Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
Verwaltungsgerichtsbarkeit (Preußen) 
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schuß zuständig sei. Die Bersammlung klagt gegen den Bür- 
germeister auf Aufhebung der Beanstandung. Dann hat der 
Bürgermeister die Beanstandung gegen sein subiektives In- 
teresse zu verteidigen und zu vertreten, durch so viele In- 
stanzen, wie ihm von seiner Aussichtsbehörde aufgegeben wird. 
Im Zusammenhang hiermit mag darauf hin- 
gewiesen werden, daß die Versäumung 
im Verw treitverfahren eine viel geringere Be- 
deutung hat als im Zivilprozeß. 
Abgesehen von der besonderen Stellung der Be- 
hörden, die im Verw Streitverfahren viel mehr 
ausgeprägt ist als im Zivilprozeß, gelten für die 
Parteifähigkeit keine besonderen Vor- 
schriften, sie richtet sich nach dem materiellen 
Rechte. Dasselbe gilt von der Prozeß- 
fähigkeit und von der Sachlegiti- 
mation, wegen der zu erwähnen ist, daß eine 
Popularklage dem Verwötreitverfahren nicht 
unbekannt ist. Es kommt in gewissen Fällen 
vor, daß jedes Mitglied eines gewissen Personen- 
kreises eine Klage erheben kann, auch ohne ein 
eigenes subjektives Interesse zu haben. Freilich 
muß er in den meisten Fällen vorher einen Ein- 
spruch bei der VerwBehörde erhoben haben 
und mit diesem zurückgewiesen sein. Das gilt 
z. B. bei Streitigkeiten über die Richtigkeit von 
Wählerlisten und über Wahlen. In gewissen 
Fällen kann auch ein und dasselbe Recht von 
Mehreren geltend gemacht werden, ohne daß 
eine eigentliche Popularklage vorliegt, z. B. 
wenn eine VerwMaßregel sowohl von dem 
unmittelbar Betroffenen als auch von einer 
Behörde im öffentlichen Interesse angefochten 
werden kann (näheres Mueller, Begriffe, 141, 142). 
Der Begriff der Streitgenossenschaft 
ist dem Verw Streitverfahren bekannt. Das CVG 
kennt auch eine notwendige Streitgenossenschaft 
und behandelt sie ebenso wie im Ziovilprozeß. 
Vielfach ist eine Streitgenossenschaft ausdrücklich 
im Gesetz als notwendig bezeichnet. 
Diese Fälle werden in der Novelle zum LBVG noch ver- 
mehrt, aber mit der Maßgabe, daß die Ausdehnung der Klage 
auf einen Streitgenossen unter gewissen Umständen nachge- 
holt werden kann. 
Die Beteiligung Dritter am Rechtsstreit erfolgt 
nicht durch Nebenintervention oder durch Streit- 
verkündung, sondern nur durch Beiladung#), 
die von dem VerwE von Amts wegen oder auf 
Antrag (auch des Beizuladenden) verfügt werden 
kann. Die Rechtsprechung des O# hat das 
Institut der notwendigen Beiladung geschaffen, 
namentlich ist bei Wahlstreitigkeiten die Bei- 
ladung des Gewählten notwendig. Dieser not- 
wendig Beigeladene kann Rechtsmittel einlegen 
und überhaupt alle Rechte einer dritten Partei 
wahrnehmen. Im übrigen haben das O## 
und das Heimatamt der Vorschrift, daß die Ent- 
scheidung auch dem Beigeladenen gegenüber 
gültig sei, nur eine sehr beschränkte Anwendung 
gegeben. Namentlich in bezug auf Rechtsmittel 
ist die Stellung des Beigeladenen eine sehr un- 
glückliche. Er kann Rechtsmittel einlegen, gilt 
aber nur dann als zur Sache legitimiert, wenn 
ein im Verwtreitverfahren geltend zu machen- 
des Interesse desselben durch das angefochtene 
1) Neuere Bearbeitung: Mohrmann, die Beiladung, 
Diss. Göttingen, 1910; Schultzenstein, Verwrch 
19, 1911, 1—42. (D. S.) 
