Verwaltungsgerichtsbarkeit (Reich)
Erweiterung fähig; teils durch das Landesrecht
für den räumlichen Bereich des Staates auszu-
schließen (Reichsversicherungsamt). Einzelne Aem-
ter sind zugleich mit Verw Aufgaben betraut, wie
das Patentamt, das Reichseisenbahnamt, das
Reichsversicherungsamt, das Privatversicherungs-
amt. Sie müssen sich dann für ihre verwaltungs-
richterlichen Aufgaben durch Zuziehung von
richterlichen Mitgliedern verstärken. Das letztere
ist auch für die mündliche Verhandlung vor dem
Oberschiedsgerichte der Angestelltenversicherung
der Fall. Bei den übrigen Aemtern ist die Eig-
nung zum Richter schon für einen Teil ihrer
ständigen Mitglieder vorgeschrieben, wofern nicht
eine nach anderer Richtung erforderliche Fach-
kunde die Besetzung bedingt (Reichsrayonkom-
mission). Bei den Aemtern der Sozialversiche-
rung, dem Privatversicherungsamte, dem Ober-
seeamte soll die Heranziehung von Beisitzern im
Ehrenamte eine sachgemäße, Vertrauen findende
Entscheidung sichern.
In der Regel dient das Reichs VerwE den be-
sonderen Verw Zweigen als die oberste und ein-
zige Instanz;z abweichend hiervon ist dem Patent-
amte (für das Nichtigkeitsverfahren) im Reichs-
gerichte eine Berufungsinstanz gesetzt; dagegen
haben in sich das Patentamt (Beschwerdeabtei-
lung), das Privatversicherungsamt und die An-
gestelltenversicherung eine doppelte reichsbehörd-
liche Instanz, allerdings verschieden im Aufbau,
entwickelt.
Durchweg sind die Reichs Verwe nicht auf
bloße Kassation beschränkt (wie der österreichische
Verwaltungsgerichtshof). Positiv fehlt es jedoch
an gemeinsamen Normen. Bald wird das Ver-
fahren durch eine „Berufung“ eröffnet (Heimat-
amt, Schiedsgericht), bald durch „Beschwerde“
(Oberseeamt, auch bei Patenterteilung) oder
„Rekurs“ (Reichsrayonkommission, Reichsversiche-
rungsamt, Privatversicherungsamt), andererseits
auch wieder durch „Revision" (Reichsversicherungs-
amt, Oberschiedsgericht): die Nachprüfung ist dar-
nach in wechselndem Umfange bald auch auf die Tat-
sachen erstreckt, bald auf den Rechtsgrund einge-
schränkt. Vorschriften über das Verfahren sind dürf-
tig, und ihr Ersatz durch die ZPO und St# P0ist in
weiterem Maße nur für das Oberseeamt vorgesehen.
Die Oeffentlichkeit ist für das Heimatamt,
das Oberseeamt, das Reichsversicherungsamt, das
Oberschiedsgericht hervorgehoben: die Voraus-
setzungen für den Ausschluß der Oeffentlichkeit
werden jedoch erst in den neueren Gesetzen klar-
gestellt. Normen über Beweis und Amts-
hilfe finden sich regelmäßig, jedoch weder
üÜbereinstimmend (selbst in gleichzeitigen und
gleichartigen Gesetzen nicht, vgl. § 15 RVO mit
# 322 Angestelltenversicherungs G, das besondere
Regeln für die Rechtshilfe aufstellt), noch aus-
reichend. Die Entscheidung ist schriftlich abzu-
fassen und mit Gründen zu versehen. Mittel zur
Erhaltung der Rechtseinheit bei auseinander-
gehenden Entscheidungen sind nur für das Reichs-
versicherungsamt [X S 6831] geboten und bisher
Bedürfnis. Anwaltszwang, Staatsanwaltschaft
oder Vertreter des öffentlichen Interesses ist nir-
gends vorgesehen. Weiter den Formalien nach-
zugehen, ist hier nicht der Ort. Schon diese Bei-
spiele zeigen aber, daß ein jedes dieser Verwo
seinen eigenen Weg geht.
