Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
Verwaltungsgerichtsbarkeit (Reich) 
  
Erweiterung fähig; teils durch das Landesrecht 
für den räumlichen Bereich des Staates auszu- 
schließen (Reichsversicherungsamt). Einzelne Aem- 
ter sind zugleich mit Verw Aufgaben betraut, wie 
das Patentamt, das Reichseisenbahnamt, das 
Reichsversicherungsamt, das Privatversicherungs- 
amt. Sie müssen sich dann für ihre verwaltungs- 
richterlichen Aufgaben durch Zuziehung von 
richterlichen Mitgliedern verstärken. Das letztere 
ist auch für die mündliche Verhandlung vor dem 
Oberschiedsgerichte der Angestelltenversicherung 
der Fall. Bei den übrigen Aemtern ist die Eig- 
nung zum Richter schon für einen Teil ihrer 
ständigen Mitglieder vorgeschrieben, wofern nicht 
eine nach anderer Richtung erforderliche Fach- 
kunde die Besetzung bedingt (Reichsrayonkom- 
mission). Bei den Aemtern der Sozialversiche- 
rung, dem Privatversicherungsamte, dem Ober- 
seeamte soll die Heranziehung von Beisitzern im 
Ehrenamte eine sachgemäße, Vertrauen findende 
Entscheidung sichern. 
In der Regel dient das Reichs VerwE den be- 
sonderen Verw Zweigen als die oberste und ein- 
zige Instanz;z abweichend hiervon ist dem Patent- 
amte (für das Nichtigkeitsverfahren) im Reichs- 
gerichte eine Berufungsinstanz gesetzt; dagegen 
haben in sich das Patentamt (Beschwerdeabtei- 
lung), das Privatversicherungsamt und die An- 
gestelltenversicherung eine doppelte reichsbehörd- 
liche Instanz, allerdings verschieden im Aufbau, 
entwickelt. 
Durchweg sind die Reichs Verwe nicht auf 
bloße Kassation beschränkt (wie der österreichische 
Verwaltungsgerichtshof). Positiv fehlt es jedoch 
an gemeinsamen Normen. Bald wird das Ver- 
fahren durch eine „Berufung“ eröffnet (Heimat- 
amt, Schiedsgericht), bald durch „Beschwerde“ 
(Oberseeamt, auch bei Patenterteilung) oder 
„Rekurs“ (Reichsrayonkommission, Reichsversiche- 
rungsamt, Privatversicherungsamt), andererseits 
auch wieder durch „Revision" (Reichsversicherungs- 
amt, Oberschiedsgericht): die Nachprüfung ist dar- 
nach in wechselndem Umfange bald auch auf die Tat- 
sachen erstreckt, bald auf den Rechtsgrund einge- 
schränkt. Vorschriften über das Verfahren sind dürf- 
tig, und ihr Ersatz durch die ZPO und St# P0ist in 
weiterem Maße nur für das Oberseeamt vorgesehen. 
Die Oeffentlichkeit ist für das Heimatamt, 
das Oberseeamt, das Reichsversicherungsamt, das 
Oberschiedsgericht hervorgehoben: die Voraus- 
setzungen für den Ausschluß der Oeffentlichkeit 
werden jedoch erst in den neueren Gesetzen klar- 
gestellt. Normen über Beweis und Amts- 
hilfe finden sich regelmäßig, jedoch weder 
üÜbereinstimmend (selbst in gleichzeitigen und 
gleichartigen Gesetzen nicht, vgl. § 15 RVO mit 
# 322 Angestelltenversicherungs G, das besondere 
Regeln für die Rechtshilfe aufstellt), noch aus- 
reichend. Die Entscheidung ist schriftlich abzu- 
fassen und mit Gründen zu versehen. Mittel zur 
Erhaltung der Rechtseinheit bei auseinander- 
gehenden Entscheidungen sind nur für das Reichs- 
versicherungsamt [X S 6831] geboten und bisher 
Bedürfnis. Anwaltszwang, Staatsanwaltschaft 
oder Vertreter des öffentlichen Interesses ist nir- 
gends vorgesehen. Weiter den Formalien nach- 
zugehen, ist hier nicht der Ort. Schon diese Bei- 
spiele zeigen aber, daß ein jedes dieser Verwo 
seinen eigenen Weg geht. 
  
