Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
Verwaltung, Verwaltungsrecht 
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hoch über alles andere erhoben wird, daß der in 
ihr verkörperte herrschaftliche Gedanke besondere 
Rechtsbegriffe und -institute auslöst, als auch in 
der, daß eine Sonderung in den Tätigleitsformen 
der öffentlichen Gewalt aus politischen Gründen 
angebahnt wird, indem der Fürst versucht, die 
Rechtsetzung zu monopolisieren und eine 
von der Justiz unkontrollierte und eximierte 
Verwaltungstätigkeit zu entwickeln. 
Dieser Prozeß vollzog sich naturgemäß nicht 
in einzelnen gesetzgeberischen Aktionen, sondern 
in Anknüpfung an das Bestehende und in den 
Formen des bisherigen Rechtes. 
I. Die gesteigerte VerwTätigleit der Fürsten 
fordert zunächst eine Differenzierung 
ihrer Ratskollegien (der curige regis); 
in Westeuropa früher als bei uns, wo die Ver- 
hältnisse infolge der universalistischen Tendenzen 
des Reiches, der Machtstellung der Fürsten und 
dem damit gegebenen Dualismus staatlicher Ge- 
walten sehr viel komplizierter waren. Die wach- 
senden Anforderungen der auswärtigen Politik 
(auch an römisch-rechtliche Kenntnisse), das Be- 
dürfnis nach Emanzipation vom Lehensadel durch 
Heranziehung eines gelehrten Beamtentums, die 
Errichtung und Erhaltung eines stehenden Söld- 
nerheeres, die Leitung einer territorial zusammen- 
fassenden Finanz= und Wirtschaftspolitik und die 
Sorge für eine den sich komplizierenden und doch 
Einheit fordernden Verhältnissen gewachsene 
Rechtspflege führen zu einer Abschichtung der 
curia regis vom Parlament und den Generalstän- 
den, und überhaupt von der Hofverwaltung zu einer 
wirklichen, wieder in sich differenzierten Staats- 
Verw, wodurch jedoch zunächst noch keineswegs 
die alte Einheit des Rates völlig gesprengt wird: 
alles ist zunächst mehr von behördengeschichtlicher 
und geschäftstechnischer Bedeutung, aber immer- 
hin wird so eine Scheidung der Justiz= und Finanz- 
sachen und dieser von den auswärtigen, mili- 
lanshen und kirchlichen Angelegenheiten ange- 
ahnt. 
So entstand noch keineswegs eine unabhängige 
oberste Justiz, die sich scharf und eindeutig in be- 
sonderen, von den reinen Verw Behörden ver- 
schiedenen Behörden abgeschichtet hätte. Denn es 
blieb nicht nur der Monarch selbst oberster Ge- 
richtsherr, der persönlich durch Machtsprüche in 
Rechtsstreitigkeiten eingreifen und über den ab- 
geschichteten Reichs= und Hofgerichten weitere 
Ratsabteilungen als seine persönlichen Gerichte 
ins Leben rufen konnte (z. B. der grand conseil 
de justice neben dem Parlament), sondern die Ge- 
richte waren auch noch mit wirklichen Verw Geschäf- 
ten, oft sogar auch einem eigenen Verordnungsrecht 
ausgestattet; und es bestanden endlich nebeneinan- 
der verschiedene solche Gerichtsbehörden mit sich 
schneidenden und konkurrierenden Zuständigkeiten. 
Immerhin schuf dieser behördengeschichtliche Pro- 
zeß wenigstens die tatsächliche Möglichkeit einer 
unabhängigen Rechtsprechung (namentlich in Preu- 
ßen). Diese Möglichkeit wurde insbesondere dadurch 
eröffnet, daß die Verw Behörden, die zunächst 
solche der Finanz Verw waren, zugleich die Ge- 
richtsbarkeit und Strafgewalt für die zu ihrem 
Ressort gehörigen Angelegenheiten unter Aus- 
schluß des ordentlichen Rechtsweges erhielten; und 
da die Fürsten vor allem an der Durchsetzung ihrer 
hier einschlägigen Gesetze interessiert waren, konn- 
  
ten sie den Gerichten in der ihnen verbleibenden 
Zuständigkeit weitgehend freien Lauf lassen. 
