Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
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Verwaltungsgerichtsbarkeit (Württemberg) 
  
Abschwächung der Verhandlungs- 
oder Dispositionsmagxime und des Grund- 
satzes der Mündlichkeit des Partei- 
vorbringens. Bei den Streitigkeiten des öffent- 
lichen Rechts ist mehr oder weniger das öffentliche 
Interesse beteiligt; dem Verwericht ist daher 
eine freiere, von den Parteianträgen unabhängige 
Stellung eingeräumt. Die VerwGerichte treten 
zwar nur auf Antrag der Beteiligten 
in Tätigkeit und dürfen bei der Entscheidung 
über die bestimmten Gesuche der 
Parteien nicht hinausgehen (a 17 
Abs 1, 2), aber das Verfahren nimmt ohne 
Prozeßbetrieb der Parteien durch 
die prozeßleitende Tätigkeit des Gerichts seinen 
Fortgang und in Ansehung der Erforschung der 
für die Entscheidung erheblichen Tatsachen und 
der Erhebung von Beweisen sind die Verwöe- 
richte an die Anträge der Parteien nicht ge- 
bunden (a 17 Abs 3). Insbesondere können sie 
regelmäßig in jedem Stadium des Verfahrens 
jeden nach ihrem Ermessen erforderlichen Be- 
weis auch von Amts wegen in vollem 
Umfang erheben (a 36), doch darf kein Tatum- 
stand oder Beweismittel der Entscheidung zugrund 
gelegt werden, worüber nicht den Parteien Ge- 
legenheit gegeben war, sich zu äußern (a 18). 
Anerkenntnisse und Geständnisse der Parteien 
haben keine formell bindende Kraft. 
III. Soweit eine mündliche Verhand- 
lung stattfindet, ist sie öffentlich; die 
Oeffentlichkeit kann jedoch in wesentlicher Ueber- 
einstimmung mit §+ 173 GV durch Beschluß 
des Gerichts wegen Gefahr für die Sittlichkeit, 
das öffentliche Wohl oder die öffentliche Ordnung 
ausgeschlossen werden (a 21 Abf 2). Für die Wür- 
digung des Sachverhalts durch das Gericht bildet 
das mündliche Vorbringen der Parteien nicht in 
demselben Maße wie bei den ordentlichen Ge- 
richten die entscheidende Grundlage. 
Der Grundsatz der Mündlichkeit 
wird in folgenden Fällen durchbrochen: 
1. Wenn die Klage den formellen Erforder- 
nissen des a 24 Abs 2 nicht entspricht und dieser 
Mangel der Einleitung der Verhandlung im Wege 
steht, desgleichen wenn ein Mangel hinsichtlich 
der Prozeßlegitimation obwaltet, wird die Klage 
durch eine Verfügung des Gerichtsvorstands oder 
eines beauftragten Gerichtsmitglieds zurückge- 
wiesen (a 206). 
2. Stellt sich die eingereichte Klage sofort als 
rechtlich unzulässig oder unbegründet heraus, 
so kann dieselbe ohne weiteres durch einen mit 
Gründen versehenen Bescheid zurückgewiesen 
werden, worin dem Kläger zu eröffnen ist, daß er 
befugt ist, binnen 10 Tagen vom Tage der Zu- 
stellung an gegen den Bescheid Einspruch zu er- 
heben und die Anberaumung einer mündlichen 
Verhandlung zu beantragen. Wird kein Ein- 
spruch erhoben, so gilt der Bescheid vom Tage der 
Zustellung ab als Endurteil (a 27). In ähnlicher 
Weise wird in der zweiten Instanz die Berufung 
ohne weitere Verhandlung durch Gerichtsbeschluß 
abgewiesen, wenn die Berufungsfrist versäumt 
und ein Gesuch um Wiedereinsetzung in den 
vorigen Stand nicht gestellt ist (a 48 Abs 2). 
Unter denselben Voraussetzungen wird die 
Nechtebeschwerde ohne weiteres abgewiesen (a 65 
L . 
  
