Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

respublica) erhielten, führte sich die epochemachende 
Hauptschrift des Aristoteles auf diesem Gebiete 
als Ko#####y KiasX# x6, als die „Bücher 
von den politischen Dingen“ ein, und nunmehr 
erhielt der Begriff politica die Bedeutung der 
Wissenschaft vom Staat, der Staatslehre. 
Mit diesem letzteren Begriff ist also der Ter- 
minus „Politik“, wenn man ihn unbefangen und 
rein sprachlich faßt, jedenfalls schlecht weg 
identisch (vergl. aber u. § 11). 
Auch heutzutage gehen die Bedeutungen der 
Politik als „Staatsleben“", praktische 
Politik, und als „Staatslehre“, wissen- 
schaftliche Politik, fortwährend nebenein- 
ander her und oft läßt sich nur nach dem Zu- 
sammenhang bestimmen, wie der Begriff hier 
oder dort gemeint ist. Aber auch genetisch hängen 
die beiden Bedeutungen zusammen. Für eine 
politische Lehre ist ein Anstoß und Bedürfnis erst 
von dem Zeitpunkt an gegeben, wo sich inner- 
halb der menschlichen Gesellschaft größere Grup- 
pen mit praktischer P. beschäftigen. Hieraus 
erklärt sich, daß die Staatslehre ausschließlich ein 
Kind abendländischen Geistes ist. Dem Orient 
fehlt sie. 
Aus ihrer Entstehung und weiteren Entwick- 
lung muß auch der Maßstab für die Bedeu- 
tung und Aufgade der 
als Staatslehre genommen werden. 
Denn nur im Sinn der Lehre kann die „Politik"“ 
im folgenden den Gegenstand einer allgemeinen 
Wesensbestimmung bilden. Soweit man unter P. 
das Staatsleben, die Summe der staatlichen 
Institutionen und Operationen, versteht, umfaßt 
sic einen Begriff von solcher Dehnbarkeit und 
nichtssagenden Allgemeinheit, daß dieser kein 
Obiekt für eine rationelle Erörterung abgeben 
kann. Sie ließe sich nur mit Bezug auf einen 
der speziellen Kulturzwecke der staatlichen Funk- 
tionen, — als Marine-, Finanz-, Kolonial-, 
Armeepolitik — näher kennzeichnen. Aber auch 
die P. im Sinn der Staatslehre ist ein höchn 
biegsamer Begriff. Sie kann von überaus ver- 
schiedenen Standpunkten aus entwickelt werden 
und ist auch aus den verschiedensten Motiven in 
Angriff genommen worden. Je nach dem leiten- 
den Gesichtspunkt ihres Vertreters kann sie als 
Untergebiet der Geschichte, der Rechtswissen- 
schaft, der Moralphilosophie, der philosophischen 
Metaphysik, der Gesellschaftswissenschaft (So- 
ziologie oder Geschichtsphilosophie) oder als 
eine Sonderwissenschaft eigener Art, oder auch 
nur als ein Zweig der Technik, der Kunst- 
fertigleit des politischen Handelus, aufsgefaßt 
werden. Keiner dieser Standpunkte läßt sich von 
vornherein als allein berechtigt oder als gänzlich 
unberechtigt bezeichnen. Man muß sich darüber 
Rechenschaft ablegen, was auf den verschiedenen 
Wegen mit ihr erreicht werden kann, um eine 
engere und präzisere Abgrenzung der Aufgaben 
und Methoden der P. zu gewinnen. 
Zu einem brauchbaren Ergebnisse führt es nur, 
wenn man die Genesis des Wissenschafts- 
zweigs verfolgt. Sie läßt einerseits erkennen, 
daß die P. gewisse allgemeine Ziele 
von Anbeginn an sich vorsteckt und in ihrem ganzen 
Verlauf unverändert festhält. Diese wird man 
unter Ausscheidung anderer nebensächlich oder 
beiläufig sich eindrängender als die wesentlichen, 
Politik 
  
