Verwaltungsgerichtsbarkeit (Preußen)
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auch Anlaß zur Vertagung eines Termines geben,
doch besteht kein Anspruch darauf. Nach Ablauf
der Frist oder nach Abschluß des Schriftwechsels
kann ein Termin zur mündlichen Verhandlung
anberaumt werden; es kann auch jetzt noch ein
Bescheid nach LVG §K567 erlassen werden; oder
wenn beide Parteien auf mündliche Verhandlung
verzichtet haben, ein Urteil (LVG 8 80), wogegen
nur das Rechtsmittel, kein Einspruch stattfindet.
1. Die mündliche Verhandlung
wird durchgeführt, auch wenn beide Parteien
nicht erscheinen. Sie beginnt mit dem Vortrag
durch ein Mitglied des Gerichts als Berichterstat-
ter. Bei dem Erscheinen sämtlicher Beteiligter
kann der Vorsitzende diesen den Vortrag des
Sachverhalts überlassen (Regl f. d. OVG +##8 III.
Bezirksausschuß & 11, Kreisausschuß § 11). Wenn
beide Parteien durch Rechtsanwälte vertreten
sind, wird in der Regel von dem Gerichtsmitglied der
unstreitige Tatbestand vorgetragen, und den Par-
teien der Vortrag der streitigen Behauptungen
überlassen, eine Einrichtung, die sich bewährt.
Nach der Novelle soll der össentliche Vortrag des Bericht-
erstatters wegfallen, wenn beide Parteien ausbleiben.
Sind die Parteien erschienen, so müssen sie auf
alle Fälle zum Wort gelassen werden, der Kom-
missar für das öffentliche Interesse als Nebenbe-
teiligter (LVG 74 II) erhält das Wort zuletzt,
nach ihm werden die Parteien nicht mehr gehört.
Die Vorsitzenden (und die Mitglieder des Ge-
richts) haben das Recht, Fragen an die
Parteien zu stellen. Das Gericht kann auch
zum Zwecke der Aufklärung das persönliche
Erscheinen der Parteien anordnen
(LVG / 68 1I), oder nach der Novelle die Par-
teien zum persönlichen Erscheinen auffordern.
Wenn die aufgeforderte Partei nicht erscheint,
oder eine Frage nicht beantwortet, so hat das
keine formellen Nachteile zur Folge. Die Auf-
klärung ist eben nicht geglückt. Der Nachteil kann
die ausgebliebene Partei treffen, aber auch die
Gegenpartei, wenn die Aufklärung in deren
Interesse gelegen hat. Ein Zugeständnis wird
nicht unterstellt. Die schriftlichen Acußerungen
der Parteien sind unter allen Umständen zu
berücksichtigen, einerlei ob sie in der mündlichen
Verhandlung vertreten werden oder nicht ½).
2. Wenn eine Beweisaufnahme:) not-
wendig ist, so kann sie wie im Zivilprozeß auf
Grund der mündlichen Verhandlung beschlossen
werden. Es kann aber auch schon vor der ersten
Verhandlung ein Beweisbeschluß erlassen werden
(LVG# 5K l76). Der Beweisbeschluß soll nach der
Novelle auch von dem Vorsitzenden erlassen
werden können.
Die Beweisaufnahme erfolgt von Amts wegen
entweder in der Hauptverhandlung oder durch
eines der Gerichtsmitglieder oder durch eine er-
suchte Behörde, unter Zuziehung eines vereideten
oder durch Handschlag verpflichteten Protokollfüh-
rers. Das Gericht ist befugt, nicht nur den angetre-
tenen, sondern auch den nach seinem Ermessen erfor-
derlichen Beweis zu erheben. Es können auch ohne
besonderen Beweisbeschluß die von den Parteien
gestellten Zeugen sofort vernommen werden.
1) Schultßenstein, Verwolrch 21, 1913, 369.
*) Leusch, Beweis im Beiw Streitverfahren in erster
Instanz, Tiss. Halle 1911. (D. H.).
