Verwaltung, Verwaltungsrecht
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während Frankreich versucht hat, den alten beizu-
behalten, und darum genötigt war, ihn durch nicht-
Polizeiliches zu ergänzen. Freilich im Grunde
auch nur beizubehalten versucht hat, wie
nicht nur jene „unechten öffentlichen Anstalten“
(s. o. K 18) beweisen, sondern besonders deutlich
die Systematik von Hauriou (vgl. S 541 f „es
polices spéciales de I’Etat“ und S 585 f „es
ser vices d’assistance et de prévoyance“).
Frankreich mußte daher für seine „öffentlichen
Anstalten“ eine besondere öffentlichrecht-
liche materielle Benutzungs= und
Schadensersatz-Rechtsordnung, so-
zusagen aus dem Nichts, bald in Anlehnung an
zivilistische Begriffe wie Vertrag, condictio inde-
biti, negotiorum gestio, Servitut usw., bald
aus allgemeinen Billigkeitserwägungen, schaffen
und ein contentieux de pleine jurisdiction ein-
richten. Wir dagegen konnten uns damit be-
gnügen, das ungehinderte Durchgreifen
der öffentlichen „Verfügungs"ge walt
zu sichern, dadurch daß alle gegen „Verfüg-
ungen“" (mittelbar oder unmittelbar) gerichteten
Unterlassungsklagen aus dem Eigentums--oder dem
Patentrechte (vgl. Soergel 5, 11) als „.unzulässig“
oder „sachlich unbegründet“ abzuweisen sind, so-
dann zum Rechtsschutze der Bürger gegen solche
„Verfügungen“ eine Rekurs Verw Gerichtsbarkeit
einzuführen, und endlich für diejenigen Rechts-
verhältnisse der Korporationen und Bürger, die
durch Sondernormen zu öffentlich-rechtlichen ge-
stempelt sind, das Rechtsmittel der Parteistreitig-
keiten zu gewähren. Im übrigen aber konnten
die Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat und
seinen Gliedern dem ausgebildeten System des
Privatrechtes und den ordentlichen Gerichten
unterstellt bleiben. Belege im einzelnen insbe-
sondere unten s# 24, 26, 27. Hier sei nur auf
das Schadensersatzrecht hingewiesen: selbst als nach
1820 die gerichtliche Kompetenz im französischen
Sinne eingeschränkt wurde, hat man nie be-
zweifelt, daß z. B. für Klagen aus # 75 Einl.
ALR die ordentlichen Gerichte zuständig sind.
(Vgl. auch Loening, Gerichte und Verw Behörden
152; v. Sarwey, Das öffentliche Recht und die
VerwR Pflege S 373f, 540; Bühler, Zuständigk.
d. Zivilgerichte gegenüber der Verw im württem-
berg. Recht S 167f, 171 f, 181, 186 und 191,
wo der Ersatzanspruch aus Erwägungen des
römischen Rechts abgewiesen, aber nicht etwa eine
Zuständigkeit des Geheimen Rates oder ein Recht
der „öffentlichen Entschädigung“ angenommen
wird; für Sachsen vgl. O. Mayer StR d. Kgr.
Sachsen 267).
Ist danach das Recht der inneren Verw bei uns
(gegenüber dem des 18. Jahrhunderts differen-
ziertes und rechtsstaatlich umgeprägtes) Polizei-
recht geblieben, so muß das sich darin
dokumentieren, daß es keine besondere „Anstalts-
polizei", keine „öffentlichen Unternehmungen",
kein besonderes Institut der „Konzession" gibt,
und daß die Haftung des Staates für seine nicht-
„fiskalische“ Tätigkeit, sowie der Begeiff der
„bürgerlichen Rechtsstreitigkeit“" im Sinne der
hier gemachten Ausführungen ausgestaltet sind.
