Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
770 
Verwaltungsgerichtsbarkeit (Sachsen) 
  
fahren durch den am 22. 1. 11 (zufolge Schluß- 
protokolls v. 28. 12. 11, 2. und 3. 1. 12 auf 15 
Jahre unkündbar) abgeschlossenen Staatsvertrag 
mit den Fürstentümern Reuß II1 älterer und 
jüngerer Linie, wonach es die Verwechtspflege 
dieser Fürstentümer auszuüben hat, soweit nach 
deren Landesgesetzen den Beteiligten die Anfech- 
tungsklage gegen Entscheidungen reußischer Verw- 
Behörden gegeben ist. Es erläßt solchenfalls seine 
Urteile im Namen des Fürsten Reuß älterer 
(jüngerer) Linie als Königlich Sächsisches für das 
Fürstentum Reuß älterer (jüngerer) Linie bestelltes 
Oberverwaltungsgericht, wobei es Siegel mit den 
sächsischen und reußischen Wappenschildern führt. 
c) Für beide Gattungen der Ver- 
waltungsgerichte gleichmäßig sind 
in 5 13 und 18 G über die Verwhechtspflege 
Anordnungen über die Beschlußfassungen und Ab- 
stimmungen sowie über den Ausschluß und die 
Ablehnung der Richter getroffen. In letzterer Hin- 
sicht wird vom Gesetze, unter Hinzufügung einiger 
Sondervorschriften für die Kreishauptmann- 
schaften, auf die Zivilprozeßordnung verwiesen. 
§s 4. Grundsätze für das Verfahren. Das Ge- 
setz über die VerwRechtspflege trifft hierüber in 
s5 25—33 eine Reihe allgemeiner Bestimmungen 
und regelt in §# 34—61 das erstinstanzliche Ver- 
fahren vor den Kreishauptmannschaften eingehend, 
worauf es noch in sH 62—69, 73—84 die Be- 
sonderheiten des Verfahrens in Berufungs= und 
Anfechtungsklagsachen festsetzt. Hervorzuheben 
ist, daß es das Verfahren erschöpfend ordnet und 
wegen der grundsätzlichen Verschiedenheit des 
Zivilprozesses, dessen Verhandlungsmaxime und 
Verzichtsprinzip mit der Natur der Verw treit- 
sachen unvereinbar sind, eine allgemeine Ver- 
weisung auf die Zivilprozeßordnung vermieden, 
vielmehr die anwendbaren Bestimmungen der 
Zivilprozeßordnung ausdrücklich bezeichnet hat. 
1. Die allgemeinen Vorschriften 
über das Verfahren gipfeln in dem Satze, 
daß die Verw Gerichte von Amts wegen den 
Sachverhalt erforschen und den Beweis erheben 
und auf Grund des festgestellten Tatbestandes 
entscheiden, wobei sie zwar nicht über den Gegen- 
stand der Verhandlung hinausgehen dürfen, im 
üÜbrigen aber weder an die gestellten Anträge, 
noch an die zu ihrer Rechtfertigung vorgebrachten 
Gründe gebunden sind, insbesondere eine ange- 
fochtene Entscheidung, wenn dabei ein öffentliches 
Interesse vorliegt, auch zum Nachteile dessen, der 
ein Rechtsmittel eingewendet hat, abändern kön- 
nen (reformatio in pejus). 
Den Parteien wird die Befugnis zur Akten- 
einsicht eingeräumt und volles rechtliches Gehör 
durch die Anordnung gewährleistet, daß die Urteile 
auf keine Tatsache und kein Beweismittel gestützt 
werden dürfen, worüber den Parteien nicht Ge- 
legenheit zur Aeußerung gegeben war. 
