Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
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Verwaltung, Verwaltungsrecht 
  
1913, 40f. Wie die für den Absolutismus so 
charakteristischen „Machtsprüche" sowohl als Ein- 
rifse der Verw in die Justiz, wie als Gesetzge- 
hungsatte, wie endlich als Aeußerungen der oberst- 
richterlichen Tätigkeit konstruiert werden können, 
so haben überhaupt alle Einteilungen der Maje- 
stätsrechte im absoluten Staat bloß klassifikatorische 
und keine begriffliche Bedeutung, die trotz aller 
Anlehnungen an die Terminologie der inzwischen 
erwachsenen konstitutionellen Theorie nie deren 
wahre Bedeutung besitzen. 
Denn es fehlt dem absoluten 
Staatsrecht vor allem ein ein- 
heitsicher und klarer Gesetzesbe- 
riff. 
s Das neu geschaffene VerwR beruhte im we- 
sentlichen auf Ordonanzen und Amtsinstruktio- 
nen und schien darum vielfach jener Zeit gar 
kein wirkliches „Recht“ zu sein. Insofern es frei- 
lich von der obersten Stelle im Staate ausging und 
die „instruierten“ Behörden mit Zwangsgewalt 
ausgerüstet waren, war es natürlich doch Recht, 
wie ja auch Privat= und Strafrecht generell oder 
speziell in der Form von Instruktionen an die 
Gerichte entstehen konnte. Gesetzgebende Gewalt 
und Dienstgewalt waren eben noch nicht geson- 
derte Begriffe, so daß die Dienst= und Aemter- 
gewalt vielfach als ein Teil oder Ausfluß der 
gesetzgebenden erschien. Auch hier zeigt sich wieder, 
wie der Absolutismus ein zur „praktischen“ Ver- 
einigung aller Gewalten drängendes System 
materieller Hoheitsrechte ist, und daß die 
von ihm gelegentlich verwendeten Begriffe formel- 
ler Hoheitsrechte nur von sekundärer Bedeutung 
sind. Ebensowenig wie er eine wirkliche Trennung 
von Justiz und Verw geschaffen hat, hat er einen 
einheitlichen Begriff des objektiven Gesetzesrech- 
tes [NU zur Geltung gebracht. Die alte Indifferen- 
ziertheit von objektivem und subjektivem Recht, 
von Rechtssatz, Rechtsgeschäft und Rechtsverhält- 
nis, von Gesetz und Verordnung, Verjährung und 
Observanz, Privileg und Dispens ist bestehen 
gHeblieben, da ihre Aufhebung keinem „praktischen“ 
edürfnis entsprang. „Wohlerworbene“ subjek- 
tive Rechte flossen aus Gesetzen, Verträgen, Ver- 
jährung, das Eigentum war ein „natürliches“ 
Recht: und der Absolutismus mußte sich begnügen 
ihnen allen gegenüber ein Notrecht oder ein 
dominium eminens aufzustellen. 
Zur Schaffung eines wirklichen VerwKechtes 
bedurfte es festerer Begriffsfundamente, wie sie 
von der konstitutionellen Theorie geschaffen und 
von der Revolution letztlich durchgesetzt sind. 
Schmoller, Ueber Behördenorganisation, Amts- 
wesen und Beamtentum, Acta Borussica Behördenorga- 
nisation Bd. I S38f, 57 f: Hintze ebenda IV, 1; Smend, 
Das Reichskammergericht 1, S 40, 46 f, 51 f, 55 f; A. 
Walther, Die burgundischen Zentralbehörden unter 
Maximilian I. und Karl V.; Rosenthal, Geschichte 
des Gerichtswesens und der Behördenorganisation in 
Bavern 1, S 417 f, 461 f, 537 f; 2, S 223 f, 255 f, 302 f, 
324f; Holtzmann, Französische Verf Geschichte S 1095f, 
207 f. 217 f, 235 f, 250 f, 319 f, 335 f, 396 f; O. Mayer, 
Theorie des französ. VerwNK 87 ; Loening, Die 
französische Verw Gerichtsbarkeit, in Hartmanns Z f. Ge- 
setzg. u. Prax. OefsR. 5, 343 ; Hatschek, Euglische 
VersfGeschichte ## 16, 18, 22, 26, 29, 31; Köllreutter,. 
Verw N u. Verwechtsprechung im modernen England 3 f. 
Sowie die Literaturangaben hinter 3 6. 
  
