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Verwaltungsgerichtsbarkeit (Sachsen)
fahren durch den am 22. 1. 11 (zufolge Schluß-
protokolls v. 28. 12. 11, 2. und 3. 1. 12 auf 15
Jahre unkündbar) abgeschlossenen Staatsvertrag
mit den Fürstentümern Reuß II1 älterer und
jüngerer Linie, wonach es die Verwechtspflege
dieser Fürstentümer auszuüben hat, soweit nach
deren Landesgesetzen den Beteiligten die Anfech-
tungsklage gegen Entscheidungen reußischer Verw-
Behörden gegeben ist. Es erläßt solchenfalls seine
Urteile im Namen des Fürsten Reuß älterer
(jüngerer) Linie als Königlich Sächsisches für das
Fürstentum Reuß älterer (jüngerer) Linie bestelltes
Oberverwaltungsgericht, wobei es Siegel mit den
sächsischen und reußischen Wappenschildern führt.
c) Für beide Gattungen der Ver-
waltungsgerichte gleichmäßig sind
in 5 13 und 18 G über die Verwhechtspflege
Anordnungen über die Beschlußfassungen und Ab-
stimmungen sowie über den Ausschluß und die
Ablehnung der Richter getroffen. In letzterer Hin-
sicht wird vom Gesetze, unter Hinzufügung einiger
Sondervorschriften für die Kreishauptmann-
schaften, auf die Zivilprozeßordnung verwiesen.
§s 4. Grundsätze für das Verfahren. Das Ge-
setz über die VerwRechtspflege trifft hierüber in
s5 25—33 eine Reihe allgemeiner Bestimmungen
und regelt in §# 34—61 das erstinstanzliche Ver-
fahren vor den Kreishauptmannschaften eingehend,
worauf es noch in sH 62—69, 73—84 die Be-
sonderheiten des Verfahrens in Berufungs= und
Anfechtungsklagsachen festsetzt. Hervorzuheben
ist, daß es das Verfahren erschöpfend ordnet und
wegen der grundsätzlichen Verschiedenheit des
Zivilprozesses, dessen Verhandlungsmaxime und
Verzichtsprinzip mit der Natur der Verw treit-
sachen unvereinbar sind, eine allgemeine Ver-
weisung auf die Zivilprozeßordnung vermieden,
vielmehr die anwendbaren Bestimmungen der
Zivilprozeßordnung ausdrücklich bezeichnet hat.
1. Die allgemeinen Vorschriften
über das Verfahren gipfeln in dem Satze,
daß die Verw Gerichte von Amts wegen den
Sachverhalt erforschen und den Beweis erheben
und auf Grund des festgestellten Tatbestandes
entscheiden, wobei sie zwar nicht über den Gegen-
stand der Verhandlung hinausgehen dürfen, im
üÜbrigen aber weder an die gestellten Anträge,
noch an die zu ihrer Rechtfertigung vorgebrachten
Gründe gebunden sind, insbesondere eine ange-
fochtene Entscheidung, wenn dabei ein öffentliches
Interesse vorliegt, auch zum Nachteile dessen, der
ein Rechtsmittel eingewendet hat, abändern kön-
nen (reformatio in pejus).
Den Parteien wird die Befugnis zur Akten-
einsicht eingeräumt und volles rechtliches Gehör
durch die Anordnung gewährleistet, daß die Urteile
auf keine Tatsache und kein Beweismittel gestützt
werden dürfen, worüber den Parteien nicht Ge-
legenheit zur Aeußerung gegeben war.
