Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

Oberen annehmen“; 8 118: „Alle päpstlichen 
Bullen, Breven und alle Verordnungen auswär- 
tiger Oberen der Geistlichkeit müssen vor ihrer 
Publikation und Vollstreckung dem Staate zur 
Prüfung und Genehmigung vorgelegt werden"), 
erst im 19. Jahrhundert erfahren: für Bayern 
durch das Religions Ed. v. 26. 5. 1818, für die 
Staaten der oberrheinischen Kirchen- 
vrovinz (Württemberg, Baden, beide Hessen, 
Nassau, Hohenzollern, Frankfurt a. M.) durch das 
gemeinschaftliche Ed. v. 30. 1. 30, für Sachsen 
durch das Mandat v. 19. 2. 1829, für Hanno- 
ver durch die Vl v. 6. 8. 40, für Olden- 
burg durch das Normativ v. 5. 4. 61, für 
Braunschweig durch die Vl v. 12. 10. 32, 
für Sachsen - Weimar durch das G v. 7. 
10. 1823, für Sachsen -Koburg-Gotha 
durch die Regulative v. 23. 8. 1811 und 24. 6. 1813. 
Diese Gesetze sind wesentlich von dem französi- 
schen Recht beeinflußt und haben das Institut 
mehr oder weniger in derienigen Gestalt über- 
nommen, die es in den Organischen Artikeln von 
1801 (unten § 6) erhalten hatte. 
Hiergegen ist um die Mitte des Jahrhunderts 
eine Reaktion eingetreten, infolge deren auf das 
P. vielfach ganz verzichtet wurde:in Oester- 
reich durch das Konkordat IJI von 1855 (a 2, 3), 
in Preußen durch die Vl v. 31. 1. 50 (a 16: 
„Der Verkehr in Religionsgesellschaften mit ihren 
Oberen ist ungehindert; die Bekanntmachung 
kirchlicher Anordnungen ist nur denjenigen Be- 
schränkungen unterworfen, welchen alle übrigen 
Veröffentlichungen unterliegen"), in Olden- 
burg durch die rev. Verf v. 22. 11. 52 (a 78, 
3: „Das in Angelegenheiten der katholischen K 
geübte P. und Visum bleibt aufgehoben“). 
Andere Staaten haben das P. dergestalt ein- 
geschränkt, daß die Milderung einer Auf- 
hebung gleichkommt. So Baden in dem G 
v. 9. 10. 60 (§ 15: „Keine Verordnung der Kirche, 
welche in bürgerliche oder staatsbürgerliche Ver- 
hältnisse eingreift, kann rechtliche Geltung in An- 
svruch nehmen oder in Vollzug gesetzt werden, 
bevor sie die Genehmigung des Staates erhalten 
Plazet 
  
  
  
hat“) und Großherzogtum Hessen in dem G 
v. 23. 4. 75 (a 5: „Alle kirchlichen Verordnungen 
müssen gleichzeitig mit der Verkündigung der 
Staatsregierung mitgeteilt werden, keine Verord- 
nung der Kirchen oder Religionsgesellschaften 
kann in Beziehung auf bürgerliche oder staats- 
bürgerliche Verhältnisse rechtliche Geltung in An- 
spruch nehmen oder in Vollzug gesetzt werden, 
bevor sie die Genehmigung des Staates erhalten 
hat"“). 
Festgehalten haben an dem P. streng 
genommen nur Bayern, Sachsen, Würt- 
temberg und Elsaß-Lothringen. 
5 3. Bayern. Während a l2e des bayerischen 
Konkordats'#ll von 1817 den Bischöfen das 
Recht einräumt, ihre Anordnungen in kirchlichen 
Dingen frei kund zu machen (libere publicarc), 
auch den Verkehr zwischen dem heiligen Stuhl 
und den bayerischen Katholiken vollständig frei 
gibt (rommunicatio prorsus libera erit), hat die 
Vuv. 26. 5. 1818 zunächst im Tit. 4 88 9 N. 5, so- 
dann in ihrer II. Beil. §5 58, 59, 61 — unter 
sveziellem Hinweis auf ältere Generalmandate — 
über die fortdauernde Geltung des P. keinen Zwei- 
fel gelassen. Darnach „dürfen keine Gesetze, Ver- 
. — 
  
