Verwaltungsgerichtsbarkeit (Elsaß-Lothringen) 787
Akt vollinhaltlich durch das Verw G ursprünglicher-
weise erlassen oder im Nachprüfungswege neu ge-
schaffen wird. Die Sachen, welche in dieser Weise
behandelt werden sollen, sind entweder aus-
drücklich und besonders durch das Ge-
setz dazu verwiesen; dann kommt es auf die recht-
liche Natur des Inhaltes des zu erlassenden Aktes
nicht weiter an; der in die Form eines Urteils
gegossene VerwAkt kann ebensowohl bloße Zweck-
mäßigkeitsfragen als eigentliche Rechtsfragen er-
ledigen. Oder die Sachen sind allgemein
ihrer rechtlichen Natur wegen für die VMR Pffll be-
stimmt; das sind die sog. actes du contentieusx,
VerwAkte, durch welche Rechtsverhältnisse nicht
neu begründet oder verändert, sondern nur er-
klärt und durchgeführt werden sollen, die also
nur aussprechen im konkreten Fall, was durch
einen Rechtssatz oder durch einen vorausgehenden
VerwAkt in dieser Sache bereits gewollt und be-
stimmt ist.
Im ersteren Falle verbindet sich die Zuweisung
der Sache zur VRyfl meist mit der Bezeichnung
eines besonderen Verw##; im letzteren Falle da-
gegen gehen die Sachen zunächst an die gewöhn-
lichen Verw Behörden, also im Zweifel an den
Minister, und münden erst hinterdrein in die
nachprüfende VR Pfl des Staatsrates.
2. Neben dieser ordentlichen VR#Pfl stehen dann
zwei Rechtsinstitute, welche die Form der VRfl
verwenden zur obersten Ueberwachung der
Behördenzuständigkeit. a) Mit dem
Rechtsmittel des Rekurses wegen Un-
zuständigkeit und Machtüberschrei-
tung (exces de pouvoir) kann jeder Verwo#kt
unmittelbar vor den Staatsrat gebracht werden;
dieses Institut hat sich überaus wirksam und nütz-
lich erwiesen, um die Verw Behörden den Unter-
tanen gegenüber in den allgemeinen Schranken ih-
rer Befugnisse zu halten. b) Das Kompetenz-
konfliktsverfahren l/|I andererseits er-
ledigt in Form eines geordneten Prozesses Zu-
ständigkeitsstreite zwischen bürgerlichen Gerichten
und Verw Behörden. Die Entscheidung ist im
französischen Rechte bald dem Staatsrate, bald
einem besonderen Kompetenzkonfliktshofe über-
tragen gewesen, je nachdem eine monarchische
oder eine republikanische Verfassung in Kraft war.
§+# 2. Beränderungen unter deutscher Verwal-
tung. I. Bei der Neueinrichtung der deutschen Ver-
waltung im wiedergewonnenen Reichslande wurde
das Kunstwerk der französischen VR Pfl bis auf
geringfügige Reste zerstört.
1. Gerade in den nun folgenden Friedensjahren
setzte damals die große Bewegung ein, die in allen
deutschen Staaten zur Ausbildung einer wohl-
geordneten Verwosbk geführt hat. Bei der Organi-
sation des Reichslandes lagen diese Ideen noch
fern. Das reine Beamtenregiment, das sich zu-
nächst dort einrichtete, sah darin eher Beein-
trächtigungen seiner Machtstellung und überflüssige
Hemmungen einer gedeihlichen Wirksamkeit.
