Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
  
Pfarrer 
2. In der evangelischen Kirche tritt Amts- 
erledigung ein: a) bei vollständigem Verzicht, 
welcher der Bestätigung des Konsistoriums bedarf; 
b) durch Emeritierung, d. i. Verzicht infolge 
von Alter oder Krankheit mit Zustimmung des 
Konsistoriums unter Beibehaltung des Amtstitels 
und Empfang eines Ruhegehaltes. Die Rechtsver- 
hältnisse in den verschiedenen deutschen Staaten 
sind nach dieser Richtung sehr verschieden. Einige 
Staaten haben neuerdings eine vollständige und 
zweckmäßige Neuordnung der Sache durchge- 
führt (Zorn, KRecht 420), so insbesondere 
Preußen (Ruhegehaltsordnung für die Geistlichen 
der ev. Landeskirche der älteren Provinzen v. 
26. 5. 09, nebst Satzungen betr. die Ruhegehalts- 
kasse; dazu Staats G v. 26. 5. 00); c) Verurtei- 
lung zu Zuchthaus, Aberkennung der bürgerlichen 
Ehrenrechte oder der Fähigkeit zur Bekleidung 
öffentlicher Aemter wird für die ev. K überall 
die Folge des Amtsverlustes begründen, nach 
preuß. Recht wird hierdurch Dienstentlassung 
bewirkt (Ko#v. 16. 7. 86 §F 4); d) Versetzung 
ist zulässig mit Willen des Amtsinhabers, sonst nur 
als Disziplinarmaßregel in Hessen und Preußen 
(preuß. K#G v. 16. 7. 86 F 10, hesfs. KG# v. 11. 7.79 
5 33), dagegen z. B. in Sachsen, Anhalt, Weimar 
ausgeschlossen; e) durch eigentliche Absetzung; 
das Partikularrecht hierüber ist sehr verschieden, 
das preußische Recht unterscheidet zwischen Amts- 
enthebung und Dienstentlassung (preuß. K#ü## v. 
16. 7. 86 §5 #W8 11, 12, hess. K G v. 26. 11. 83 §§ 5, 
13 ff), je nachdem nur der Verlust des konkreten 
Amtes dder zugleich der Anstellungsfähigkeit und 
der Standesrechte ausgesprochen wird. Zustän- 
dig zur Verhängung der Amtsentsetzung ist regel- 
mäßig das Konsistorium, wobei Rekurs an die 
höhere KBehörde zugelassen wird. Das Ver- 
fahren ist mehr oder minder sorgfältig geordnet, 
in Preußen sehr genau. Zuziehung synodaler 
Organe zur Entscheidung ist nach einzelnen Gesetz- 
gebungen vorgeschrieben, wenn der P. wegen 
Irrlehre angeklagt ist. In Altpreußen findet seit 
dem Gesetz betr. das Verfahren bei Beanstandung 
der Lehre von Geistlichen (sog. Irrlehregesetz) v. 16. 
3. 10 wegen Irrlehre eines Geistlichen fortan 
kein disziplinares Einschreiten statt, sondern ein 
besonderes Verfahren vor dem „Spruchkollegium 
für kirchliche Lehrangelegenheiten“, welches fest- 
zustellen hat, ob „eine weitere Wirksamkeit des 
Geistlichen mit der Stellung, die er in seiner Lehre 
zum Bekenntnisse der K einnimmt, unvereinbar 
ist“ (Fall Jatho). I/ Geistliche & 10, Bd. II, 35.] 
§ 4. Disziplinargewalt über Pfarrer. 1. Ent- 
sprechend der vom Staate gegenüber seinen Be- 
amten geübten Disziplinargewalt wegen Verlet- 
zung der besonderen Standes= und Amtspflichten 
haben auch die Landeskirchen ein umfassendes 
Rechtssystem geschaffen, welches für die katho- 
lische K im wesentlichen auf dem kannnischen, 
jedoch durch Staatsgesetze (für Preußen: G 
v. 12. 5. 73, vielfach abgeändert durch G v. 21. 5. 
86 und 29.4. 871 Württemberg: Gv. 30. 1. 
62 a 5ff; Sachsen: Gv. 23. 8. 76 a ll; Ba- 
den: G v. 9. 10. 60 +. 16, vgl. auch die Angaben 
zu dem Art. Geistliche) mehrfach eingeschränkten 
Rechte beruht; indes für die ev. K erst infolge 
der neueren Entwicklung ein selbständiges, von der 
staatlichen Beamtendisziplin gelöstes Disziplinar-= 
recht ausgebildet wurde. Dabei ist anerkannt, 
  