Die Verhandlung über den Streitgegenstand vor 
dem erkennenden Gerichte soll öffentlich und 
mündlich sein; doch ist dies, wie gleich hier be- 
merkt werden mag, erheblich dadurch eingeschränkt, 
daß die mündliche Verhandlung bei Verzicht der 
Parteien unterbleibt und in den Fällen der Anfech- 
tungsklage überhaupt nur auf ausdrücklichen An- 
trag der Beteiligten stattfindet. Von mündlicher 
Verhandlung über Anfechtungsklagen in staat- 
lichen Einkommen-, Ergänzungs= und Stempel- 
  
steuersachen kann das Gericht sogar ganz nach 
eigenem Ermessen absehen. Andererseits ist es 
natürlich nirgends behindert, eine solche Verhand- 
lung auch ohne oder gegen den Wunsch der Be- 
teiligten eintreten zu lassen, wenn es hiervon 
eine Förderung der Sache erwartet. 
2. Die Vorschriften über das Ver- 
fahren in erster Instanz vor den 
Kreishauptmannschaften gehen in die 
Einzelheiten ein und beschäftigen sich namentlich mit. 
der Klagerhebung, der mündlichen Verhandlung, 
der Beweisaufnahme und der Urteilsfällung. 
Wichtig und teilweise eigenartig ist folgendes: 
a) Die einmal erhobene Klage kann, wenn ein 
öffentliches Ineeresse dabei vorliegt, nur mit Ein- 
willigung des Gerichtes zurückgenommen wer- 
den. Der Vorsitzende ist berechtigt, bei Mängeln 
der Klage Einleitung des Streitverfahrens abzu- 
lehnen, nach Befinden aber auch eine kurze Frist 
zur Behebung der Mängel einzuräumen. Das 
Gericht darf kurze Erledigung des Streitfalles. 
ohne mündliche Verhandlung durch einen bloßen 
Vorbescheid versuchen, falls ihm das Klagvor- 
bringen entweder ohne weiteres unzulässig, be- 
ziehentlich unbegründet oder ohne weiteres recht- 
lich begründet erscheint. 
b) Das Gericht kann auf Antrag oder von 
Amts wegen Dritte, deren Interesse durch das. 
Urteil berührt wird, zur mündlichen Verhandlung 
abeiladen“. Durch die Beiladung werden diese 
Dritten Partei und von dem Urteil mit gebunden. 
c) Der Beweis wird in der Regel in der 
mündlichen Verhandlung erhoben. Zeugen und 
Sachverständige (bezüglich deren in der Hauptsache 
auf die Zivilprozeßordnung verwiesen wird) sind, 
falls überhaupt erforderlich, erst nach der Ver- 
nehmung oder Begutachtung zu vereiden. 
d) Das Gericht entscheidet, soweit gesetzlich nichts. 
anderes bestimmt ist, nach seiner freien, aus dem 
ganzen Inhalte der Verhandlung und dem Er- 
gebnis der Beweisaufnahme geschöpften Ueber- 
zeugung. Die von einer Partei vorgebrachten 
Tatsachen können, wenn sich die Gegenpartei 
nicht im Termine oder sonst darüber erklärt hat, 
für zugestanden erachtet werden. 
e) Dasrechtskräftige Urteil bindet für den 
Streitgegenstand außer den Parteien sowohl die 
Verw erichte, als auch die VerwBehörden und 
zwar diese mit der Wirkung, daß sie gegen den 
Willen der Parteien nichts verfügen können, was 
davon abweicht. (Ein bedeutungsvoller Ausspruch, 
mit dem eine Lösung der bestrittenen Frage nach 
der materiellen Rechtskraft der verwaltungsge- 
richtlichen Urteile unternommen wird!) 
3. In betreff des Verfahrens vor dem 
Oberverwaltungsgerichte auf eine gegen 
ein Urteil der Kreishauptmannschaft 
eingewendete Berufung wird in §5#68 G über die 
Verw Rechtspflege auf die für die erstinstanzlichen 
Verfahren geltenden Vorschriften verwiesen, wo- 
von durch die Sonderbestimmungen des §& 69 nur 
einige unwesentliche Ausnahmen gemacht werden. 
In Parteistreitigkeiten liegt also den VerwGe- 
richten gleichmäßig in erster wie in zweiter In- 
stanz — im Gegensatze zu den dem Oberverwal- 
tungsgerichte für die meisten Fälle der Anfech- 
tungsklage gezogenen Grenzen (vergleiche nach- 
stehend unter d) — eine vollständige Prüfung des 
gesamten Streitverhältnisses nach seiner tatsäch- 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.