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Verwaltung, Verwaltungsrecht
besonderen Rechtsart ausgewirkt (s. unten
5 13 II); man hat sich vielmehr für sie der allge-
meinen Rechtskategorien (Vertrag, Teilbar-
keitsbeschränkungen, Liegenschaftsverkehr, Erbrecht,
Gemeinschaftsverhältnisse mit pflichtbedingten
Rechten und rechtbedingten Pflichten usw.) be-
dient, und ist so nicht zur Ausbildung eines beson-
deren öffentlichen Rechts als eines Systems
eigener herrschaftlicher Rechtsbegriffe und institute
gelangt. Ebensowenig haben die Rechtsverhällnisse
des Sachen-, Familien-, Erb-, ja Schuldrechts in
den rein individual- und koordinationsrechtlichen
Kategorien einer besonderen Rechtsart ihre Aus-
prägung erfahren, sondern es sind für sie auch
herrschaftliche Rechtsformen verwendet worden,
die ebenso wie Vertrag, Erbrecht usw. eben Be-
griffe eines einartigen Rechtes waren. Das Ge-
fühl für die Besonderheit der staatlichen Gewalten
gegenüber den privaten ist im Laufe des Mittel-
alters verschieden stark entwickelt gewesen; aber
die historischen Verschiebungen, die dies im Ge-
folge hatte, haben sich in den Rechtsformen
eines einartigen Rechtes, nicht in Verschiebungen
zwischen zwei Rechtsarten vollzogen.
Ganz kann die historische Tatsache des
Staates und das Gefühl für ein „politisches Ge-
samtrecht“ (v. Gierke) nie gefehlt haben; aber es
hat stets gefehlt der Rechtsbegriff des Staates
als der eines besonderen herrschaftlichen Rechts-
subjektes. Der Staat konnte überhaupt nur ent-
weder als objektive Ordnung oder, wenn von
der subjektiven Seite, bald durch die Nennung
des Herren, bald durch die der Gesamtheit, bald
durch die formelhafte Nebeneinanderstellung bei-
der (rex und regnum, Kaiser und Reich) gefaßt
werden (vgl. Smend, Zur Geschichte der Formel
Kaiser und Reich usw. in den Historischen Auf-
sätzen Zeumer gewidmet S. 2).
II. Eben sowenig ist die öffent-
liche Gewalt nach der Richtung
der Rechtsetzung, Rechtsprechung
und Verwaltung begrifflich oder
organisatorisch differenziert. Recht-
setzung und Rechtsprechung liegen ungeson-
dert in dem Begriffe der Rechtsfindung, des Weis-
tums. Recht und Gericht sind (sprachlich noch
heute vielfach: Rechtsweg, rechtliches Gehör, von
Rechts wegen, wohl auch Rechtsverordnung)
identische Begriffe. Nur im Königs gericht kann
der König sein auf der Banngewalt ruhendes
Amtsrecht durchsetzen. Soweit eine polizeiliche
Tätigkeit stattfindet, erfolgt sie durch die Gerichte
und in den Formen des Strafverfahrens. Das
Richteramt ist der Kern der öffentlichen Gewalt,
und zugleich der Keim, aus dem die nichtrichter-
lichen Tätigkeiten erwuchsen. Der deutsche Reichs-
tag wie das englische Parlament verfuhren zu-
nächst in richterlichen Formen; der englische Ge-
setzesbegriff ist aus richterlichen Begriffen erwach-
sen. Noch im 18. Jahrhundert ist jurisdietio der
Ausdruck für die obrigkeitliche Gewalt (v. Gierke,
Genossenschaftsrecht, 4, 209 ff) und noch heute
sprechen wir von der hierarchia iurisdictionis
im Kirchenrecht sowie von Jurisdiktionskonsuln
und -gewässern.
