Wehrpflicht
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dem sie jahrhundertelang durch andere Systeme
(Karls d. Gr. Hufenverfassung, Landsknechte,
Söldnerheer) verdrängt worden war, wurde sie
unerst in Preußen von Friedrich Wilhelm I. durch
Hie V v. 1. und 18. 5. 1733 und 30. 10. 1735
in Form des Kantonssystems ein- und durch-
geführt. Jedoch wurden in der Folgezeit, beson-
ders unter Friedrich d. Gr., so viele Ausnahmen
zugelassen, daß die Regel tatsächlich zur Ausnahme
wurde und die W. nur auf den untersten Be-
völkerungsschichten lastete. Erst das preußische
Gv. 3. 9. 1814 (GE 62) brachte den Gedanken
der allgemeinen W. wieder zur vollen Durch-
fühnne. . .
Die allgemeine W. hat ihre verfassungsmäßige
Festlegung in a 34 der preußischen VU gefunden.
Die preußischen Grundsätze wurden in die Nordd.
BV und Na 57 (,Jeder Deutsche ist wehr-
pflichtig und kann sich in Ausübung dieser Pflicht
nicht vertreten lassen“), 59, 61 übernommen,
damit auf das ganze Reich ausgedehnt und durch
das R betr. die Verpflichtung zum Kriegsdienst
v. 9. 11. 67 („Wehrgesetz“, Rel 131) und das
„Reichsmilitärgesetz“ v. 2. 5. 74 (RG Bl 45)
näher ausgeführt. Diese Vorschriften sind er-
gänzt und abgeändert worden durch die R v.
13. 2. 75 („Kontrollgesetz“, GRBl 65), v. 6. 5. 80
(ReGl 103), v. 31. 3. 85 (RoGl 81), v. 11. 2. 88
(Röl 11), v. 27. 1. und 8. 2. und 15. 12. 90
(RGSnl Sy, 23, 207), v. 10. 5. 92 (Rl 611),
v. 26. 5. 93 (Rul 185), v. 18. 7. 96 („Schutz-
truppengesetz", Rl 653), v. 25. 3. 99 (RGBl
213), v. 15. 4. 05 (RG Bl 249), v. 14. 6. 12 (Rl
391), v. 22. 7. 13 (drei Gesetze: W# für die Schutz-
truppen, Novellen z. Reichs= u. Staatsangehörig-
keitsgesetz Nov. z. WG., RE#Bl S 583, 593, 610),
Ausführungs BL z. W f. d. Schutzgebiete v.
4. 3. 14 (R Bl 42) und Bek des BK über Ge-
währung von Aufwandentschädigung v. 26. 3. 14
(Rl 57).
Das gesamte sehr zerstreute Gesetzesmaterial
ist systematisch zusammengestellt und ausgeführt
in der „Deutschen Wehrordnung“;
diese ist vom Kaiser unter dem 22. 11. 88 für
das ganze Reich außer Bayern erlassen, nach mehr-
fachen Aenderungen in neuer Fassung unter dem
22. 7. 01 (R.ZBl Beil. zu Nr. 32) veröffentlicht
und seitdem noch geändert worden durch die V
v. 25. 3. 04 (R.ZBl 85), v. 6. 5. 05 (RZBl 118),
v. 7. I1. 06 (R.3Bl 1297), v. 19. 8. 10 (RB Bl 468),
8. 12. 1913 (R3Bl. 1236.) Die vom König von
Bayern erlassene W-O v. 19. 1. 89 stimmt mit
der Deutschen WO im allgemeinen überein.
Die spezifisch militärischen Ergänzungsbestim-
mungen sind in Heerordnungen zusam-
mengefaßt, die von den Kontingentsherrn er-
lassen sind. Für das preußische und die unter
preußischer Verwaltung stehenden Kontingente
gilt die Heer O v. 22. 11. 88, die auf Grund des
à 63 Abs 5 RV auch in Sachsen und Württem-
berg in Kraft gesetzt sind. Mit ihr stimmt die
bayerische HeerO v. 26. 12. 89 überein. Die
für den Dienst der Marine bezüglichen Bestimmun-
gen sind in der vom Kaiser unter dem 3. 4. 09
erlassenen Marineordnung zusammen-
gestellt.
