Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
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Verwaltung, Verwaltungsrecht 
  
sonen zur vollen Handlungsfähigkeit geschieht bald 
in der Rechtsform der Stellvertretung (Vater, 
Vormund), bald in der von Zustimmungserfor- 
dernissen (Ehemann), bald in der von Verw= und 
Prozeßführungsrechten von Amtspersonen (Kon- 
kursverwalter, Testamentsvollstrecker). — Nicht 
anders liegt es bei den materiellen und psycholo- 
gischen Begriffen Rechtsetzen und Rechtsprechen. 
II. Recht gesetzt wird nicht nur in 
Gesetzen, sondern auch in Verordnungen, auto- 
nomen Satzungen, „Vereinbarungen“, ja in 
jedem Privatvertrag und Testament: jedenfalls 
in dem Sinne, daß hier Normen rechtlicher Geltung 
aufgestellt werden, nach denen sich die „Adressaten“ 
zu „richten“ haben. Unter Gesetzen [Jl aber 
verstehen wir nur die obersten Rechtsnormen, 
denen gegenüber die unteren bloß als Rechts- 
geschäfte (im weitesten Sinne; vgl. E. Kauf- 
mann, Wesen des Völkerrechts und die Clausula 
rebus sic stantibus S 167f; Bierling, Juri- 
stische Prinzipienlehre Bd. 11 S 117ff; Haenel, 
Gesetz in form. und mat. Sinn S 257 ff, 264 ff), 
die auf „gesetzlicher“ Ermächtigung ruhen, erschei- 
nen. Diesen Gegensatz von Rechtsgeschäft und 
Rechtssatz, von subjektivem und objektivem Recht 
hat erst der konstitutionelle Gesetzesbegriff ge- 
schaffen. Durch irgendwelche materiellen Merk- 
male ist er nicht zu fassen. 
Derselbe Inhalt kann nach dem einen positiven 
Recht in dem Statut einer Aktiengesellschaft stehen 
und so „rechtsgeschäftlicher“ Natur sein, nach einem 
andern „Rechtssatz“ des HGB, — kann hier gesetz- 
lich und dort durch Instruktion an die nachgcord- 
neten Behörden geregelt sein, — kann hier in 
der Form des Verwoktes [II der Konzession, dort 
nur als Individualgesetz ergehen. So mußten und 
müssen alle Versuche scheitern, den Begriff des 
Gesetzes materiell zu bestimmen. Das Verhältnis 
von Regulieren (Normieren) und Ausführen 
(Vollziehen) ist ein relatives, nicht apriori fest- 
stehendes. Daher kann es keinen aprio- 
rischen materiellen Gesetzesbegriff, 
keine „an sich“ der Gesetzgebung vor- 
behaltenen „Inhalte“ geben, sondern 
nur durch das positive Recht zugewiesene. 
III. Nicht anders ist es mit dem Begriff 
„Rechtsprechen“". Von der gemeinsamen 
historischen psychologischen Wurzel der Recht- 
setzung und Rechtsprechung im Weistum sprachen 
wir bereits, ein Gedanke, an welchen die Frei- 
rechtsschule wieder anknüpft. Rechtsprechen im 
Sinne der Fällung einer Entscheidung durch 
Subsumtion unter einen Rechtsatz tut jede Be- 
hörde, die ihre Zuständigkeit bejaht, liegt in jedem 
Verwkt, in der Tätigkeit des „ausfertigenden“ 
Kaisers, der die Verfassungsmäßigkeit des Ge- 
setzgebungsaktes prüft, in der auf Beschwerde 
ergehenden VerwEntscheidung. Auch die größere 
oder geringere Gebundenheit gegenüber dem 
Rechtssatz gibt kein materielles Kriterium für die 
Abgrenzung der Justiz von den andern Gewal- 
ten: das freie Ermessen auch des Gesetzgebers ist 
oft eng bemessen, so wenn die übergcordnete 
Reichsgewalt oder Sätze der Verfassungsurkun- 
den bestimmte Inhalte ge= oder verbieten. Es 
gibt zahlreiche VerwAlte, die nichts als streng 
legislativ gebundene „Entscheidungen“ enthal- 
ten, während die Gerichte oft in freiestem Ermessen 
„Urteile“" fällen, nicht selten über Fragen, die zur 
  
