Verwaltung, Verwaltungsrecht
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der Verfassungsurkunde beruht und nicht auf vor-
konstitutionellem Verfassungsrecht.
II. Zur Justiz. Verfassungsmäßige Vor-
behalte zugunsten der Justiz sind nicht sehr häufig
(ogl. Preußische Vu a 82 Abs 2), sie waren
häufiger in den Entwürfen der 1848er National-
versammlungen.
Das Reichsrecht war bei der mate-
riellen Abgrenzung von Justiz und
Verwaltung im großen Ganzen zu einer „Ka-
pitulation vor dem Rechte der einzelnen Bun-
desstaaten“ genötigt. Nur bei einigen Spezial-
normen hat es die Zuweisung selbst vorgenom-
men: so für die vermögensrechtlichen Ansprüche
der Richter [XI, der Reichsbeamten, im Offizier-
pensions= und Mannschaftsversorgungsgesetz, im
Erbschafts- (l und Stempelsteuergesetz (XI,so
ferner vielfach in der Strafprozeßordnung für
Verhaftungen [Il, Beschlagnahmen I1, Durch-
suchungen (JU usw., in den 88 453 f, 459 f St PO
und im Gerichtsverfassungsgesetz — vgl. 8 11
EG z. GVG — sowie §8 4, 5 EsG z. ZPO. Die
einzige generelle Norm, die das Reichsrecht gibt,
ist die wesentlich formale, Inhalt von den ein-
zelstaatlichen Rechtsordnungen erwartende Be-
stimmung des §& 13 GVG: „Vor die ordentlichen
Gerichte gehören alle bürgerlichen Rechtsstreitig-
keiten und Strassachen, für welche nicht die
Zuständigkeit von VerwBehörden oder Verw-
Gerichten begründet ist."
Danach ist es, was zunächst die „bürger-
lichen Rechtsstreitigkeiten“" betrifft,
den Einzelstaaten überlassen: 1. zu bestimmen,
was sie als bürgerliche Rechtsstreitigkeiten im
materiellen Sinne ansehen wollen; 2. solche
bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten dem ordentlichen
Rechtswege zugunsten von Verw Behörden oder
-Gerichten zu entziehen oder ihn zu beschränken;
3. verwaltungsrechtliche Streitigkeiten den ordent-
lichen Gerichten zu übertragen (vgl. & 4 E z.
GVGh), wodurch diese Sachen zu bürgerlichen
Rechtsstreitigkeiten im formellen Sinne werden.
Ueber die unberechtigte Bekämpfung dieses Satzes
durch Hartmann val. Stein, Grenzen und Beziehungen
öwischen Justiz und Verw S 28fj der dort zitierten Li-
teratur ist hinzuzufügen der neueste Artikel von Hartmann,
DJ3 18, 601 f.
Damit bewährt unser Zivilprozeß seine Eigen-
schaft nicht „das Erbe des römischen, sondern
des germanischen Rechtsganges“ (Stein) zu sein.
Bezüglich der „Strafsachen" ist dagegen
der Grundsatz zur Geltung gebracht, daß für alle
„Kriminal'strafen, unter die auch die in Gesetzen
und Polizeiverordnungen angedrohten Ueber-
tretungsstrafen fallen, die ordentlichen Gerichte
zuständig sind, auch wenn der vorläufige Straf-
bescheid von einer Polizei= oder Finanz= oder
anderen VerwBehörde ausgegangen ist: vgl.
St PO s## 453 f, 459 f, Posteh §5 34 f. Dieser
bisher unbestrittenen Auffassung hat jüngst Stein
die These gegenübergestellt, daß nach der Fassung
des § 13 GVcW das Landesrecht für Strafsachen
dieselbe Freiheit habe wie für bürgerliche Rechts-
streitigkeiten. Aber, wenn § 13 diese auch nicht
beschränkt, so tut es doch §5 453 Abs 1 St PO, der
die Befugnis der Polizeibehörden zur Festsetzung
von Strafen auf Uebertretungen beschränkt,
und schon damit eine Ueberweisung von Verbrechen
und Vergehen an Polizeibehörden (womit die
Behörden der inneren Verw im Gegensatz zu
den Finanzbehörden des #§ 459 gemeint sind)
ausschließt. Ferner muß man argumentieren, daß
wenn bereits eine letztinstanzliche VerwEntschei-
dung für Uebertretungen unzulässig ist, dies a for-
tiori für Verbrechen und Vergehen gelten muß.
