Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
Verwaltungsgerichtsbarkeit (Sachsen) 
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ihres Anwendungsgebietes werden sie, abweichend 
von den Parteistreitigkeiten, im G v. 19. 7. 00 
nicht durch eine in das Einzelne gehende Auf- 
zählung, sondern der Hauptsache nach durch eine 
allgemeine Formel bestimmt. 
Diese allgemeine Formel (5 73 Ziffer 1 
des G über die Verwechtspflege) lautet dahin, 
daß die Anfechtungsklage den Beteiligten gegen die 
in zweiter Instanz von dem Min Inn, von den 
Kreis= oder Amtshauptmannschaften, sei es allein 
oder unter Mitwirkung der Kreis= oder Bezirks- 
ausschüsse, getroffenen Entscheidungen zusteht. 
Daneben gibt das Gesetz die Anfechtungsklage noch 
in einer Reihe von Einzelfällen, die in 8 73 
Ziffer 2 bis 8 und in & 74 aufgeführt sind und 
sehr verschiedenartige Rechtsgebiete (Ablösungen 
und Gemeinheitsteilungen, Berg-, Eisenbahn= und 
Wassersachen, Eintragung und Rechtsfähigkeit von 
Vereinen, Auflösung von Genossenschaften, Ge- 
sellschaften mit beschränkter Haftung, Aktiengesell- 
schaften usw.) berühren, insbesondere auch ge- 
wisse Entscheidungen des Min des Kultus und 
öffentlichen Unterrichts über Schulanlagen und 
Schulgeld, katholische Kirchenanlagen, religiöse 
Kindererziehung und die mit der Vertretung der 
Schulgemeinden zusammenhängenden Rechte und 
Pflichten) der Nachprüfung des Oberverwaltungs- 
gerichtes unterstellen. 
Gleichzeitig mit dem Gesetz über die Verw- 
Rechtspflege beschäftigten sich überdies die Gv. 
20. 6., 20. und 21. 7. 00 mit der Anfechtungs- 
klage, indem sie letztere gegenüber Entscheidungen 
über die Entbehrlichkeit öffentlicher Sachen bei 
Zwangsvollstreckungen und Konkursen, sowie für 
die Streitigkeiten in staatlichen Einkommen= und 
Wanderlagersteuersachen einführten. Dazu sind 
dann im Laufe der Zeit noch weitere teils reichs-, 
teils landesrechtliche Bestimmungen gekommen, 
die eine Ausdehnung der Anfechtungsklage auf 
neue Gebicte gebracht haben und von denen an 
dieser Stelle aus dem Reichsrechte das G über die 
privaten Versicherungsunternehmungen v. 12. 5. 
01 und das Vereins G v. 19. 4. 08, aus dem 
Landesrechte das Ergänzungs-(Vermögens-ssteuer- 
Gv. 2. 7. 02, die G v. 24. 5. und 19. 9. 02 über 
die Ausdehnung der VerwRechtspflege auf kirch- 
liche Angelegenheiten und über die Einrichtung 
eines Adelsbuches, das Gv. 10. 6. 04 über die 
israelitischen Religionsgemeinden, die Aerzte O 
v. 15. 8. 04, das Stempelsteuer G v. 12. 1. 09 
und das Wasser G v. 12. 3. 09 hervorgehoben sein 
mögen. 
Auf der anderen Seite verfügt zwar § 75 G 
über die Verwechtspflege durch seine noch gel- 
tenden Vorschriften in Ziffer 1—4 und Ziffer 6, 
daß die Anfechtungsklage ausgeschlossen ist gegen 
zweitinstanzliche Eutscheidungen der Behörden der 
inneren Verwaltung, wenn sie nach besonderer 
gesetzlicher Vorschrift endgültig sind oder ein an- 
deres Rechtsmittel dagegen zusteht oder der 
ordentliche Rechtsweg beschritten werden kann, 
ferner gegen Entscheidungen über Steuerforde- 
rungen, wenn bloß das Ergebnis einer Abschätzung 
angefochten wird, gegen polizeiliche Verfügungen 
zur Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen 
und gegen einstweilige Maßregeln, endlich gegen 
gewisse gewerberechtliche Genehmigungs= und 
Untersagungsbeschlüsse. Immerhin läßt aber doch 
die in vorstehendem gegebene Uebersicht trotz 
  
aller — durch die Raumverhältnisse gebotenen — 
Kürze so viel erkennen, daß die Tragweite der 
Parteistreitigkeiten von derienigen der Anfech- 
tungsklage weit überragt wird und daß durch die 
Einführung und Ausgestaltung der letzteren eine 
nahezu umfassende Verwechtspflege in Sachsen 
verwirklicht worden ist. 
