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Verwaltung, Verwaltungsrecht
Hauriou S 823f, Berthélemy 8 636 f). Ebenso
kann das Privatfluß= und Forstrecht in ihren Sy-
stemen keinen rechten Platz finden, wie ja auch
Unklarheit über die Bedeutung des Verw Ver-
mögens (biens affectés à des services publics) zu
konstatieren war.
Offenbar handelt es sich hier überall um ein
Zwischengebiet, das in der scharf umrissenen dua-
listischen Systematik des französischen
Verwaltungsrechts keine rechte Stätte fin-
den kann. Aber entsprechend der Tendenz, den
service public zum Zentralbegriff des Verwrt zu
machen und so auch das Verw Vermögen immer
mehr dem Privatrecht zu entziehen, sind jetzt auch
die associations syndicales (öffentliche Genossen-
schaften, wie wir sagen würden) trotz einiger Be-
denken als établissements publics, und nicht bloß
d intöröt public anerkannt worden. Die Gesetze
von 1865 und 1888 haben in zahlreichen Spezial-
und weitgreifenden Generalermächtigungen die
Bildung solcher Genossenschaften, die sowohl öffent-
lichen Interessen wie auch der Erzielung eines
„Mehrwertes“ für die einzelnen Genossen zu dienen
bestimmt sind, ermöglicht, und so dem überpoli-
Küchen Verwz einen weiteren Zuwachs er-
net.
#3. Das Fehlen der französischen Kategorien
im deutschen Berwaltungsrecht
Geradezu entgegengesetzte Bahnen hat die
preußische Entwicklung bezüglich der
erörterten Probleme eingeschlagen: formell-
rechtlich durch die fast unbegrenzte Eröffnung
des Rechtsweges um die Wende des 18. und
19. Jahrhunderts, und materiellrechtlich durch die
ausgesprochene Tendenz der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts die Herrschaftssphäre des Pri-
vatrechts auszudehnen. Diese Ausdehnung hatte
naturgemäß die Folge, daß trotz der nach
1808 einsetzenden Beschränkung des Rechts-
weges gegenüber polizeilichen und finanz-
rechtlichen Verfügungen INI für das sehr weite
Gebiet des materiellen Privatrechts
die Kontrolle der ordentlichen Gerichte erhalten
blieb, die Rezeption der französischen Prinzipien
über die Begrenzung der gerichtlichen Zuständig-
keit daher doch nicht die dort gezeitigten materiell-
rechtlichen Konsequenzen gehabt hat.
# 19. Die Scheidung des Polizeilichen und
Privatrechtlichen bei den niederen Regalien.
Während es ursprünglich gerade die landesherr-
lichen niederen Regalien waren, die Veranlassung
und Grundlage für polizeiliche Regelungen
boten (vgl. Rinne, HB der preuß. inneren
Staats Verw Bd. I, 1840 S 283), und zu dem
Begriff der nutzbaren Regalien zugleich deren
hoheitsrechtliche Bestandteile gehörten
(Gierke, Deutsch. Privatrecht 2, 398), hatten
doch bereits die Reichspolizeiordnungen das
regale Eigentum der Landesherren an den Land-
straßen und öffentlichen Gewässern Beschrän-
kungen im öffentlichen Interesse unterworfen
(vgl. Fischer, Lehrbegriff sämtl. Kameral= und
Polizeirechte 2, 401; 3, 4), und so eine Schei-
dung von nutzbarem Eigentum
und polizeilicher Pflicht angebahnt.
Ebenso hatte bereits vor dem ALK Theorie und
Praxis im Begriffe der Regalien das allgemeine
polizeiliche Oberaussichtsrecht von deren nutz-
barer Seite (die „Regalhoheit“" von der „Regal-
herrlichkeit" und „Regalnutzung“) gesondert (vgl.
Fischer 2, S 409, 446/7, 792 f, 812; dazu Hat-
schek, Verw Arch 7, 455/6).
Das Allgemeine Landrecht vollendet
diese Entwicklung, indem es unter „niederen Re-
galien“ nur noch die verleihbaren Nutzungsrechte
des Staates versteht (5 24 II 14), das „gemeine
Staatseigentum"“ (vgl. hierzu R. Lewy, Zur Ge-
schichte der heutigen Berechtigung des Begriffs
böffentliche Sachen im Gemeingebrauch“, Dis-
sertat. Greifswald, 1910 S 41 ff) den Domänen
völlig gleichachtet (§ 25), dem Staate bei dem Ge-
brauche, der Benützung und Verw der Domänen=
und Regalien der Regel nach nur eben die Rechte
zugesteht wie jedem Privateigentümer (5 76),
alle Streitigkeiten zwischen dem Fiskus und
Privatpersonen über dessen Befugnisse und Ob-
liegenheiten (soweit nicht die Erfüllung der all-
gemeinen Steuerpflicht in Frage steht), auch
über Verträge und andere Geschäfte den Gerich-
ten zuweist (§ 81/2), unter Ausschluß vor allem
der Polizeigerichtsbarkeit (z 15 II 17; vgl. dazu
Siewerts Materialien zur Erläuterung des ALR
Heft 5 S 207), und überhaupt materiellrechtlich
die polizeilichen Normen von denen über
die „Staatseinkünfte und fiskalischen Rechte“
scharf scheidet (vgl. auch Gesetz-Revision Pensum
XII, 1830 S 126f, 145, 162 f).
Bei dieser Betonung des privat-
rechtlichen Charakters des „gemeinen
Staatseigentums“, der Uebertragung dieses
Begriffes auf die Gemeinden, bei der Be-
schränkung der herrschaftlichen Staats-
tätigkeit auf die polizeiliche Sorge
für den Gemeingebrauch und die Er-
füllung der Unterhaltungs- und Bau-
pflichten, und endlich bei der Verweisung
der über den Gemeingebrauch hinaus-
gehenden Rutzungen in das Privat---
re cht konnte es in Preußen zur Ausbildung
jener ganz der Sphäre des VerwR angehörenden,
aus dem Rahmen des Polizeirechtes tretenden
Institute des domaino public und der travaux
publics nicht kommen.
Die Entwicklung der anderen deutschen
Staaten hat zum Teil andere Bahnen ein-
geschlagen, indem bald die Scheidung zwischen
Privateigentum und Polizei in dem Begriff der
niederen Regalien nicht so rein vollzogen, bald der
Justizstaat nicht so weitgehend verwirklicht, bald
endlich die staatliche Polizei Verw nicht so scharf
von der Kommunal Verw gesondert wurde wie
in Preußen. Daraus mußten sich Anklänge an
das französische Recht ergeben, dessen Besonder-
heit ja gerade auf der Herausarbeitung der pu-
blizistischen Elemente der Regalien, der eigen-
artigen hermetischen Trennung von Justiz und
Verw und der Lehre vom pouvoir municipal
beruht. Trotzdem sind es bloße Anklänge.
Das zeigt sich schon darin, daß die deutsche Verw-
Gerichtsbarkeit als generelles Institut nur Re-
kursrechtsmittel kennt (LVG # 127f, Anfech-
tungsklage, Rechtsbeschwerde), während ihr ein
genereller contentieunx de pleine jurisdiction
fremd geblieben ist: die „Parteistreitigkeiten“
Sachsens und Württembergs (der Sache, wenn
auch nicht dem Namen nach, kennt sie auch das