Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
Wahlrecht (Maß der Berechtigung) 
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wegen unehrenhafter Gesinnung üÜberall 
Personen, denen auf Grund richterlichen Erkennt- 
nisses die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind; 
wegen Zerrüttung der Vermögensverhält- 
nisse überall Personen, über deren Vermögen der 
Konkurs eröffnet ist oder die aus öffentlichen Mitteln 
Armenunterstützung (VI beziehen (eine Ausnahme 
bezüglich Armenunterstützung macht nur Lippe- 
Detmold und formell auch Hamburg) oder Armen- 
unterstützung eine gewisse Zeit vor der W (meist 
1 Jahr) bezogen haben (so Deutsches Reich, Bayern, 
Württemberg, Baden, Sachsen, Hessen, Sachsen- 
Weimar, Anhalt, Sachsen-Meiningen, Alten- 
burg, Reuß j. L., Reuß ä. L., Rudolstadt, Schaum- 
burg-Lippe, Schwarzburg-Sondershausen, Bre- 
men, Lübeck, Elsaß-Lothringen). 
Dabei ist der Begriff der Armenunter- 
stützung durch das R v. 15. 3. 09 betr. die 
Einwirkung von Armenunterstützung auf öffent- 
liche Rechte mit Wirkung für die Reichstagswahlen 
und ihm ganz oder überwiegend folgend, von 
Königreich Sachsen, Hessen, Sachsen-Weimar, 
Sachsen-Meiningen, Reuß j. L., Elsaß-Lothringen 
dahin definiert, daß als Armenunterstützung nicht 
anzusehen ist: 1. Krankenunterstützung; 2. die 
einem Angehörigen wegen körperlicher oder 
geisiger Gebrechen gewährte Anstaltspflege; 
4 Unterstützungen der Jugendfürsorge und der 
Ausbildung für einen Beruf; 4. sonsige Unter- 
stützungen, wenn sie in der Form vereinzelter 
Leistungen zur Hebung einer augenblicklichen Not- 
lage gewährt sind; 5. Unterstützungen, die er- 
stattet sind; dagegen sehen Bayern und Baden 
lediglich Schulunterstützung nicht als Armenunter- 
stützung an. Von dem gleichen Gesichtspunkt wie 
Armenunterstützte schließen vom WeRecht wegen 
Rückstands mit direkten Steuerleistungen an Staat 
oder Gemeinde aus die meisten Staaten (jedoch 
nicht: Reich, Preußen, Bayern, Württemberg, 
Sachsen-Weimar, Oldenburg, Anhalt, Sachsen- 
Meiningen, Rudolstadt, Lippe-Detmold, Schaum- 
burg-Lippe). 
Eine Reihe von Wcesetzen gehen noch weiter. So 
schließen wegen unehrenhafter Gesinnung noch 
aus Personen, gegen die auf Berlust öffentlicher Aemter er- 
kannt ist, Hessen und Reuß ä. L. — Personen, die zu einer ent- 
ehrenden Strafe verurteilt sind, Schaumburg-Lippe — Per- 
sonen, die wegen eines Verbrechens oder Vergehens, das den 
Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte zur Folge haben kann, 
zu Zuchthaus-= oder Gefängnisstrafe verurteilt sind, Hessen, 
Koburg-Gotha und Elsaß-Lothringen — Personen, die sich in 
Straf= oder Untersuchungshaft befinden oder wegen ge- 
wisser strafbarer Handlungen verfolgt werden, Königreich 
Sachsen, Oldenburg, Reuß ä. L., Hamburg — Personen, die 
unter Polufsicht stehen, Königreich Sachsen, Hessen, Olden- 
burg — Personen, die der Landespolizeibehörde überwiesen 
oder in einem Arbeitshaus untergebracht sind, Hessen, Olden- 
burg. Wegen Bermögenszerrüttung schließen ferner 
aus außer Personen, die sich in Konkurs befinden, auch 
solche Gemeinschuldner, die ihre Gläubiger noch nicht voll 
befriedigt haben, Koburg-Gotha, Hamburg, Bremen und 
Personen, die ihre Zahlungen eingestellt haben, gegen die 
vergeblich Zwangsvollstreckung versucht ist, die den Offen- 
barungseid geleistet haben oder gegen die Konkurs mangels 
Masse eingestellt ist, Bremen, Lübeck. 