So enthielt jene Behörden- und Geschäftsdiffe- 
renzierung nicht eigentlich eine Trennung von 
Justiz und Verwaltung im Sinne der 
Gewaltenteilung als formeller Hoheits- 
rechte, sondern der Justiz= und Verwal- 
tungssachen als zweier materieller 
Hoheitsrechte: vgl. noch v. Berg, HB d. 
deutschen Pol### 1, (1802) 171 f, und Zachariä, 
Deutsches Staats- und BundesR; 2, (1867), 89f. 
— Justiz= und VerwSachen wurden von ge- 
trennten Behördenorganismen besorgt: aber jeder 
von ihnen versah rechtsprechende, verwaltende 
und zum Teil auch (in Verordnungen) recht- 
setzende Funktionen. 
Zugleich aber wurde gerade dadurch ein erstes, 
aus der einheitlichen Gesamtmasse des Rechtes 
abgesondertes, von den „Gerichten“ nicht mehr 
kontrolliertes Verwaltungsrecht geschaf- 
fen, teils auf Grund des erhalten gebliebenen 
selbständigen Verordnungsrechtes praeter legem 
(so namentlich in England), zu dessen Durchsetzung 
eben jene besonderen Behörden geschaffen wur- 
den, teils in hartem Kampfe mit den an ihren 
alten „Freiheiten“ festhaltenden ständischen In- 
stituten (Generalstände, Territorialstände, fran- 
zösische Parlamente) in Ordonanzen, Amtsinstruk- 
tionen, Reglements, Edikten usw. Soweit man 
daher bei dem verbleibenden und für das ancien 
regime überall charakteristischen Gemenge von 
Verordnungs-, Straf-, Entscheidungs-- und Verw- 
Befugnissen und konkurrierenden Gerichtsbarkeiten 
überhaupt von einer Trennung von Justiz und 
Verw sprechen kann, liegt diese nicht in der Ver- 
selbständigung einer unabhängigen Justiz gegen- 
über der abhängigen Verw, sondern umgekehrt 
in einer Emanzipation materieller Hoheitsrechte 
der fürstlichen Verw von der mit den ständischen 
Instituten vielfach eng verwachsenen Justiz. 
Auch vollziehen sich alle diese Sonderungen 
zunächst nur in der Zentral- und Mittelinstanz, 
während in der patrimonialen und kommunalen 
Lokalinstanz meist die alte Einheitlichkeit der öffent- 
lichen Gewalt bestehen blieb. In der Polizeige- 
richtsbarkeit ist das Recht der Polizei Verw und 
in gewissem Umfange auch der polizeilichen Recht- 
setzung mitenthalten (vgl. Fischer, Lehrbegriff 
sämtlicher Kameral= und Polizeirechte 2 (1785), 
S 15, 129; v. Berg, HB des deutschen Polizei- 
rechts 1 (1802), 123 f; 4 (1804), S II1 f, 142 f), 
das man hchstens unter die Bestätigung des 
Landesherrn beugen oder als von ihm delegiert 
konstruieren konnte. 
II. Im Grunde konnte der Absolutismus jene 
Ansatzpunkte zur Teilung der Gewalten auch nur 
als sekundäre Unterscheidungen ansehen, die ihre 
praktische Spitze gegen selbständige Statutar= und 
Verordnungsrechte und gegen die an sich sachlich 
unbeschränkte Zuständigkeit der Gerichte kehren 
sollten, während sein Wesen in einer Ver- 
einigung aller Gewaltern besteht, die 
er denn auch gerade auf der Einheitlichkeit und 
Indifferenziertheit der öffentlichen Gewalt in 
dem von ihm geschaffenen Behördenapparat 
aufgebaut hat. Ueber die noch heute, auch nach 
der Constitutio Sapienti consilio, durchaus ana- 
logen Verhältnisse der kurialen Organisation, vyl. 
E. Ruck, Die Organisation der römischen Kurie, 
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