gesetzggeberischen Lösung noch nicht reif sind, so 
daß der Richter hier (wie ja auch oft die VerweIn- 
stanzen) geradezu zum Pionier der Legislative 
wird. Auch hier gibt es wieder keine apriori 
feststehenden Inhalte, die der Justiz 
pvan sich“ zukommen: es ist reine Sache des 
positiven Rechtes, ob Strafen und Verhaftungen 
nur vom Richter verhängt werden dürfen, ob die 
Zwangsvollstreckung, die Strafvollstreckung, die 
Auflösung von Vereinen und Gesellschaften, die 
Einziehung, die öffentliche Hinterlegung, die Füh- 
rung oder Beausfsichtigung von Vormundschaften, 
die Entscheidung von Schadenersatzansprüchen usw. 
der Justiz oder der Verw zugeteilt wird LJ Rechts- 
weg und Kompetenzkonflikt]. 
Gibt es so auch keine „an sich" den ein- 
zelnen formellen Hoheitsrechten begriffsnotwendi 
zukommenden Inhalte, so gibt es doch natürlich 
bestimmte Inhalte, die sich besonders für die 
Zuweisung an das eine oder andere formelle 
Hoheitsrecht eignen, und die daher — so sehr 
die Anschauungen im Laufe der Geschichte über 
solche Eignung geschwankt haben — heute nor- 
malerweise der Gesetzgebung, Justiz oder Verw 
zugewiesen werden. 
„ 5 8. Die formellen Beziehungen der Berwal- 
ung. 
1. Zum Gesetz (der Vorrang des 
Gesetzes). Der Begriff des Gesetzes im kon- 
stitutionellen Staat erschöpft sich darin, daß das 
Gesetz die obersten Rechtssätze aufstellt, 
nach denen sich das gesamte Leben des 
Staates und das gesamte Leben im 
Staaterichten soll. Die gesetzgebende Ge- 
walt ist the supreme power, das Gesetz hat den 
Vorrang:und zwar nicht nur gegenüber der Justiz, 
sondern auch gegenüber der Verw. Es gilt der 
Grundsatz der gesetzmäßigen Verw: auch die Verm 
kann nur tätig werden auf der Grundlage gesetz- 
licher Ermächtigungen (event. auch vorkonstitutio- 
neller, preuß. VuU a 109, Württ. Vu § 91, so 
daß es natürlich insoweit noch Verordnungen 
practer legem constitutionalem gibt). Ein 
„selbständiges Verordnungsrecht“ in 
dem Sinne einer von der Verfassung nicht be- 
rührten, im absolutistischen Verfassungsrecht 
wurzelnden Rechtsetzungsbefugnis des Monarchen 
ist unmöglich (über den wahren Kern in diesem 
Begriff vgl. unten 9 1 2) ( Gesetz; Verordnung)#. 
Die gesetzgebende Gewalt ist die oberste auch in 
dem Sinne, daß sie sich selbst die Gre nzen 
nach unten zieht und damit das Maß der voll- 
ziehenden (staatlichen und gesellschaftlichen) Fak- 
toren bestimmt. Sie entscheidet nach souveränem 
Ermessen, ob sie allgemeine oder individuelle Sätze 
aufstellt, ob sie die staatlichen Behörden oder die 
Untertanen zu Adressaten macht, ob ihre Sätze 
unbestimmte oder begrenzte Geltungsdauer ha- 
ben sollen; inwieweit sie Detailbestimmungen 
trifft oder sich mit allgemeinen Ermächtigungen 
oder Direktiven begnügt. Wo sie aufhört, setzen 
die vollziehenden Faktoren ein: der private und 
gesellschaftliche „Selbstbetrieb“, die Ausführungs- 
verordnungen, das Ermessen der VerwBehörden, 
die Interpretationskunst der Gerichte (vgl. E. 
Kaufmann, Wesen des Völkerrechts S 96 Note). 
1I. Zur Justiz. 
1. Bei der Unmöglichkeit materieller Begriffe 
von IJustiz und Verw kann auch hier nur gesagt
	        
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