8 2. Rechtliche Natur. Die W. ist eine gesetz-
liche, gemessene und grundsätzlich jeden Staats-
angehörigen treffende Pflicht des Inhalts, dem
Befehl der Staatsbehörden zur Leistung mili-
tärischer Dienste (nicht bloß zu Waffendiensten,
sondern auch zu sonstigen militärischen Dienst-
leistungen z. B. als Krankenpfleger, Handwerker
s 1 W) zu gehorchen. Sie gleicht der allge-
meinen Schulpflicht und wird treffend als mili-
tärische Schulpflicht bezeichnet: „Heer und Flotte
sind die Bildungsschulen der ganzen Nation für
den Krieg" (WG # 4). Den Gegensatz zur W.
bildet die freiwillig übernommene Ver-
pflichtung zur Leistung militärischer Dienste
(berufsmäßiger Dienst im Heer); sie ist der
Dienstpflicht des Beamten gleichartig ( Offiziere
und Unteroffizierel Für die Beantwortung der
Frage, ob die W. dem Reiche oder dem Einzel-
staat geschuldet wird, ist maßgebend die Stellung-
nahme zu der weiteren vielumstrittenen Frage,
ob das deutsche Heer ein Reichsheer oder ein
Kontingentsheer ist [J Heerj]l. Im letzteren Falle
(Laband, v. Seydel, Anschütz) ist die W. eine
Pflicht gegen den Landesherrn, im ersteren Falle
(Zorn, G. Meyer, Brockhaus, Haenel, Bornhak,
Arndt) eine solche gegen das Reich; nach einer
vermittelnden Meinung (W. F. Müller) wird die
W. zum Teil dem Reiche, zum Teil dem Einzel-
staat geleistet.
z 3. Voranssetzungen der Wehrpflicht sind:
1. Die Eigenschaft als Reichsangehöri-
ger. Mit dem Verlust der Reichsangehörigkeit
erlischt, mit ihrem Erwerb entsteht die W., und
zwar wird der Eingebürgerte wehrpflichtig nach
aßgabe seines Lebensalters. Ausländer sind,
auch wenn sie sich dauernd im Reiche nieder-
gelassen haben, nicht wehrpflichtig; sie können
aber mit Genehmigung des Kontingentsherrn
freiwillig die Dienstpflicht im Heer oder der
Marine übernehmen; haben sie mindestens ein
Jahr aktiv gedient, so haben sie für die Regel
ein Recht auf Einbürgerung (R v. 22. 7. 13 8 12).
Von jenem Grundsatz gibt es eine Ausnahme:
Ehemalige Deutsche, die bei ihrer Rücklehr ins
Reichsgebiet staatlos sind, werden, wenn sie sich
hier dauernd aufhalten, militärpflichtig und
können nachträglich ausgehoben, jedoch nicht
über das 31. Jahr hinaus im Dienst zurückgehal-
ten werden. Dasselbe gilt von ihren staatlosen
Söhnen (RMil G §& 11). Die W. trifft jeden
Deutschen, auch den im Auslande befindlichen.
Ausgenommen sind von ihr die Mitglieder landes-
herrlicher (I Häuser, der mediatisierten (X) vorm.
reichsständischen und derjenigen Häuser, denen die
Befreiung von der W. durch Verträge zuge-
sichert ist oder auf Grund besonderer Rechtstitel
zusteht (WG ## 1), endlich die von der Insel
Helgoland [l herstammenden Personen und ihre
vor dem 11. 8. 90 geborenen Kinder (RG v.
15. 12. 90 # 3).
2. Ein bestimmtes Alter. Die W. beginnt
mit dem vollendeten 17. und dauert bis zum
vollendeten 45. Lebensjahr (RG v. 11. 2. 88 .5.24).
Nur innerhalb dieser Altersgrenze besteht die
gesetzliche Möglichkeit der Einberufung zum
Heeresdienst.
#s# 3.Gliederung und Erfüllung der Wehr-
Ppflicht. Die W. gliedert sich in:
A. Die Militärpflicht (W ###8# 22 bis 27).
I. Diese besteht darin, daß der Wehr-
pflichtige der Aushebung zum Dienst im stehenden
Heer und in der Flotte unterworfen ist (RMil G