Verwaltungsgerichtsbarkeit (Allgemeines)
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OBG ist denn auch bald dazu übergegangen, ausdrücklich
die Verletzung eines subiektiven öffentlichen Rechts für die
erfolgreiche Erhebung der Anfechtungsklage zu verlangen,
mit der Konsequenz z. B., daß in dem oben erwähnten
Fall nur der Nachbar des Bauenden und auch er nur dann
ein Klagrecht hat, wenn die angeblich unrichtig angewendete
Baunorm in seinem Interesse, nicht nur in dem der All-
gemeinheit erlassen ist und daher ein subiektives Recht für
ihn erzeugt (vol. Apelt, Sächs. BR PPfl G S 51f, 232 f)
Da nun auch die Patrteistreitigkeiten des
sächsischen und württembergischen VMR PflGesetzes,
die formell nicht unter jene Rechtsklausel fallen,
in Wirklichkeit nur Streitigkeiten über subjektive
öffentliche Rechte sind, so kann gesagt werden,
daß von wenigen ausdrücklichen Ausnahmen
(z. B. sächs. VRuflG §76 Abs 3, württ. GemO
v. 28. 7. 06 à 5 Abf 3, bayr. Verw G a 31 Abs 3)
abgesehen in den genannten Staaten die Ent-
scheidung von Streitigkeiten über
subjektive öffentliche Rechte die
Aufgabe der Verwaltungsgerichts-
barkeit ist. Da diese Ausgestaltung sich zu-
nächst in Süddeutschland (und Oester-
reich) fand, und Sachsen und Braun-
schweig nachweisbar sich an süddeutsche, na-
mentlich an das württembergische VR PflGesetz
angelehnt haben, kann man wohl diesen Typus
von V. den süddeutschen nennen.
#§ 4. Die Gestaltung nach dem preußischen Typ.
Von dem süddeutschen Typ weicht die V. in
Preußen und denjenigen Staaten, welche
in ihrer Ausgestaltung dem preußischen Vorbild
gefolgt sind (Oldenburg, Anhalt, Sach-
sen = Meiningen, die Staaten des thü-
ringischen Oß in den unteren Instanzen;
ahnlich, jedoch auf Grund selbständiger Entwick-
lung, Hessen), in verschiedenen Beziehungen
wesentlich ab. Die Verschiedenheiten — vor
allem die Verbindung mit der Idee der Selbst-
verwaltung und die Art der Bestimmung der
Zuständigkeit der VerwG — erklären sich durch
die besondere Aufgabe, welche der V. im System
der preußischen VerwrReform der 70er Jahre
zugewiesen war und die Einwirkung, welche
Gneist und indirekt das Vorbild des englischen
Rechts auf sie gehabt haben. Während nach
dem süddeutschen System Aufgabe der V. ist,
für denjenigen Teil der Verwaltung, welcher
nach Rechtsgrundsätzen erledigt wird, ebenso
Garantien für die Einhaltung dieses Rechts zu
schaffen, wie sie auf dem Gebiet des Zivil- und
Strafrechts bestehen, sollte die V. in Preußen
eines der Hauptmittel sein, um ganz allgemein
die Willkür jeder Art in der Staatsverwaltung
zu bekämpfen. Diese aber kann sich viel mehr
noch als da, wo zwingende Rechtsnormen vor-
handen sind, dort geltend machen, wo es an
solchen fehlt, wo sie nach freiem Ermessen handeln
kann oder wo zwar rechtlich bindende Vorschriften
für sie vorhanden sind, aber diese wegen der
Unbestimmtheit der in ihnen enthaltenen Begriffe
(Bedürfnis, Unzuverlässigkeit, Schädigung des
Gemeinwohls usw. — in diesen Fällen nahm
man früher ganz überwiegend und nimmt man
heute noch teilweise freies Ermessen an) der
Verwaltung faktisch erheblichen Spielraum lassen.