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Das muß nahe legen:
#s# 4. Reformfragen.
I. An dem Punkt des Verfahrens hat die
Kritik wenig eingesetzt. Sie eilte zu der Forde-
rung nach einem einheitlichen Reichs VerwG.
Doch will es mir scheinen, als ob der Mangel an
Uebereinstimmung der Verfahrenssätze mehr als
ein bloßer Schönheitsfehler sei; er wird zu einer
Erschwerung für das Verständnis der Normen
und deckt das noch unentwickelte Begreifen auf,
wie mit all dem doch eine V. des Reiches schon
im Anmarsche ist, die sich in weiterem Maße
an eine einheitliche Linie halten könnte und
sollte. Hier wäre es angebracht, Normalbestim-
mungen aufzustellen, etwa wie es bei §§ 20,
21 GewoO geschehen ist, — die nunmehr aber in
den ausgebauten Normen für die Versicherungs-
ämter die Anlehnung finden müßten — und auf
die dann in jüngerer Gesetzgebung zu verweisen
wäre (der Notbehelf der Gewerbeordnung würde
überflüssig). Das würde auch den Weg zu einem
Reichs Verw Gerichte ebnen.
II. Eine allgemeine Reichsver-
waltungsgerichtsbarkeit muß als For-
derung aufgestellt werden, um der auf Reichs-
gesetzen ruhenden Verwaltung die gebührende
Aufsicht durch das Reich zu sichern. Ein grund-
sätzlicher Unterschied gegenüber der Reichsgerichts-
barkeit in bürgerlichen und Strafsachen ist nicht
anzuerkennen. Doch wird praktisch die Führung
der Verwaltung durch einen vielgestaltigen Or-
ganismus innerhalb der Einzelstaaten auf den
usbau der Reichs VerwE eine hemmende Wir-
kung üben. Das Bedürfnis hat sich in der letzten
Zeit wieder mehrfach fühlbar gemacht. Am
dringendsten ist es dort, wo die Handhabung der
Reichsgesetze durch die einzelstaatlichen Instanzen.
zuweilen schon eine ärgerliche Ungleichheit zeigt
(Beispiele in DJZ 1908 Sp. 957, die sich vermeh-
ren lassen) oder zu Kompetenzkonflikten führt,
an denen Behörden mehrerer Staaten oder von
Reich und Staat beteiligt, die zur Zeit deshalb.
lösbar sind.
Fürs erste wird man sich danach mit einem
Reichs VerwE begnügen können, das zur Lö-
sung solcher formellen Konflikte
sowie in Fällen zur Entscheidung berufen ist,
wo die Verwaltungsgerichte eines.
Staates in der Auslegung eines
Reichsgesetzes von den Verwal-
tungsgerichten eines anderen
Staates (künftig auch des Reichs Verw).
abweichen wollen. Als Vorbilder bieten
sich Regelungen dar, wie sie das R über die
freiwillige Gerichtsbarkeit § 28 oder die RVO
in den §s§ 1693, 1799, 1718 enthalten. Das
Reichs VerwG# würde also hier an die Stelle des
Landesgerichtshofs treten (Anschütz). Bei einer
Zuständigkeit in so bescheidenen Grenzen käme
nicht eine neue Behörde, vielmehr nur der Aus-
bau eines der bereits bestehenden Reichs Verwe#
in Betracht; nicht das den Gegenständen der
Verwaltung ferner stehende Reichsgericht (auch
nicht unter Zuziehung von Verwerichtsmit-
gliedern, wie Vierhaus vorschlug), am ehesten
wohl das Bundesamt für das Heimatwesen mit
seiner von Anbeginn spezifisch zwischenstaatlichen
Zuständigkeit. Mit diesem Reichsverwaltungs-
gerichte wäre ein Ansatzpunkt gewonnen für die