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Verwaltungsgemeinschaften (Internationale Unionen)
(mit Ausnahme des Bureau maritime in Zanzibar
sämtlich bureaukratisch organisierten) heute be-
stehenden „internationalen Aemter“ ihrem ver-
schiedenen Zweck entsprechend, eine verschieden
geartete Tätigkeit ausüben, so bilden sie doch
sämtlich das verbindende Glied zwischen den ein-
zelnen nationalen Verwaltungen, denen sie alle
einschlagende Auskünfte zu erteilen haben. Weiter
liegt bei ihnen die Sammlung des gesamten, auf
die betreffende Union bezüglichen Materials, die
Veröffentlichung einschlägiger Werke und perio-
disch erscheinender Zeitschriften und Bulletins,
sowie die Vorbereitung der einzelnen Konferenzen,
als deren Sekretariat sie regelmäßig zu fungieren
haben. Die Befugnisse zur Fällung von Entschei-
dungen ist nur einem einzigen Bureau zugebilligt:
Nach a 57 der Konvention von 1890 hat das
Offioe Central des transports internationaux zu
Bern auf Begehren der Parteien bindende Ent-
scheidungen über Streitigkeiten der Eisenbahnen
untereinander abzugeben.
Im einzelnen bestehen folgende Aemter:
I. In Bern: Das Bureau international des
Administrations télégraphiques seit 1886 und,
mit ihm verbunden, das radiotelegraphische
Bureau (seit 1906), das Bureau des Weltpost-
vereins (seit 1875), das Bureau der Union zum
Schutz des gewerblichen Eigentums (seit 1883),
mit ihm verbunden das der Union zum Schutze
der Werke der Literatur und Kunst (seit 1886), das
Office central des transports internationauxr
(seit 1890).
II. In Brüssel: Das obenerwähnte (& 4
IV b) Bureau spécial (seit 1890), das Bureau des
Verbands zur Veröffentlichung der Zolltarife
(1890), das Bureau der ständigen Zuckerkommission
(seit 1902).
III. In Paris: bas Bureau international des
poids et mesures (seit 1875), das internationale
Sanitätsamt (seit 1907; Deutschland ist an ihm
bis jetzt nicht beteiligt).
IV. An sonstigen Orten: das Bureau central de
I Asscciation géodésique in Potsdam (seit
1864), das die Tätigkeit der Aemter mit ausübende
Comité permanent des landwirtschaftlichen In-
stituts in „ Rom (seit 1905), das Zentralbureau
der seismologischen Union in Straßburg
(seit 1903) und das der Union zur Erforschung der
Meere in Kopenhagen (seit 1901).
Die Aufsicht über die einzelnen Bureaus liegt,
soweit Kommissionen oder Kommitees bestehen,
bei diesen, sonst aber bei:
d) dem dirigierenden Staat, d. h.
demjenigen Staat, in dessen Gebiet das betreffende
Amt seinen Sitz hat. Bei ihm liegt hauptsächlich
die Einrichtung des Bureaus im Rahmen der in
der Konvention enthaltenen Vorschriften, die Aus-
arbeitung einer Geschäftsordnung, Ernennung und
Entlassung der Beamten, die seiner Disziplinar-
gewalt unterliegen, die Beaufsichtigung der
Tätigkeit des Bureaus und die Ausarbeitung
eines Jahresberichtes. Soweit Unionen mit Kom-
missionen begabt austreten, schrumpft die Tätigkeit
des dirigierenden Staates auf die Vermittlung
des diplomatischen Verkehrs zwischen Vertrags-
staaten und Bureau zusammen.
II. Die Kosten für die Unterhaltung der
Bureaus und die Durchführung ihrer Aufgaben
werden im Wege eines Umlegeverfahrens unter
den beteiligten Staaten festgestellt, wobei in den
Konventionen regelmäßig ein Maximum ange-
eben wird, das nicht überschritten werden darf.