Fast überall ist die Ausübung des WRechts ab- 
hängig von Eintragung in die Wähler- 
liste. Vielfach wird verlangt, daß der We- 
  
rechtigte im Zeitpunkt der Wim Wahl- 
kreis seinen Wohnsitz hat. 
#5. Das Maß der Wahlberechtigung im all- 
gemeinen. 
I. Man unterscheidet gleiches und un- 
leiches Stimmrecht, je nachdem jeder Wähler 
o viel Stimmrecht hat wie jeder andere oder 
das Maß des Einflusses des einzelnen Wählers 
auf die Zusammensetzung der Volksvertretung ver- 
schieden gestaltet ift. Beim ungleichen WRecht 
hat man wieder zu unterscheiden das Plural- 
wahlrecht, bei dem jeder Wähler, je nach 
Bildung, Besitz, beruflicher Stellung, Alter über 
eine oder mehrere Stimmen (2, 3, 4, 5) verfügt und 
die Klassenwahlrechte, die wieder zu schei- 
den sind in: Einkommen= und Steuerklassen- 
wahlrechte, bei denen der Einfluß der Wähler nach 
ihrem Einkommen oder ihrer direkten Steuer- 
leistung verschieden abgestuft ist, und in Berufs- 
klassen wahlrechte, bei denen der Einfluß 
der einzelnen Berufsstände auf die Zusammen- 
setzung der Volksvertretung verschieden bemessen 
ist. Oft sind auch Plural= und Klassenwahlrecht 
oder Einkommen= und Steuerklassen- und Berufs- 
klassenwahlrecht miteinander kombiniert. Beim 
Pluraln##hlrecht wählen alle Wähler in einem 
Wahlgang, bei Klassenwahlrechten sind regel- 
mäßig die einzelnen Klassen in besonderen Körper- 
schaften vereinigt und wählen getrennt. 
Die Zahl der Vertreter des ungleichen WRechts 
hat in den letzten Jahrzehnten in Deutschland an 
Anhängern gewonnen. Sie gehen dabei von 3 
verschiedenen Gesichtspunkten aus: 
1. von der Verschiedenheit des Bildungsgrades 
der Wähler; 
2. von der verschieden großen sozialen Bedeu- 
tung der einzelnen Wähle#sahichren ür den Staat; 
3. von der verschieden großen 
einzelnen Altersstufen. 
Sie sagen etwa: Langjährige höhere Bildung führt zu 
einem rubigeren Urteil, einem gerechteren Abwägen ver- 
schiedener Gesichtspunkte, Eigenschaften, die besonders für 
politische Entscheidungen wertvoll seien; man muß des- 
halb den „Gebildeten“ ein höheres Maß von Einfluß bei 
den Wahlen einräumen als den Ungebildeten. Die be- 
sitzenden Schichten, die selbständigen Unternehmer, der 
Bauernstand, der „Jungbrunnen der Nation"“ sind von be- 
sonderer Bedeutung für das Staatsganze; man muß ihnen 
deshalb einen höheren Einfluß einräumen als den breiten 
Massen der abhängigen Schichten. Beim gleichen WRecht 
haben die breiten Massen das Uebergewicht; sie sind nur 
zu geneigt, ihre materiellen Interessen in den Bordergrund 
zu stellen, dadurch werden in der Volksvertretung die In- 
teressen zahlenmäßig kleiner aber volkswirtschaftlich wich- 
tiger Berufsgruppen (3. B. des Unternehmerstandes) nicht 
berücksichtigt. Auch trägt das gleiche WRecht der „natür- 
lichen Gliederung der Gesellschoft“, die eine solche nach 
Ständen ist, nicht Rechnung. 
Von den Anhängern des gleichen Whechts 
wird dagegen eingewendet: Es ist unmöglich, 
objektive Maßstäbe für die Bedeutung der ein- 
zelnen Gruppen und Schichten im Volksleben 
aufzufinden; außerdem hemmt ein ungleiches 
Wecht den sozialen Fortschritt, da bei allen 
Arten ungleichen WRechts die Besitzenden ein 
Uebergewicht haben und aus Egoismus den für 
den Kulturfortschritt so wichtigen sozialen Re- 
formforderungen feindlich gegenüberstehen. 
II. Ein gleiches Wahlrecht finden wir in 
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ahrung der 
 
	        
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