776
Verwaltungsgerichtsbarkeit (Württemberg)
Abschwächung der Verhandlungs-
oder Dispositionsmagxime und des Grund-
satzes der Mündlichkeit des Partei-
vorbringens. Bei den Streitigkeiten des öffent-
lichen Rechts ist mehr oder weniger das öffentliche
Interesse beteiligt; dem Verwericht ist daher
eine freiere, von den Parteianträgen unabhängige
Stellung eingeräumt. Die VerwGerichte treten
zwar nur auf Antrag der Beteiligten
in Tätigkeit und dürfen bei der Entscheidung
über die bestimmten Gesuche der
Parteien nicht hinausgehen (a 17
Abs 1, 2), aber das Verfahren nimmt ohne
Prozeßbetrieb der Parteien durch
die prozeßleitende Tätigkeit des Gerichts seinen
Fortgang und in Ansehung der Erforschung der
für die Entscheidung erheblichen Tatsachen und
der Erhebung von Beweisen sind die Verwöe-
richte an die Anträge der Parteien nicht ge-
bunden (a 17 Abs 3). Insbesondere können sie
regelmäßig in jedem Stadium des Verfahrens
jeden nach ihrem Ermessen erforderlichen Be-
weis auch von Amts wegen in vollem
Umfang erheben (a 36), doch darf kein Tatum-
stand oder Beweismittel der Entscheidung zugrund
gelegt werden, worüber nicht den Parteien Ge-
legenheit gegeben war, sich zu äußern (a 18).
Anerkenntnisse und Geständnisse der Parteien
haben keine formell bindende Kraft.
III. Soweit eine mündliche Verhand-
lung stattfindet, ist sie öffentlich; die
Oeffentlichkeit kann jedoch in wesentlicher Ueber-
einstimmung mit §+ 173 GV durch Beschluß
des Gerichts wegen Gefahr für die Sittlichkeit,
das öffentliche Wohl oder die öffentliche Ordnung
ausgeschlossen werden (a 21 Abf 2). Für die Wür-
digung des Sachverhalts durch das Gericht bildet
das mündliche Vorbringen der Parteien nicht in
demselben Maße wie bei den ordentlichen Ge-
richten die entscheidende Grundlage.
Der Grundsatz der Mündlichkeit
wird in folgenden Fällen durchbrochen:
1. Wenn die Klage den formellen Erforder-
nissen des a 24 Abs 2 nicht entspricht und dieser
Mangel der Einleitung der Verhandlung im Wege
steht, desgleichen wenn ein Mangel hinsichtlich
der Prozeßlegitimation obwaltet, wird die Klage
durch eine Verfügung des Gerichtsvorstands oder
eines beauftragten Gerichtsmitglieds zurückge-
wiesen (a 206).
2. Stellt sich die eingereichte Klage sofort als
rechtlich unzulässig oder unbegründet heraus,
so kann dieselbe ohne weiteres durch einen mit
Gründen versehenen Bescheid zurückgewiesen
werden, worin dem Kläger zu eröffnen ist, daß er
befugt ist, binnen 10 Tagen vom Tage der Zu-
stellung an gegen den Bescheid Einspruch zu er-
heben und die Anberaumung einer mündlichen
Verhandlung zu beantragen. Wird kein Ein-
spruch erhoben, so gilt der Bescheid vom Tage der
Zustellung ab als Endurteil (a 27). In ähnlicher
Weise wird in der zweiten Instanz die Berufung
ohne weitere Verhandlung durch Gerichtsbeschluß
abgewiesen, wenn die Berufungsfrist versäumt
und ein Gesuch um Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand nicht gestellt ist (a 48 Abs 2).
Unter denselben Voraussetzungen wird die
Nechtebeschwerde ohne weiteres abgewiesen (a 65
L .
3. Das Ausbleiben der Parteien
bei der anberaumten mündlichen Verhandlung
steht weder in der ersten noch in der Berufungs-
instanz noch bei dem Beschwerdeverfahren der
Verhandlung und Entscheidung der Sache im
Wege. Das Offizialprinzip schließt das Versäum-
nisverfahren aus. Bei Ausbleiben beider Par-
teien oder auch nur einer wird die Verhandlung
mit einem Vortrag des Sachverhältnisses auf
Grund der Akten durch den Berichterstatter ein-
geleitet (a 32 Abs 3). Dem entsprechende Ver-
warnung bei Vorladung der Parteien zur münd-
lichen Verhandlung (a 30 Abs 1). Auf Grund des
Vortrags des Berichterstatters und der Aus-
führungen der etwa erschienenen Partei ergeht,
wenn weitere Erhebungen nicht für erforderlich
nuschtet werden, die Endentscheidung des Ge-
richts.
4. Hat in erster Instanz eine mündliche Ver-
handlung stattgefunden und haben beide Par-
teien auf die mündliche Verhandlung in zweiter
Instanz ausdrücklich verzichtet, so kann der VGH#
auf Grund der verhandelten Akten erkennen
(a 51 Abf 1).
5. Im Rechtsbeschwerdeverfahren
erfolgt die Entscheidung des VGH auf Grund
der verhandelten Akten, wenn der Gerichtshof
eine mündliche Verhandlung nicht für nötig er-
achtet und eine solche weder der Beschwerde-
führer bei Erhebung der Beschwerde noch die Be-
hörde, gegen deren Verfügung die Beschwerde
gerichtet ist, bei Mitteilung der Akten ausdrücklich
verlangt hat (a 67).
6. In erster und zweiter Instanz kann in den
gesetzlich bestimmten Fällen die Aufforderung zur
Vernehmlassung und zur Replik innerhalb einer
bestimmten Frist und die Ladung zur mündlichen
Verhandlung unter dem Androhen erlassen wer-
den, daß sie in dem mitgeteilten Schriftsatz von
der Gegenpartei behaupteten Tatsachen für zu-
gestanden und die damit in beweisfähiger Form
überreichten Urkunden für anerkannt würden
erachtet werden (a 28 Abs 3, a 30 Abs 2, a 31
A## 2, a 33 Abi 3, a 49 Abs 3, a 50 Abs 3).
Hiernach kann dem Grundsatz der Münd-
lichkeit des Parteivorbringens für das Verw-
Gerichtsverfahren nur eine fakultative
Bedeutung beigemessen werden.
IV. Die Eventualmaxime ist im Verw-
Gerichtsverfahren so wenig durchgeführt als im
Zivilprozesse; der Grundsatz der Beweisverbin-
dung, des gleichzeitigen Anbietens der Beweise
für tatsächliche Behauptungen ist in a 29 aner-
kannt, die Parteien haben mit dem Schluß der
mündlichen Verhandlung die Nichtberücksichtigung
nicht vorgetragener Umstände zu gewärtigen und
bei Unterlassung der Konzentration gemäß a 33
die dadurch verursachten Kosten zu tragen.
V. Der Grundsatz der freien Beweis-
würdigung ist im a 39 Abs 2 bekräftigt.
Die Beweisaufnahme erfolgt entweder
in der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht
oder außerhalb derselben vor einem Gerichtsmit-
glied oder durch eine ersuchte Behörde, insbeson-
dere das Oberamt. Zu Beweisverhandlungen
außerhalb der öffentlichen Sitzung sind die Par-
teien zu laden, auch sind zu denselben Urkunds-
personen oder ein beeidigter Protokollführer bei-
zuziehen. Das Ergebnis ist in öffentlicher Sitzung