  
Urteil wirklich berührt wird, ein Fall, der abge- 
sehen von der notwendigen Beiladung noch nie 
festgestellt worden ist. 
Die Novelle will dieser unglücklichen Stellung ein Ende 
machen; sie hebt die Bestimmung, daß das Urteil dem Bei- 
geladenen gegenüber gültig sei, auf, sie bestimmt ausdrücklich, 
daß der Beigeladene nicht Partei sei und als Zeuge und 
Sachverständiger vernommen werden kann. Der bisher 
notwendig Beigeladene wird Hauptpartei, kann aber nach- 
träglich auch nach Ablauf der Klagefrist hinzugezogen wer- 
den. Der Beigeladene behält also für jedes spätere Ber- 
fahren alle seine Rechtsbehelfe. Ob die so geordnete Bei- 
ladung noch als Streitverkündung im Sinne BG # 200 
II 4, ½ 215, 220 angesehen werden kann, mag späterer Er- 
wägung vorbehalten bleiben. 
Als dritte Partei kann auch der Vertreter 
des öffentlichen Interesses in das 
Verwtreitverfahren eintreten, etwa wie der 
Staatsanwalt in Ehesachen, die zwischen den 
beiden Ehegatten geführt werden. Der Ver- 
treter des öffentlichen Interesses hat nur eine 
Gutachtertätigkeit, und ist zur Einlegung von 
Rechtsmitteln nicht befugt (LVG 5K 74 II). Da- 
gegen kann der Vorsitzende gegen das Urteil 
des Kollegiums ein Rechtsmittel im öffentlichen 
Jutresse einlegen, das dann in der weiteren 
nnstanz durch einen besonderen Kommissar ver- 
treten wird (LVG F 84, 95). 
Die Novelle will dieses ändern, indem das Rechtsmittel 
durch den Vorsitzenden abgeschafft wird, und dagegen dem 
Kommissar die Einlegung von Rechtsmitteln zugestanden 
wird. Diese Aenderung bedeutet eine sehr viel wirksamere 
Vertretung des öffentlichen Interesses als das bisherige 
Recht sie hatte (vgl. Friedrichs im Verwüarch 6, 416). 
Im Beschlußverfahren [XI kommt eine Mehr- 
eit von Parteien nur ausnahmsweise vor. Die 
egel ist der Kampf des einzelnen gegen das 
öffentliche Interesse, das von der Behörde von 
Amts wegen wahrzunehmen ist. In diese Klasse, 
aber mit möglicher Beteiligung von entgegen- 
esetzten subjektiven Interessen gehört das Ver- 
ahren bei Genehmigung gewerblicher Anlagen. 
Es gibt auch Beschlußverfahren, bei denen die 
Mehrheit von Parteien wesentlich ist, diese 
dienen dann aber regelmäßig nur zur Vorberei- 
tung eines Verwtreitverfahrens oder des 
Rechtsstreits im ordentlichen Rechtsweg, sodaß 
oft keine Beschwerde an die höhere Beschluß- 
behörde zulässig ist. Dahin gehören z. B. die 
Auscinandersetzungen zwischen Gemeinden usw. 
bei Gebietsveränderungen, Streitigkeiten zwi- 
schen Gemeinden und ihren Beamten über deren 
Vermögensansprüche us. 
§ 7. Vertretung der Parteien. Die Parteien 
können sich vertreten lassen. Das gilt auch für 
öffentliche Behörden. (Auch diese können einen 
Vertreter bestellen, und es ist nichts Ungewöhn- 
liches, daß ein Rechtsanwalt als Vertreter einer 
solchen erscheint.) Sie haben aber das besondere 
Vorrecht, daß ihnen für die mündliche Verhand- 
lung vor dem Bezirksausschuß und dem OVG 
ein Beamter (Kommissar) als Vertreter be- 
stellt werden kann (LVG K 74. Für gewisse 
Kollegien ist ferner das Recht, einen besonderen 
Vertreter zu bestellen, ausdrücklich ausgespro- 
chen. Es handelt sich um Provinzial-Landtag, 
Provinzialausschuß und Provinzialkommission 
(Prov O # 118), den Kreistag (KrO #§ 180; Zust G 
*l4), die Gemeindevertretung und den kollegiali-
	        
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