§# 3. Die Verwaltungsgerichte. Die im 5+ 2 
besprochene Zweiteilung der Verw Streitsachen 
kehrt in der Zweiteilung der Verwal- 
tungsgerichte wieder, indem die erstin- 
stanzliche Erledigung der Parteistreitigkeiten den 
Kreishauptmannschaften als Verwerichten, die 
erst- und letztinstan zliche Bearbeitung der Anfech- 
tungsklagsachen dagegen — neben der zweitin- 
stanzlichen Entscheidung in Parteistreitigkeiten — 
dem Oberverwaltungsgericht übertragen ist. 
a) Die Kreishauptmannschaften 
entscheiden als Verwaltungsgerichte, 
als welche sie sich gegebenenfalls ausdrücklich zu 
bezeichnen haben, in ihrer durch § 25 Organi- 
sations G v. 21. 4. 73 geordneten kollegialen Zu- 
sammensetzung (Kreishauptmann und zwei der 
ihm beigegebenen Beamten) und unterstehen in 
verwaltungsgerichtlichen Angelegenheiten der 
Dienstaufsicht des Oberverwaltungsgerichts, dessen 
Aufträge sie auszuführen haben. Ihre örtliche 
Zuständigkeit richtet sich bei Streitigkeiten über 
ein Grundstück nach dem Bezirk, in dem das 
Grundstück liegt, in allen sonstigen Fällen nach 
dem Wohnsitze oder Sitze der beklagten Partei 
und wird, wenn Zweifel entstehen, vom Oberver- 
waltungsgerichte bestimmt. Ueber Klagen gegen 
den Landarmenverband entscheidet, wenn dieser 
durch die Kreishauptmannschaft Dresden ver- 
treten wird, das VerwGericht zu Leipzig, sonst 
dasjenige zu Dresden. 
b) Das Oberverwaltungsgericht 
hat seinen Sitz in Dresden und setzt sich aus einem 
Präsidenten und der erforderlichen Zahl von Se- 
natspräsidenten und Räten zusammen. Während 
es bei seiner Errichtung aus dem Pröäsidenten, 
einem Senatspräsidenten und acht Näten be- 
stand, ist es nach und nach durch den Hinzutritt 
von fünf weiteren Räten vergrößert worden; für 
den 1. Juni 1914 ist die Ernennung eines zweiten 
Senatspräsidenten vorgesehen. Die Mitglieder 
des Gerichtshofes werden auf Vorschlag des Ge- 
samt Min vom König auf Lebenszeit ernannt, 
müssen zum Richteramt oder zum höheren Verw- 
Dienste befähigt sein und sind mit richterlicher Un- 
abhängigkeit ausgestattet. Der Gerichtshof zer- 
fällt in Senate, die in der Besetzung von fünf 
Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden ent- 
scheiden; er tritt aber unter Vorsitz des Chef- 
präsidenten auch zu Plenarsitzungen zusammen, 
namentlich dann, wenn ein Senat in einer Rechts- 
frage von einer früheren Entscheidung eines an- 
deren Senates oder des Plenums abweichen will, 
welchenfalls (unter notwendiger Teilnahme von 
mindestens zwei Dritteilen aller Mitglieder und 
mit Dezisivstimme des Vorsitzenden) eine Plenar- 
entscheidung getroffen wird, die den erkennenden 
Senat in der Rechtsfrage bindet. Alle Entschei- 
dungen des Oberverwaltungsgerichtes sind, abge- 
sehen von den Ausnahmefällen einer Wiederauf- 
nahme des Verfahrens, endgültig. 
Eine wesentliche Erweiterung seiner Zuständig- 
keitsgrenzen hat das Oberverwaltungsgericht er- 
v. St engel-Fleischmann, Wörterbuch. 2. Aufl. III. 49
	        
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