Für Strafsachen hat eben der Liberalismus sein
Ideal des Rechtsstaates in der Form des Justiz-
staates durchgesetzt.
Freilich bleibt es den Einzelstaaten überlassen, bei nicht-
kriminellen Strafen, den sogen. „Ordnungsstrafen“ (M im
weitesten Sinne (vgl. barüber Haenel 454 f, Stein S 40 f,
46 f) gänzlich den Rechtsweg auszuschließen; und es mag
Stein zugegeben werden, daß, wie die RB0 in 1/ 530,
908 den Begriff der Ordnungsstrafe sehr weit gefaßt hat,
auch die Einzelstaaten insoweit die Möglichkeit besitzen,
eine den bisherigen Umfang etwas überschreitende, den
Gerichten entzogene Ordnungsstrafgewalt zu üben.
Die sich aus den geschilderten komplizierten
materiellen Beziehungen von Justiz und Verw
leicht ergebenden Kompetenzkonflikte
werden von besonderen Behörden entschieden
IARechtswegl.
#§# 10. Die personalen Beziehungen der Ver-
waltung. Der funktionellen Scheidung
der drei Gewalten als formeller Hoheitsrechte mit
bestimmten materiellen Kompetenzen entspricht
eine personale Trennung der beteilig-
ten Organe, die Schaffung distinkter Willens-
apparate, von denen jeder, „ein lebendiges Stück
Staatsgewalt“ (O. Mayer) verkörpert: denn nur
dadurch kann die funktionelle Trennung aus der
Sphäre des Begrifflichen in die praktisch-politischer
Garantiertheit versetzt werden. Früher hat man
vielfach beide Seiten der Gewaltenteilung durch-
einandergeworfen und bald die „Gebundenheit“
der Verwkte an das Gesetz mit einer Abhängig-
keit der VerwBehörden von dem Hauptorgan
der Legislative verwechselt, bald auf eine her-
metische Abschließung des Personals der einen
Gewalt von dem der andern Wert legen zu müssen
geglaubt: das freilich ist nicht die Teilung der
Gewalten, sondern der „Popanz, den man
daraus gemacht hat“ (O. Mayer).
Das deutsche Verfassungsrecht hat dies Pro-
blem der personalen Beziehungen ohne jeden
Doktrinarismus unter Berücksichtigung der Be-
dürfnisse einer starken Monarchie und eines sach-
lichen Beamtentums durchgeführt, ohne dabei
den Gesichtspunkt der Verselbständigung von
„lebendigen Stücken Staatsgewalt“ zu kurz kom-
men zu lassen. Unsere Verfassungsurkunden be-
teiligen die Krone in hervorragendem Maße an
der Gesetzgebung, worin ein Mittel liegt, eine
Verschlingung der Exekutive durch die Gesetz-
gebung zu verhindern und ihr auch auf den nicht
zur verfassungsmäßigen Prärogative gehörenden
Gebieten einen freien Wirkungskreis zu sichern.
(vgl. Montesquien: „Si la puissance exécutrice
n'a pas le droit d'’arréter les entreprises du
corps Iégislatif, celui-ei sera despotique; car
comme il pourra se donner tout le pouvoir
qu'’il peut imaginer, il anéantira toutes les
autres puissances“). Beim „Ausfertigen“ der
Gesetze [I steht der Krone die eine Nachprü-
fung der Verfassungsmäßigkeit durch die Ge-
richte (sofern nicht das Subordinationsverhältnis
von Reichs= und Landesrecht in Frage steht) aus-
schließende letzte Garantiegewalt für unser Ver-