Wo sich eine Funktionenteilung zwischen
König, Fürst, Beamten und Landsgemeinde,
Schöffen, curia findet, handelt es sich um eine
Mitwirkung dieser Faktoren bei demselben Akt,
um keine Gewaltenteilung: sie ruht auf dem
Dualismus von Herrschaft und Genossenschaft,
von Amtsrecht und Volksrecht, der seine „Auf-
hebung" in dem beide nur als „Elemente“ ent-
haltenden, zunächst unfaßbaren, Begriff der
Staatspersönlichkeit noch nicht gefunden hat. —
Andere Differenzierungen der öffentlichen Gewalt
ruhen auf der Gliederung des mittelalterlichen
Rechtslebens in einzelne sachliche und personelle-
Kreise: aber innerhalb jedes dieser Rechtskreise
bleibt die organisatorische und begriffliche In-
differenziertheit der öffentlichen Gewalt bestehen,
indem sie überall, mag es sich um städtisch-kom-
munale, genossenschaftliche, regale, vogteiliche,
grundherrliche, lehnrechtliche Gewalt oder um
unter einen besonderen Schutz genommene Sachen
oder Personen handeln, sowohl rechtsetzend wie
rechtsprechend und verwaltend tätig wird.
Neben den Werken über deutsche Rechtsgeschichte ins-
besondere v. Gierke, Genossenschaftsrecht Bd. 1 u. II
passim, insbesondere ### 7, 16, 17, 20; v. Below, Der
deutsche Staat des Mittelalters, Bd. I, 1914; sowie in der
Internationalen Monatsschrift für Wissensch., Kunst und
Technik 8, 22 Loening, Abhandlungen und Auf-
sätze, Bd. I. Gerichte und VerwBehörden in Brandenburg-
Preußen S1'; Ernst Meier, Ueber das Verhältnis.
von Justiz und Verw in England, 8 f. deutsch. St R. 15
(1867), 276 f Hatschek, Englische VerfGeschichte
14, 16, 17, 30; lehrreich auch die Akten zum Ha-
senproze ßb der Stadt Kiel (Mitreil. d. Gesellsch.
f. Kieler Stadtgeschichte Heft 23).
II. bie Entstehung der Vegrisse verwaltung und
Verwaltungtrecht
z 3. Der ständische Staat. Die ständische Ver-
fassung bringt zwar im Repräsentations-- und im.
Majoritätsprinzip wesentliche Fortschritte für die
Ausbildung des Staatsbegriffes von der Seite
der Gesamtheit, der Genossenschaft her, ändert
aber an der bisherigen Indifferenziertheit der
öffentlichen Gewalt nichts. Auch sie ruht ganz
in einer öffentliches und privates Recht nicht
sondernden Gedankenwelt, aus der sie sich, solange
sie bestand (teilweise bis ins 19. Jahrhundert),
nicht befreien konnte. Lehrreich in dieser Rich-
tung insbesondere noch der „Kampf ums gute
alte Recht“ in Württemberg, (über den neuestens.
List in den Beiträgen zur Parteigeschichte, heraus-
gegeben von A. Wahl, Heft 5, 1913 berichtet).
Und auch die Funktionenteilung zwischen dem
Fürsten und den Ständen beläßt einerseits dem
Fürsten eine von ständischer Mitwirkung unbe-
rührte Sphäre materieller Hoheitsrechte, in der
sich seine Gewalt indifferenziert (auch in einem
selbständigen Verordnungsrecht rechtsetzend) aus-
wirkt, und beteiligt anderseits die Stände bei
anderen materiellen Hoheitsrechten sowohl an der
Rechtsetzung wie an Verw und Rechtsprechung.
Ueber Entstehung, Bedeutung und Literatur der stän-
dischen Verfassung vgl. Spangenberg, Bom Lehn-
staat zum Ständestaat, 1913; Hatschek, Englische.
Berf Geschichte 34 13, 17.
§s 4. Der Absolutismus. Erst das Erstarken
der fürstlichen Gewalt zum Absolutismus
bringt die ersten Ansätze zu Differenzierungen:
sowohl in der Richtung, daß die Person des Mon-
archen durch den Souveränitätsbegriff — oft
unter Zuhilfenahme „göttlichen Rechtes“ — so