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Das muß nahe legen: 
#s# 4. Reformfragen. 
I. An dem Punkt des Verfahrens hat die 
Kritik wenig eingesetzt. Sie eilte zu der Forde- 
rung nach einem einheitlichen Reichs VerwG. 
Doch will es mir scheinen, als ob der Mangel an 
Uebereinstimmung der Verfahrenssätze mehr als 
ein bloßer Schönheitsfehler sei; er wird zu einer 
Erschwerung für das Verständnis der Normen 
und deckt das noch unentwickelte Begreifen auf, 
wie mit all dem doch eine V. des Reiches schon 
im Anmarsche ist, die sich in weiterem Maße 
an eine einheitliche Linie halten könnte und 
sollte. Hier wäre es angebracht, Normalbestim- 
mungen aufzustellen, etwa wie es bei §§ 20, 
21 GewoO geschehen ist, — die nunmehr aber in 
den ausgebauten Normen für die Versicherungs- 
ämter die Anlehnung finden müßten — und auf 
die dann in jüngerer Gesetzgebung zu verweisen 
wäre (der Notbehelf der Gewerbeordnung würde 
überflüssig). Das würde auch den Weg zu einem 
Reichs Verw Gerichte ebnen. 
II. Eine allgemeine Reichsver- 
waltungsgerichtsbarkeit muß als For- 
derung aufgestellt werden, um der auf Reichs- 
gesetzen ruhenden Verwaltung die gebührende 
Aufsicht durch das Reich zu sichern. Ein grund- 
sätzlicher Unterschied gegenüber der Reichsgerichts- 
barkeit in bürgerlichen und Strafsachen ist nicht 
anzuerkennen. Doch wird praktisch die Führung 
der Verwaltung durch einen vielgestaltigen Or- 
ganismus innerhalb der Einzelstaaten auf den 
usbau der Reichs VerwE eine hemmende Wir- 
kung üben. Das Bedürfnis hat sich in der letzten 
Zeit wieder mehrfach fühlbar gemacht. Am 
dringendsten ist es dort, wo die Handhabung der 
Reichsgesetze durch die einzelstaatlichen Instanzen. 
zuweilen schon eine ärgerliche Ungleichheit zeigt 
(Beispiele in DJZ 1908 Sp. 957, die sich vermeh- 
ren lassen) oder zu Kompetenzkonflikten führt, 
an denen Behörden mehrerer Staaten oder von 
Reich und Staat beteiligt, die zur Zeit deshalb. 
lösbar sind. 
Fürs erste wird man sich danach mit einem 
Reichs VerwE begnügen können, das zur Lö- 
sung solcher formellen Konflikte 
sowie in Fällen zur Entscheidung berufen ist, 
wo die Verwaltungsgerichte eines. 
Staates in der Auslegung eines 
Reichsgesetzes von den Verwal- 
tungsgerichten eines anderen 
Staates (künftig auch des Reichs Verw). 
abweichen wollen. Als Vorbilder bieten 
sich Regelungen dar, wie sie das R über die 
freiwillige Gerichtsbarkeit § 28 oder die RVO 
in den §s§ 1693, 1799, 1718 enthalten. Das 
Reichs VerwG# würde also hier an die Stelle des 
Landesgerichtshofs treten (Anschütz). Bei einer 
Zuständigkeit in so bescheidenen Grenzen käme 
nicht eine neue Behörde, vielmehr nur der Aus- 
bau eines der bereits bestehenden Reichs Verwe# 
in Betracht; nicht das den Gegenständen der 
Verwaltung ferner stehende Reichsgericht (auch 
nicht unter Zuziehung von Verwerichtsmit- 
gliedern, wie Vierhaus vorschlug), am ehesten 
wohl das Bundesamt für das Heimatwesen mit 
seiner von Anbeginn spezifisch zwischenstaatlichen 
Zuständigkeit. Mit diesem Reichsverwaltungs- 
gerichte wäre ein Ansatzpunkt gewonnen für die
	        
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