  
  
  
z 6. Die konstitutionelle Doktrin und ihre 
Rezeption in England und Frankreich. 
I. Entstehung und Entwicklung der konsti tu- 
tionellen Theorie kann hier nicht näher 
verfolgt werden. Jedenfalls ist ihr Ausgangs-, 
Angel- und Zielpunkt der formelle kon- 
stitutionelle Gesetzesbegriff und 
die Lehre von dem „Vorrang“" des Gesetzes, der 
supremacy of law. So sehr freilich sekundär auch 
bei ihr materielle und psychologische Gesichtspunkte 
der Teilung der Gewalten zugrunde liegen, so 
bleibt doch der Punkt, um den sich die ganze 
Lehre dreht, das formelle Verhältnis, in dem 
Justiz und Verw zum Gesetze stehen. 
Abgesehen von dem inhaltlichen, materiellen 
Gegensatz von executive und federative power 
bei Locke ist entscheidend ihr formelles Ver- 
hältnis zum Gesetz. „It (the federative power) is 
much less to be directed by antecedent, standing., 
positive laws than the executive. TLhe laws 
that concern subjects one amongst another, 
being to direct their actions, may well enough 
procede them. But what is to be done in referende 
to foreigners, depending much upon their actions 
and the variation of designs and interests. 
must be left in great part to the prudence of 
those, who have this power committed to them, 
to be managed by the best of their skill, for 
the advantage of the commonwealth“ (Locke, 
Two treatises of government § 147). 
Entsprechend ist für Montesquien bei seiner 
Scheidung von puissance exécutrice und puissance 
de juger, abgesehen von der Verschiedenheit ihrer 
inhaltlichen Betätigung, entscheidend vor allem 
ihre verschiedene formelle Stellung zum Gesetz 
als der volonté gönérale. „Les juges ne sont 
qdue la bouche qui prononce les paroles de la loi, 
des etres inanimés qui n’en peuvent modérer 
ni la force ni la rigueur“; „da puissance de 
jusger ... devient pour ainsi dire invisible et 
nulle“; „des trois puissances ..celle de juger 
est en quelque facon nulle“. (Montesquieu, 
De Tesprit des lois XI 6.) 
Dieser konstitutionelle Gesetzesbegriff mit sei- 
nem Vorrang vor Justiz und Verw ist es, der 
sich in den Revolutionen Englands, Frankreichs, 
Preußens durchsetzt und die Möglichkeit eines 
wirklichen Rechtsbegriffes der Verw 
und eines wirklichen Verwaltungsrech- 
tes schafft. 
II. Zuerst wurde in England durch die 
puritanische Revolution und den Kampf der 
common law-Juristen das selbständige königliche 
Verordnungsrecht und die zu dessen Durchsetzung 
dienende Sternkammer vernichtet, und so die 
(namentlich von Bacon erstrebte) Entwicklung im 
französischen Sinne unmöglich gemacht. Seitdem 
ist die „rule of supremacy of law“ die unange- 
fochtene Grundlage der gesamten englischen 
Rechts-- und Staatsentwicklung. 
Den Sieg trug freilich nicht das c1ommon law 
der nach Gewohnheiten und Präjudizien arbei- 
tenden Gerichtshöfe davon, sondern das seitdem, 
namentlich auf dem Gebiete der Verw, immer 
reicher fließende statute law des king in parlia- 
ment. Und es wurde der Vorrang des Gesetzes 
nicht eigentlich über der Verw errichtet und nicht 
ein eigentliches Verwr geschaffen, sondern mit 
dem selbständigen Verordnungsrecht des Königs
	        
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