6# 23. Die „Anstaltopolizel“. Die „öffentliche
Gewalt“ ist ausgerüstet mit den zur Durchsetzung
ihrer „Verfügungen“ erforderlichen „Zwangs-
befugnissen“: es ist ein allgemeiner deutscher
Rechtsgrundsatz, daß der Verwaltungszwang (II
eine der öffentlichen Gewalt wesentlich inhä-
rierende Eigenschaft ist (Anschütz, Verwürch 1,
389; vgl. auch Friedrichs, LVG 5 132 Note 3),
den sie bald durch eigene Exekutivorgane (Polizei-
und Zollbeamte, Militär) ausübt, bald im Wege
der Amtshilfe (X) von der mit ihm „allgemein“
ausgerüsteten Polizei requiriert (vgl. OV#G 36,
434). Diese Zwangsbefugnisse kommen den
Behörden aber, entsprechend dem entwickelten
Begriff der öffentlichen Gewalt, nur zu „für die
von ihnen in Ausübung der obrigkeitlichen
Gewalt getroffenen, durch ihre gesetz-
lichen Befugnisse gerechtfertig-
ten Anordnungen" (vgl. § 132 LV0),
also nur soweit ein Verhältnis des Staates oder
der öffentlichen Körperschaften zum Bürger als
besonderes Gewaltverhältnis ausgestaltet ist.
Der Begriff der Anstaltspolizei, den
O. Mayer, Fleiner und Kormann im Anschluß an
den von ihnen zu Grunde gelegten Begriff der
öffentlichen Anstalt (s. o. § 21 I) ausgebildet ha-
ben, greift weit darüber hinaus: weil dieser Be-
griff der öffentlichen Anstalt nicht nur sehr viel
weiter ist als der des positiven deutschen Rechts,
sondern auch ein über den eigentlichen Verw-
Zwang hinausgehendes Verteidigungs= und Not-
recht in sich schließt. I Oeffentliche Anstalt.)
Wohin dies Institut führt, zeigen die Ausführungen von
Kormann (Grenzboten 1914 Heft 3), in denen das Militär
beim Bersagen seiner gesetzlichen Besfugnisse (ob dies
In concerto richtig ist, mag dahingestellt bleiben) kraft „An-
staltspolizel" befugt sein soll, auch im privaten Leben,
sobald der Soldat „als solcher“ gestört wird, mit Berw.
Zwang gegen die Störer einzuschreiten. Wenn ein solcher
"Begriff“ im geltenden Recht eine Stätte hätte, begreift
man nicht, wozu es dann noch gesetzlicher Bestimmungen
über den VBerw Zwang bedarf.
Es wird demgegenüber unbedingt daran fest-
zuhalten sein, daß alle Behörden und Organe jen-
seits der ihnen verliehenen Verfügungsgewalt den
Normen des gemeinen Privat= und Strafrechts
unterstehen (Friedrichs, LVG S310f,. insbes. Note
6). „Anstaltspolizei“ kann daher geübt werden nur
auf der Grundlage besonderer Gewaltverhältnisse,
zu denen natürlich auch die durch die allgemeine
Befugnis der Polizei (zur Aufrechterhaltung der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung und zur
Abwendung von Gefahren) begründeten Gewalt-
verhältnisse gegenüber den (durch die Judikatur
nach festen Prinzipien umgrenzten, vgl. Fried-
richs, Pol VG 41 f) „störenden“ Personen gehören
(vgl. auch W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung
278 f). Auch das „Notrecht“ der Verw ist durch
die Judikatur fest umgrenzt worden (Friedrichs,
l e 49 ; Wolzendorff, Arch OeffR 27,
220 fU.
#§ 24. Die Arbeiten und Unternehmungen im
öffentlichen Interesse. Auch die „öffent-
lichen Unternehmungen“ und „öf-
fentlichen Arbeiten“" fehlen bei uns als
„verwaltungsrechtliche“ Kategorien (Goez, Verw-
RPflege 128). Diese Verrichtungen genießen viel-
mehr eine prozeß- und materiellrechtliche Exi-
mierung nur, insoweit in ihnen spe-
zielle behördliche Verfügungen re-
spektiert werden müssen. Die Judi-
katur hat hieran überall festgehalten.