Diese Gebiete also mußten in erster Linie der
Kontrolle der Verw unterworfen werden und
damit verbot sich eine Beschränkung derselben
auf den Schutz subjektiver öffentlicher Rechte
von selbst. Solche dogmatische Unterscheidungen
waren auch dem englischen Recht, von dem Gneist
ausging, durchaus fremd, und er selbst gehörte
zu denen, welche den Begriff des subjektiven
öffentlichen Rechts [X]) überhaupt verwarfen. Er
befürchtete, nicht mit Unrecht, daß eine Beschrän-
kung der Zuständigkeit der Verw G durch solche
Bestimmungen zu unerwünschten Zuständigkeits-
streitigkeiten Anlaß geben und so die Wirksamkeit
der VerwG beeinträchtigen könnten. In seinem
Sinne wurden daher in der Kreisordnung von
1872, mit welcher in Preußen I(/ die Einführung
der V. in größerem Maßstab begann und im
allgemeinen auch in den späteren einschlägigen.
Gesetzen ein Katalog von Angelegenheiten auf-
geführt, in denen im Streitfall die Kontrolle
der Verw eingreifen sollte, ohne Rücksicht
darauf, ob es sich bei ihnen um Rechts= oder
Ermessensfragen handelte. Die Auswahl ist
allerdings doch so getroffen worden, daß ganz
Überwiegend nur Rechtsstreitigkeiten dem Verwe
zugewiesen wurden; jedoch kommen auch Er-
messensfragen für sie in Betracht, z. B. im Fall
der Entziehung gewerblicher Konzessionen nach
§*53 Gewp, die unter gewissen Voraussetzungen
erfolgen kann, aber nicht muß und durch die
885 119—121 Zust G in jeder Hinsicht dem Er-
kenntnis der VerwG unterstellt ist. Wie weit im
einzelnen solche Fälle von Kontrolle über die
Handhabung des freien Ermessens den Verw
im preußischen Recht zugewiesen sind, ist streitig;
die meisten der Fälle, die Otto Müller (Be-
griffe 11 ff) als Beispiele für Entscheidung nach
freiem Ermessen angeführt hatte, sind neuerdings
bestritten worden von W. Jellinek, Gesetz usw.
197 f, teilweise gegen ihn Bühler, Subj. öffentl.
Rechte, 277 f. Auf alle Fälle kann man aber
nicht von einer grundsätzlichen Be-
schränkung der preußischen VerwG auf
Rechtskontrolle fsprechen. Eine bewußte
Ausnahme hiervon wollte man für die Anfechtung
polizeilicher Akte machen. Um die Polizei nicht
allzusehr zu beengen, sollten polizeiliche Ver-
fügungen [(JI nicht wegen jeder Interessenver-
letzung, sondern nur wegen Rechtsverletzung
vor den Verw angefochten werden können.
5 127 Abs 3 LVG v. 30. 7. 83 bestimmt aus die-
sem Grunde: die Klage gegen polizeiliche Ver-
fügungen kann nur darauf gestützt werden,
„1. daß der angefochtene Bescheid durch Nicht-
anwendung oder nicht richtige Anwendung des
bestehenden Rechts den Kläger in seinen Rechten
verletze; 2. daß die tatsächlichen Voraussetzungen
nicht vorhanden seien, welche die Polizeibehörde
zum Erlasse der Verfügung berechtigt haben
würden.“ Die damit erstrebte Beschränkung des
Eingreifens der V. auf dem Gebiet des Poli-
zeilichen wurde jedoch nicht erreicht. Einmal
hat das OV# die Polizei in der Folge mehr als
man damals übersah, als rechtlich gebunden,
nämlich hauptsächlich an die Schranken des § 10
II 17 ALR gebunden und daher ohne weiteres
der Rechtskontrolle unterstehend betrachtet; so-
dann waren auch durch jene Bestimmung die ver-
hältnismäßig nicht zahlreichen Fälle, in denen
der Polizei freies Ermessen verblieb, der Nach-
prüfung der Verw# nicht wirksam entzogen.
Da nämlich, wohl infolge Redaktionsversehens,