Fur Ermittlung der Beitragshöhe werden ent-
weder nach der Bevölkerungsziffer verschiedene
Klassen gebildet, in die die einzelnen Staaten so
eingeordnet werden, daß jeder Klasse eine bestimm-
te Zahl von Einheiten entspricht, die für die Bei-
tragspflicht maßgebend sind, oder aber es werden
die Verbandsländer in, nach der Beitragshöhe,
verschiedene Klassen eingeteilt, wobei es jedoch
jedem Staat freisteht, anzugeben, in welche Klasse
er eingereiht werden will. Bei der Zuckerkom-
mission betragen die Beiträge für alle Staaten
gleichmäßig jährlich 3500 Frs. (a 6 II 1, s. auch
Satz 2). Nichtzahlung der Beiträge hat bei der
Union für Maße und Gewichte Verlust der Mit-
gliedschaft zur Folge (Venezuela!).
Für 1913 sind vom Reich im Etat angefor-
dert: 6100 Mk. für das internationale Bureau für
die Veröffentlichung der Zolltarife; 2835 Mk. für
die ständige Zuckerkommission; 5000 Mk. für das
internationale Telegraphenbureau, 75 000 Mk. für
das landwirtschaftliche Institut; 9900 Mk. für das
Maß- und Gewichtsbureau; 6000 Mk. Beitrag
zu den Kosten der internationalen Erdmessung;
3200 Mk. Beitrag zu den Kosten der internatio-
nalen seismologischen Assoziation, 100 000 Mk.
Beitrag zu den Kosten der Erforschung der nor-
dischen Meere.
a) Ueber die juristische Natur der Organe vorzüg-
lich Donato Donati, I trattatl internanionall nel
Alritto costituzionale, I, 1906, p. 407—680 (vgl. übrigens
auch Otto Mayer, Deutsches Verwnecht, 2, S 460.
4%; Jellinek, Staatenverbindungen, 1882, 168 f# ½
b) Descamps, Les offlices internationaux et leur
avenfr. 1894; zahlreiche Arbeiten von Kazansky (s. c),
leider überwiegend in russischer Sprache; Moynie r,
Les bureaux internationaux des Unsons universelles.
1892; v. Toll, Die internationalen Bureaus der allge-
meinen völkerrechtlichen Berw Bereine. Tübinger Disser-
tation, 1910.
#) Ueber den umstrittenen Begriff internationale Ber-
waltung: Alessio, 1ldlritto amministrativo interns-
zionale e le sue fontl in: Rivlsta dl diritto publico. V. 1913,
p. 276 sa: Bluntschli, Die Orgaaisation des euro-
päischen Staatenvereins (in seinen gesammelten kleinen
Schriften, II, 279 ff. 18810; Borsi, Carattere ed oagetto
del diritto amministrativo internazionale in: BRlvista dl
diuritto internalzonale, 1912, 368 su.; Donatit, I trattatt
Internazionall nel diritto çostituzionale, 1906. 385 aa.;
Fedozssi, U diritto amministrativo internazionale, 1901;
Fusinato, D una parte alquanto trascurata del diritto
Internazionale, 1892; Gemma, Prime Unee dl un diritto
amministrativo internazionale, 1902; Kazansky, Théo-
rie de Tadministratlon internationale, Revue générale de
drolt international public, 1902, 358 so.; v. M ohl,
Staaterecht, Bölkerrecht und Politik — die Pflege der
internationalen Gemeinschaft als Aufgabe des Völkerrechts,
1860, 569 ff; v. Stein, Einige Bemerkungen über in.
ternationales VerwRecht (Schmollers Jahrbuch für Gesetz-
gebung, 1882, 395 ff). Siehe auch die Schriften von Karl
Neumeyer passim, besonders Internatuonales Verwal-
tungsrecht, 1911.
6. Einfluß des Krieges auf bestehende Ver-
waltungsgemeinschaften. Während die ältere
Völkerrechtslehre alle Verträge zwischen den
Staaten mit Kriegsausbruch endigen ließ und
während die Staatenpraxis schwankt, bricht sich