Die Verhandlung über den Streitgegenstand vor
dem erkennenden Gerichte soll öffentlich und
mündlich sein; doch ist dies, wie gleich hier be-
merkt werden mag, erheblich dadurch eingeschränkt,
daß die mündliche Verhandlung bei Verzicht der
Parteien unterbleibt und in den Fällen der Anfech-
tungsklage überhaupt nur auf ausdrücklichen An-
trag der Beteiligten stattfindet. Von mündlicher
Verhandlung über Anfechtungsklagen in staat-
lichen Einkommen-, Ergänzungs= und Stempel-
steuersachen kann das Gericht sogar ganz nach
eigenem Ermessen absehen. Andererseits ist es
natürlich nirgends behindert, eine solche Verhand-
lung auch ohne oder gegen den Wunsch der Be-
teiligten eintreten zu lassen, wenn es hiervon
eine Förderung der Sache erwartet.
2. Die Vorschriften über das Ver-
fahren in erster Instanz vor den
Kreishauptmannschaften gehen in die
Einzelheiten ein und beschäftigen sich namentlich mit.
der Klagerhebung, der mündlichen Verhandlung,
der Beweisaufnahme und der Urteilsfällung.
Wichtig und teilweise eigenartig ist folgendes:
a) Die einmal erhobene Klage kann, wenn ein
öffentliches Ineeresse dabei vorliegt, nur mit Ein-
willigung des Gerichtes zurückgenommen wer-
den. Der Vorsitzende ist berechtigt, bei Mängeln
der Klage Einleitung des Streitverfahrens abzu-
lehnen, nach Befinden aber auch eine kurze Frist
zur Behebung der Mängel einzuräumen. Das
Gericht darf kurze Erledigung des Streitfalles.
ohne mündliche Verhandlung durch einen bloßen
Vorbescheid versuchen, falls ihm das Klagvor-
bringen entweder ohne weiteres unzulässig, be-
ziehentlich unbegründet oder ohne weiteres recht-
lich begründet erscheint.
b) Das Gericht kann auf Antrag oder von
Amts wegen Dritte, deren Interesse durch das.
Urteil berührt wird, zur mündlichen Verhandlung
abeiladen“. Durch die Beiladung werden diese
Dritten Partei und von dem Urteil mit gebunden.
c) Der Beweis wird in der Regel in der
mündlichen Verhandlung erhoben. Zeugen und
Sachverständige (bezüglich deren in der Hauptsache
auf die Zivilprozeßordnung verwiesen wird) sind,
falls überhaupt erforderlich, erst nach der Ver-
nehmung oder Begutachtung zu vereiden.
d) Das Gericht entscheidet, soweit gesetzlich nichts.
anderes bestimmt ist, nach seiner freien, aus dem
ganzen Inhalte der Verhandlung und dem Er-
gebnis der Beweisaufnahme geschöpften Ueber-
zeugung. Die von einer Partei vorgebrachten
Tatsachen können, wenn sich die Gegenpartei
nicht im Termine oder sonst darüber erklärt hat,
für zugestanden erachtet werden.
e) Dasrechtskräftige Urteil bindet für den
Streitgegenstand außer den Parteien sowohl die
Verw erichte, als auch die VerwBehörden und
zwar diese mit der Wirkung, daß sie gegen den
Willen der Parteien nichts verfügen können, was
davon abweicht. (Ein bedeutungsvoller Ausspruch,
mit dem eine Lösung der bestrittenen Frage nach
der materiellen Rechtskraft der verwaltungsge-
richtlichen Urteile unternommen wird!)
3. In betreff des Verfahrens vor dem
Oberverwaltungsgerichte auf eine gegen
ein Urteil der Kreishauptmannschaft
eingewendete Berufung wird in §5#68 G über die
Verw Rechtspflege auf die für die erstinstanzlichen
Verfahren geltenden Vorschriften verwiesen, wo-
von durch die Sonderbestimmungen des §& 69 nur
einige unwesentliche Ausnahmen gemacht werden.
In Parteistreitigkeiten liegt also den VerwGe-
richten gleichmäßig in erster wie in zweiter In-
stanz — im Gegensatze zu den dem Oberverwal-
tungsgerichte für die meisten Fälle der Anfech-
tungsklage gezogenen Grenzen (vergleiche nach-
stehend unter d) — eine vollständige Prüfung des
gesamten Streitverhältnisses nach seiner tatsäch-