2. Dazu kam aber noch ein besonderer Umstand
rein juristischer Art. Die Sorgfalt, mit welcher
die VRPfl im französischen Rechte ausgebildet
wurde, hängt auf das innigste zusammen mit der
scharsen Begrenzung, welche die Rechtsprechung
der bürgerlichen Gerichte dort erhal-
ten hat. Sobald in letzterer Beziehung die ent-
gegengesetzten deutschen Anschauungen in Elsaß-
Lothringen zur Geltung kamen, ergab sich eine
Vernachlässigung und ein Zurückdrängen der
VRfl von selbst. IX Rechtsweg in Elsaß=
Lothringen.)
a) In Frankreich haben geschichtliche Vorgänge
aus der Zeit des alten Staatswesens dazu geführt,
daß die Gesetzgebung auf das Aengstlichste bestrebt
ist, die Gerichte von jeder Einwirkung auf das
der Verwaltung zustehende Gebiet des öffentlichen
Rechtes fernzuhalten. In diesem Sinne bezeich-
net man auch die Trennung von Justiz und Ver-
waltung als eine Trennung der Ge-
walten und meint das als Schutz der Ver-
waltung vor den Gerichten. Daß den Gerichten
jede direkte Einmischung in die Verwätigkeit
untersagt wird, ist selbstverständlich. Sie sollen
aber auch innerhalb ihrer Zuständigkeit und ge-
legentlich der Ausübung derselben nicht über die
Gültigkeit eines Verw Aktes erkennen, noch
eine Auslegung davon geben, wenn sie
etwa streitig geworden ist. Sie müssen sich also
in solchen Fällen für unzuständig erklären oder das
Verfahren aussetzen, bis die Verwaltung und das
ihr zugehörige Verw Gericht den kritischen Punkt
erledigt haben, und an die Art, wie das dort ge-
schehen ist, sind sie dann gebunden. ,
In Deutschland ist das geschichtliche Verhältnis
zwischen Justiz und Verwaltung ein ganz anderes
gewesen als in Frankreich; deshalb ist eine der-
artige ängstliche Beschränkung der Gerichte hier
unverständlich. Unseren Gerichten steht es frei,
auch Verwkte auf ihre Gültigkeit zu prüfen und
ihren Sinn festzustellen, so oft solches eine Vor-
aussetzung ihrer zuständigen Tätigkeit wird. Die
ZP 13,9, jetzt 148, hat die im wesentlichen
immer maßgebenden Grundsätze in diesem Sinne
festgelegt.
b) Eine noch größere Verschiebung zugunsten der
Zivilgerichte bedeutete aber die nunmehr zur
Herrschaft gelangte Auffassung von dem natür-
lichen Zuständigkeitsgebiet dieser Gerichte, von
der bürgerlichen Rechtsstreitigkeit.
Als solche wurden nach dem maßgebenden Vor-
bild des preußischen Rechts grundsätzlich alle
Streitigkeiten über vermögensrechtliche Ansprüche
angesehen, auch wenn sie in der Tätigkeit der Ver-
waltung ihren Entstehungsgrund haben. Weil
vermögensrechtlich, bedenten sie privatrechtliche
Verhältnisse des Fiskus [Jl und gehören als solche
vor die ordentlichen Gerichte. Nach französischer
Auffassung sind sehr viele dieser Vermögensan-
sprüche öffentlich-rechtlicher Natur: Leistungs-
pflichten aus öffentlich-rechtlichen Verträgen, Ent-
schädigungen für erlittene besondere Nachteile,
Rückforderungen von Abgaben usw., und demnach
ergeben sich daraus Zuständigkeiten der Verw.
Jetzt wird das alles als willkürliche Entfremdung
privatrechtlicher Sachen von ihrem natürlichen
Gerichtsstand und als eine Begünstigung des Fis-
kus behandelt, die rückgängig gemacht werden muß.
Dieser Gedanke hat einen etwas unklaren und des-
halb auch nicht von durchschlagendem Erfolge be-
gleiteten Ausdruck gesunden in § 4 des EGz. ZPO,
wonach für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, „für
welche nach dem Gegenstande oder der Art des
Anspruchs der Rechtsweg zulässig ist", aus dem
Grunde, weil als Partei der Fiskus beteiligt ist,
der Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden darf.
Die Bestimmung war, wie sich aus den Reichs-
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