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daß außer dieser besonderen Disziplin auch die 
allgemeine Disziplin, welche für sämtliche K Glie- 
der gilt, auf die Personen des geistlichen Standes 
Anwendung finden (J Kirchenzucht Band 1I 520ffh). 
Nach preußischem Recht findet eine Staatskon- 
trolle über diese Kirchendisziplin statt, insoweit 
sie sich gegen „Kirchendiener“, d. i. Inhaber von 
geistlichen oder kirchenregimentlichen Aemtern 
richtet (G v. 12. 5. 73 é 1, G v. 21. 5. 86 a 6 
Abs 2). Der Staat stellt zur Durchführung kirch- 
licher Disziplinarurteile seine Exekutivgewalt 
prinzipiell zur Verfügung, in Preußen jedoch nur 
auf Grund einer vom Oberpräsidenten auf ge- 
schehene Mitteilung verfügten Vollstreckbarkeits- 
erklärung (Gv. 12. 5. 73 8 9, ähnliche Vorschriften 
für Bayern, Württemberg, Sachsen, Baden, 
Hessen). 
2. Von den durch das kanonische Recht aner- 
kannten Disziplinarstrafen sind a) geistliche 
Exerzitien ohne Beschränkung zulässig, b) körper- 
liche Züchtigung in den meisten Staaten ausdrück- 
lich verboten (preuß. Gv. 12. 5.73 63), c) Geldstra- 
fen nach preußischem Recht bis zu 90 M. bezw. dem 
Betrage eines einmonatlichen Diensteinkommens, 
jedoch nur nach Anhörung des Beschuldigten und 
auf Grund eines schriftlichen, mit Gründen ver- 
sehenen Urteils statthaft (&§ 2, 4); d) Freiheits- 
strafe wird zugelassen in Form der Verweisung 
in eine bischöfliche Demeritenanstalt, in Preußen 
bis zu 3 Monaten, jedoch nicht wider den Willen 
des Betroffenen und nur auf Grund eines schrift- 
lichen, mit Gründen versehenen Urteiles; die 
Demeritenhäuser stehen unter Staatsaufsicht (5I#2, 
5, 6 verb. mit Gov. 21. 5. 86 Art. 8 und G v. 29. 4. 
87 a 3). Aehnliche Vorschriften gelten in Baden, 
Sachsen, Heissen, Württemberg; e) Amtssuspen- 
sion; sie kann sich nach kanonischem Recht beziehen 
auf ordo, officium, bencficium oder nur auf eine 
dieser drei Seiten des Amtes; derselben muß ein 
geordnetes Verfahren vorangehen; die nach ka- 
nonischem Recht auch zugelassene suspensio latae 
sententiac, sowie die suspensio cx informata con- 
scientia sind durch die preußische Gesetzgebung 
ausgeschlossen (G v. 12. 5. 73 5 2); f) Amtsent- 
setzung oben & 3 Nr. 1. 
3. Die Disziplinarmittel der evangeli- 
schen K gegen Geistliche sind zunächst Ordnungs- 
strafen, nämlich Warnung, Verweis, Goeldstrafe; 
für letztere gelten in Preußen die oben zu 2 mit- 
geteilten Vorschriften; sodann Entfernung aus dem 
Amt, nämlich Versetzung, Amtsenthevdung und 
Dienstentlassung (s. hierüber oben §& 3 Nr. 2). 
Suspension ist nach dem Recht der östlichen Pro- 
vinzen Preußens keine selbständige Disziplinar- 
strase, wohl aber nach rheinisch-westfälischem 
Recht. Die ganze Materie ist für Preußen ge- 
ordnet durch K v. 16. 7. 86, vgl. auch hess. K G 
v. 26. 11. 83. 
65 5. Staatsaufsicht. 1. Ein disziplinarisches 
Einschreiten des Staates gegen Geistliche wegen 
Verletzung ihrer kirchlichen Pflichten ist der Natur 
der Sache nach ausgeschlossen. Die Staatsgesetz- 
gebungen enthalten aber — abgesehen von den 
hier in Betracht kommenden N 130 a und 338 
RStGB — Vorschriften, welche die Durchführung 
der in ihnen gegebenen Bestimmungen zu sichern 
bezwecken, und zwar legt die preußisch-badisch- 
hessische Gesetzgebung diese Durchführung in die 
Hand des Strafrichters, die württembergisch-säch- 
  
 
	        
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