeiten oder Kategorien von 
Personen, die Aufstellung von gewissen Bedin- 
gungen, z. B. Eintrittsgeld, Lösung einer Ein- 
trittskarte, Einführung durch einen anderen, Zu- 
gehörigkeit zu einer gewissen Partei oder Ge- 
werkschaft schließt den Begriff der Oeffentlichkeit 
nicht aus, solange die Versammlung dadurch nicht 
den Charakter einer abgeschlossenen, individuell 
ausgewählten, durch besondere wechselseitige Be- 
ziehungen miteinander verbundenen annimmt 
(oben & 1 III). Unter Umständen können auch 
V. Vers. öffentlich sein, wenn nach der Satzung 
jedermann durch Zutritt zur Vers. unter Er- 
legung eines geringen Eintrittsgeldes die Mit- 
gliedschaft erwirbt. Eine politische Vers. muß 
öffentlich sein und zur Erörterung politischer 
Angelegenheiten veranstaltet werden. 
Einer Anzeige bedarf es nicht für Vers., 
die öffen tlich bekannt gemacht wor- 
den sind und nicht für die Vers. der Wahl- 
berechtigten zum Betriebe der Wahlen 
zu den auf Gesetz oder Anordnung von Be- 
hörden beruhenden öffentlichen Körperschaften 
und nicht für sogenannte sozialpoliti- 
sche Vers., d. h. solche der Gewerbetreiben- 
den, gewerblichen Gehilfen, Gesellen, Fabrik- 
  
arbeiter, Besitzer und Arbeiter von Bergwerken, 
Salinen, Aufbereitungsanstalten und unterirdisch 
betriebenen Brüchen und Gruben, zur Erörterung 
von Verabredungen und Vereinigungen, zum 
Behufe der Erlangung günstcer Lohn- und Ar- 
beitsbedingungen, insbesondere mittels Einstel- 
lung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, 
also Vers. zur Erörterung der in §5 152 GewDO 
genannten Koalitionen (VU(55. 5, 6 RV0). 
Die öffentlichen Vers. unter freiem 
Himmel werden strenger behandelt. Sie be- 
dürfen der Genehmigung der PolBehörde, 
die von dem Veranstalter mindestens 24 Stun- 
den vor dem Beginn der Vers. unter Angabe 
des Ortes und der Zeit nachzusuchen ist. Sie ist 
schriftlich zu erteilen und darf nur versagt 
werden, wenn aus der Abhaltung der Vers. Ge- 
fahr für die öffentliche Sicherheit zu befürchten 
ist. Im Falle der Verweigerung ist dem Veran- 
stalter sofort ein kostenfreier Bescheid unter Angabe 
der Gründe zu erteilen. Derselben rechtlichen Ord- 
nung unterstehen die Aufzüge auf öffentlichen 
Straßen oder Plätzen, d. h. wenn eine mit einer 
bestimmten Absicht vereinigte Menschenmenge in 
einer die öffentliche Aufmerksamkeit erregenden 
Weise sich in der Oeffentlichkeit bewegt. Nicht 
wesentlich ist es nach geltendem Recht, daß die 
Massenbewegung die öffentliche Ordnung, ins- 
besondere den Verkehr zu gefährden geeignet 
sein muß. Die Zurücknahme der erteilten Geneh- 
migung kann erfolgen, wenn die Polizei nachträg- 
lich Tatsachen erfährt, die eine Verweigerung der 
Genehmigung gerechtfertigt hätten. Rechts- 
mittel gegen die Versagung der Genehmi- 
gung sind nach dem RVG nicht gegeben. Maß- 
gebend sind deshalb die landesrechtlichen Be- 
stimmungen über die Anfechtung von polizei- 
lichen Verfügungen [NI. Werden öffentliche Vers. 
unter freiem Himmel und Aufzüge auf öffent- 
lichen Straßen oder Plätzen abgehalten ohne die 
vorgeschriebene polizeiliche Genehmigung, so 
können sie aufgelöst (unten #& 7 III) werden 
(( 14 Ziff. 2), und die Veranstalter und Leiter 
solcher Versammlungen und Aufszüge sind straf- 
bar (§§8 18 Ziff. 2, 19 Ziff. 1 RV). Eine be- 
sondere gesetzliche Bestimmung erklärt eine Ver- 
sammlung, die in einem geschlossenen Raume 
veranstaltet wird, nicht schon deshalb als Vers. 
unter freiem Himmel, weil außerhalb des Verfs.= 
Raumes befindliche Personen an der Erörterung 
teilnehmen oder weil die Vers. in einen mit dem 
Vers. Raume zusammenhängenden umfriedigten 
Hof oder Garten verlegt wird (5# 7, 8 R). 
An Stelle der Genehmigungspflicht kann 
nach Bestimmung der Landeszentralbehörde für 
Vers. unter freiem Himmel und Aufzüge eine 
Anzeige oder öffentliche Bekanntmachung ge- 
nügen. 
Weitere Erleichterungen sind bestimmt: 
a) für Aufzüge, soweit sie gewöhnliche Lei- 
chenbegängnisse sind, d. h. der Zweck 
der Leichenbestattung in dem Rahmen des durch- 
schnittlich üblichen verfolgt wird; eine Gefährdung 
der gesetzlichen Freiheit und Ordnung muß aus- 
geschlossen sein. Ungewöhnlich ist ein Leichen- 
begängnis, wenn mit ihm eine politische Demon- 
stration verbunden ist (KG 17, 427); Trauer- 
versammlungen am Grabe stehen den 
Leichenbegängnissen gleich (86, DJZ 1900, 506). 
 
	        
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