3. Das Ausbleiben der Parteien 
bei der anberaumten mündlichen Verhandlung 
steht weder in der ersten noch in der Berufungs- 
instanz noch bei dem Beschwerdeverfahren der 
Verhandlung und Entscheidung der Sache im 
Wege. Das Offizialprinzip schließt das Versäum- 
nisverfahren aus. Bei Ausbleiben beider Par- 
teien oder auch nur einer wird die Verhandlung 
mit einem Vortrag des Sachverhältnisses auf 
Grund der Akten durch den Berichterstatter ein- 
geleitet (a 32 Abs 3). Dem entsprechende Ver- 
warnung bei Vorladung der Parteien zur münd- 
lichen Verhandlung (a 30 Abs 1). Auf Grund des 
Vortrags des Berichterstatters und der Aus- 
führungen der etwa erschienenen Partei ergeht, 
wenn weitere Erhebungen nicht für erforderlich 
nuschtet werden, die Endentscheidung des Ge- 
richts. 
4. Hat in erster Instanz eine mündliche Ver- 
handlung stattgefunden und haben beide Par- 
teien auf die mündliche Verhandlung in zweiter 
Instanz ausdrücklich verzichtet, so kann der VGH# 
auf Grund der verhandelten Akten erkennen 
(a 51 Abf 1). 
5. Im Rechtsbeschwerdeverfahren 
erfolgt die Entscheidung des VGH auf Grund 
der verhandelten Akten, wenn der Gerichtshof 
eine mündliche Verhandlung nicht für nötig er- 
achtet und eine solche weder der Beschwerde- 
führer bei Erhebung der Beschwerde noch die Be- 
hörde, gegen deren Verfügung die Beschwerde 
gerichtet ist, bei Mitteilung der Akten ausdrücklich 
verlangt hat (a 67). 
6. In erster und zweiter Instanz kann in den 
gesetzlich bestimmten Fällen die Aufforderung zur 
Vernehmlassung und zur Replik innerhalb einer 
bestimmten Frist und die Ladung zur mündlichen 
Verhandlung unter dem Androhen erlassen wer- 
den, daß sie in dem mitgeteilten Schriftsatz von 
der Gegenpartei behaupteten Tatsachen für zu- 
gestanden und die damit in beweisfähiger Form 
überreichten Urkunden für anerkannt würden 
erachtet werden (a 28 Abs 3, a 30 Abs 2, a 31 
A## 2, a 33 Abi 3, a 49 Abs 3, a 50 Abs 3). 
Hiernach kann dem Grundsatz der Münd- 
lichkeit des Parteivorbringens für das Verw- 
Gerichtsverfahren nur eine fakultative 
Bedeutung beigemessen werden. 
IV. Die Eventualmaxime ist im Verw- 
Gerichtsverfahren so wenig durchgeführt als im 
Zivilprozesse; der Grundsatz der Beweisverbin- 
dung, des gleichzeitigen Anbietens der Beweise 
für tatsächliche Behauptungen ist in a 29 aner- 
kannt, die Parteien haben mit dem Schluß der 
mündlichen Verhandlung die Nichtberücksichtigung 
nicht vorgetragener Umstände zu gewärtigen und 
bei Unterlassung der Konzentration gemäß a 33 
die dadurch verursachten Kosten zu tragen. 
V. Der Grundsatz der freien Beweis- 
würdigung ist im a 39 Abs 2 bekräftigt. 
Die Beweisaufnahme erfolgt entweder 
in der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht 
oder außerhalb derselben vor einem Gerichtsmit- 
glied oder durch eine ersuchte Behörde, insbeson- 
dere das Oberamt. Zu Beweisverhandlungen 
außerhalb der öffentlichen Sitzung sind die Par- 
teien zu laden, auch sind zu denselben Urkunds- 
personen oder ein beeidigter Protokollführer bei- 
zuziehen. Das Ergebnis ist in öffentlicher Sitzung
	        
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