Als Beweismittel kennt das Gesetz
Zeugen, Sachverständige und Augenschein. Dazu
kommen selbstverständlich auch Urkunden und
Auskünfte, aber nach der Rechtsprechung des
OV, dem das Heimatamt sich nicht immer an-
geschlossen hat, nicht der Parteieid.
Den Zeugen und Sachverständigen gegenüber
hat das Gericht dieselbe Zwangsgewalt wie die
ordentlichen Gerichte, nur ist die Ungehorsams-
strafe unnötigerweise geringer bemessen, woran.
auch die Novelle nur etwas ändert. Eine Zwangs-
haft gibt es nicht. Die Beeidigung liegt im Er-
messen des Gerichts, die Parteien können sie we-
der verlangen noch darauf verzichten. Ueber die
Form des Eides hat das Gesetz keine eigenen
Bestimmungen, es sind die der Zivilprozeßordnung
anzuwenden. Ein Gutachten kann schriftlich oder
mündlich eingefordert werden, aber auch die
Zeugen können zu einer schriftlichen Aeußerung
veranlaßt werden.
Der Urkundenbeweeis ist unzweifelhaft zu-
lässig. Die Parteien haben aber nur Anspruch
auf Benutzung solcher Urkunden, die sie bis zum
Termin beschaffen können, wobei das Gericht
ihnen durch Einforderung von Behörden zu Hilfe
kommen kann. Ein formelles Editionsverfahren
ist nicht vorgesehen und nicht zulässig.
Die Würdigung der Beweise erfolgt nach
freiem Ermessen. Gesetzliche Beweisregeln sin
nicht gegeben, aber die Beweiskraft öffentlicher
Urkunden kann nicht übergangen werden, weil
die gesetzlichen Vorschriften, durch die den öffent-
lichen Urkunden öffentlicher Glaube verliehen
wird, auch den Verwichter binden müssen.
Das Gericht kann im Wege freier Beweis-
würdigung auch den bestrittenen einseitigen Er-
klärungen einer Partei Glauben schenken, andrer-
seits ist es auch an übereinstimmende Erklärungen.
beider Parteien nicht gebunden.
Die Beweislast gehört dem materiellen
Recht an. Sie ist erst nach Erhebung der Be-
weise zu prüfen. Wenn über ein subjektives
Recht gestritten wird, namentlich bei Geldforde-
rungen, hat in der Regel derjenige den vollen
Beweis zu erbringen, der das Recht behauptet.
Bei Wahlstreitigkeiten hat der Anfechtende zu be-
weisen, daß eine Unregelmäßigkeit vorgekommen
sei, aber der Gegner, daß diese Unregelmäßigkeit
keinen Einfluß auf das Ergebnis gehabt habe;
in Gemeindeabgabestreitigkeiten hat die Ge-
meindebehörde die Grundlagen der Steuerpflicht,
den öffentlichen Charakter der Abgabe, und die
subjektive Steuerpflicht des Schuldners, nament-
lich seine Zugehörigkeit zum Bezirk zu beweisen,
der Herangezogene dagegen alle für die Höhe
der Abgabe erforderlichen Tatsachen. Bei poli-
zeilichen Verfügungen muß die Behörde be-
weisen, daß sie zu dem Erlaß der Verfügung
allgemein zuständig ist, daß die Angelegenheit
ihrer Fürsorge untersteht (so bei wegepolizeilichen
Verfügungen auch, daß der Weg ein öffentlicher
ist), dagegen der Betroffene, daß im Einzelfalle
nicht die tatsächlichen Voraussetzungen vorhanden.
sind, welche die Behörde zum Erlaß der Behörde
berechtigt haben würde. In einzelnen Fällen
kommen auch gesetzliche Vermutungen vor (Fried-
richs, LVG 876 Anm. 29) und in gewissen Fällen
auch die Glaubhaftmachung (Friedrichs, Verw-
Arch 6, 496. LVG 5 76 Anm. 31).