ob sie sich auf 
81 
ordnungen und sonstige Anordnungen der Kirchen- 
gewalt ohne allerhöchste Einsicht und Genehmi- 
gung publiziert und vollzogen werden. Die geist- 
lichen Obrigkeiten sind gehalten, nachdem sie die 
Kgl Genehmigung zur Publikation (P.) erhalten 
haben, im Eingange der Ausschreibungen ihrer 
Verordnungen von derselben jederzeit ausdrück- 
lich Erwähnung zu tun. Die vorgeschriebenen. 
Genehmigungen können nur vom Könige selbst, 
mittelst des Kgl Staatsministeriums des Innern 
erteilt werden, an welches die zu publizierenden 
Gesetze eingesandt werden müssen“. 
Diese Antinomie zwischen Konkordat und Ver- 
fassung hat bekanntlich viel Streit veranlaßt. 
Ihre Lösung wird darin gefunden, daß beim 
Abschluß des Konkordats von beiden Seiten das 
P. „als ein der Oberaufsicht des Staates inhärie- 
rendes unveräußerliches Recht des Souveräns 
vorausgesetzt“ worden (Dekl. v. 25. 1. 1823). 
Wie sich aus den amtlichen Erklärungen des Min v. Lutz 
im baverischen Landtag (6. 11. 89) ergibt, hat die Regierung 
bei den Konkordatsverhandlungen immer an dem unver- 
änderten Bestand der staatlichen Hoheitsrechte festgehalten 
und den römischen Unterhändlern kein Hehl daraus gemacht, 
daß sie das P. trotz der gegenteiligen Bestimmungen des 
Konkordats niemals aufsgeben werde. Wenn nun auch ein 
ausdrückliches Zugeständnis hierfür seitens der Kurie nicht 
zu erlangen gewesen, so soll die letztere doch im geheimen 
für den Fall, daß der Staat jene Rechte absolut beansprucht, 
sich zu einem tolerare posse ober dissimulare bereit erklärt 
und damit die Fortdauer des P. als ein Stück der bayeri- 
schen vigens ecclesiae disciplinn zugestanden haben. Diese 
ministerielle Erklärung findet in der bis in neuere Zeit 
(anstandslos) geübten Praxis ihre volle Bestätigung. Aller- 
dings find seit 1845 von der Staatsregierung vorüber- 
gehend einzelne Konzessionen gemacht worden. Fasten- 
briese sollten nur noch zur Information, nicht mehr 
zur Genehmigung vorgelegt werden (1849). Für Jubi- 
läums. und Ablaß verkündigungen wurde das P. 
obis auf weiteres im voraus erteilt“ (1852). Eine Min E 
v. 9. 10. 64 gab sogar alle kirchlichen Erlasse frei, „welche 
nur kirchliche Angelegenheiten betreffen und nicht 
zugleich in das bürgerliche und politische Gebiet eingreifen“. 
Infolge des Vatikanums kehrte die Staatsregierung aber 
auf den Boden des VerfRechts zurück. Sie verbot nicht bloß 
die Publikation der Konzilsdekrete und verweigerte deren 
Vollzichung, sondern sie setzte auch (1873) die Min E von 
1854 wieder außer Kraft. 
Nach dem Wortlaut der bayerischen Verfas- 
sung fallen alle kirchlichen Erlasse unter das P., 
welche eine Anordnung enthalten, d. h. 
einen Befehl zum Handeln, nicht ledig- 
liich ein Denken zum Gegenstand haben. In 
welcher Form dieselben ergehen (als Konzils- 
schluß, Bulle, Breve, Rundschreiben, Hirtenbrief 
usw.), ist ebensowenig von Belang, wie die Frage, 
Rechts sätze beschränken oder 
einen dogmatischen Charakter haben. Das 
Prüfungerecht selbst geht genau soweit, als die 
staatlichen Interessen reichen. Eine Verweige- 
rung des P. ist daher nicht bloß daun begründet, 
wenn die kirchliche Anordnung eine staatliche 
Rechts norm verletzt, sondern auch dann, wenn 
sie geeignet ist, das öffentliche Wohl zu schä- 
digen oder zu gefährden. Wird das P. nicht ein- 
geholt oder abgelehnt, so darf die betr. Anord- 
nung weder „publiziert“ noch „vollzogen“ wer- 
den. Das Verbot der Publikation läßt sich aber 
nach dem heute geltenden Recht nicht mehr durch 
v. Stengel-Fleischmann, Wörterbuch. 2. Aufl. III. 6
	        
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