Politik 
  
  
  
prinzipalen Aufgaben der P. bezeichnen dürfen. 
Andererseits zeigt der Werdegang, daß sie in 
der speziellen Stoffabgrenzung und Problem- 
stellung in gewissen entscheidenden Punkten eine 
allmähliche, aber ganz stetige und bewußte Um- 
bildung erfährt, die zu Beginn des modernen 
Zeitalters grundsätzlich abgeschlossen erscheint. 
Damit tritt die moderne P. (§5 8, 9) zu der 
gesamten älteren politischen Wissenschaft in einen 
qualitativen Gegensatz — als die Lehre, welche 
die von altersher verfolgten Ziele auf dem 
methodisch richtigeren Wege anstrebt. 
# 2. Erste Motive der Auobildung einer poli- 
tischen Literatur. Politik als Erziehungslehre. 
Für den Grundcharakter der älteren Staats- 
lehre, deren Anfänge sich in den unteritalischen 
und althellenischen Freistädten der griechischen 
Welt nach den Perserkriegen unvermittelt her- 
vordrängen (5 1), ist bestimmend, daß sie nicht 
durch den Trieb nach Erweiterung der Er- 
kenntnis, durch wissenschaftliches 
Bedürfnis, hervorgerufen wird, wie einige 
Jahrzehnte früher die griechische Naturphiloso- 
phie, die älteste Metaphysik. Die älteste P. ent- 
springt vielmehr rein dem Bedürfnis nach Er- 
ziehung des Menschen für die eigenartigen 
sozialen Verhältnisse seines Zeitalters, dem 
praktischen Zweck, sei es, daß man durch 
Unterweisung in politischen Dingen den Einzelnen 
für sich selbst, seine vorteilhafte Lebensführung 
und Lebensgestaltung fördern, sei es daß man 
ihn brauchbarer für den Staat machen will. 
Sophistik, Sokratik, Hedonismus, Ky- 
nismus. Die Eigenart der Zeit, die die Politik 
erzeugt, liegt in der Füllec der Möglichkeiten für eine Vetä- 
tigung, die die Ausbildung und rasche Steigerung des demo- 
kratischen Elements, besonders in Siilien und in der Herr- 
schaftosphäre Athens, der Masse der einzelnen Bürger 
bietet. Aber je nach der Lage der staatlichen Dinge und der 
Grundstimmung des Naturells muß die politische Lehre von 
vornherein eine verschiedene Richtung nehmen. In der 
Blüte der verikleischen Evoche, im Aufsschwung von Ein- 
heitsbewegung, Sceeherrschaft, Kolonisation, wirtschaftlichem 
Unternehmergeist und Woblstand, wird sie einem neuen Ge- 
schlecht zunächst als Anleitung zur privaten Karriere im 
Staateleben dargeboten. In diesem Einn verslehen sie die 
„Sovhisten“" Protagores, Gorgias, Prodikos u. a. Sie sind 
cin lockerer Kreis berufsmäßiger Wanderlehrer der Bürger- 
kunde, die den Einzelnen gegen Entgelt in der „Ueberre 
dungskunst“ und anderen Fertigkeiten unterweisen, wie sie 
in Rat, Dolksversammlung, Gericht, Einfluß verschaffen. 
Diese P. ist Staatskunst, politische Technik als ein Zweig der 
Lebenskunst. Aber da die Sophisten ihr Ansehen dadurch zu 
steigern suchen, daß sie die Kraft, sich im öffentlichen Leben 
zur Geltung zu bringen, als Idcal der „Tugend“, Ggs### 
d. h. in ihrem Sinn als Lebenstüchtigkeit empfehlen, so 
erscheint ihre Weisheit von vornherein zugleich als Ethik, ihre 
Lehre als Moralphilosophic. In der Problemstellung 
nichts anderes, nur eine Steigerung des letzten Momentes, 
bedeutet es, wenn Sokrates unter dem niederdrückenden 
Erlebnis des beginnenden politischen Mißgeschicks und seiner 
zerrüttenden Folgen, die ihm als Frucht der sophistischen 
Doktrinen erscheinen, den Hauptgedanken der Sophisten 
umkehrt. Er betont statt des Vorteils, den der Bürger vom 
Staat zieht, die Verantwortlichkeit des Bürgers im Dienst 
des Staates. Die Erziehungsnorm wird für ihn zur For- 
derung unbedingter opserwilliger Hingabe des Einzelnen 
an das Allgemeine. Die Tugendlehre bedeutet ihm die 
Forderung zum Erfsorschen und Erkennen des wahren
	        
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