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Württemberg
reichen Einblick in die Merkwürdigkeit der württ.
Verfassung bietet der durch Herzog Karl Eugen
hervorgerufene Verfassungskonflikt, der zu der ge-
fänglichen Einziehung des Landschaftskonsulenten
J. J. Moser, zur Anklage gegen den Herzog beim
Reichshofrat, zum kräftigen Eintreten der Ga-
ranten der Kirchenverfassung (darunter Friedrich
der Große) und schließlich zum Erbvergleich v.
2. 3. 1770 führte. Z
Die durch den Reichsdeputations-Hauptschluß
vollzogene Erwerbung von Neu--W. und die
Annahme der Königswürde 1805 hatten die
Aufhebung der altwürttembergischen Verfassung
mit innerer Notwendigkeit zur Folge. In dem
Organisationsmanifest v. 18. 3. 1806 wurden
alle Teile des Landes zu einem Reich ver-
einigt; es begann tatsächlich der verfassungslose
Zustand, ohne daß die alte Verfassung förmlich
aufgehoben wurde. Die neue Verfassung ist recht-
lich eine Fortentwicklung nicht der alten Ver-
fassung, sondern der absoluten zu einer konstitutio-
nellen Monarchie.
#2. Die Verfassung von 1819 ist nach lang-
wierigen über einer oktroyierten Verfassung und
3 VerfEntwürfen geführten Kämpfen als paktierte
Verfassung unter einstimmiger Annahme der
vierten „Proposttiom in dem K. Manifest v.
27. 9. 1819 verkündet worden.
Diese Verfassung war unverändert in Geltung,
bis infolge der Verkündigung der Grundrechte des
deutschen Volkes das Gv. 1. 7. 49 eine auf all-
gemeinem Wahl-- und Einkammersystem beruhende
Landesversammlung berief, die in das Rechts-
verhältnis der bisherigen Ständeversammlung
eintreten sollte. Die Verfassungsrevision ist aber
nicht zustande gekommen; nachdem die erste Lan-
desversammlung und zwei weitere Versamm-
lungen aufgelöst waren, stellte eine auf Grund von
#89 Vu (Notverordnungsrecht) erlassene Kgl. V
v. 6. 11. 50 den Zustand vor 1849 wieder her.
In der Folge entstand der Streit, ob das Gv.
1. 7. 49 bloß bedingte Geltung hatte und vom
Zustandekommen der Verfassungsrevision ab-
hing und ob das G v. 1. 7. 49 aufgehoben wurde.
Wenn man auch beide Fragen verneinen will, so
steht doch fest, daß die Notverordnung ständischer-
seits nicht angefochten und ihre Gültigkeit in
ständiger Uebung anerkannt wurde. Der formelle
Bestand der Verfassung hat durch folgende Ver-
fassungsgesetze eine Acenderung erlitten: durch
die auf kirchliche Verhältnisse bezüglichen Gv.
31. 12. 61 und v. 30. 1. 62, durch das VG v.
26. 3. 68 (Einführung des allgemeinen Stimm-
rechts für den durch Volkswahl berufenen Teil
der Abgeordnetenkammer), v. 23. 6. 74 (Ge-
schäftsführung der Ständeversammlung), v. 1. 7.
76 (Bildung eines Staats Min), v. 20. 12. 88
(Enteignung). Schließlich wurde die Zusam-
mensetzung der Ständeversammlung
nach verschiedenen Vorversuchen durch das G v.
16. 7. 06 nebst abändernden G v. 15. 6. 11
(Abschaffung des Geheimen Rats) und v. 8. 7. 12
einer durchgreifenden Aenderung (Ausscheidung
der Privilegierten aus der II. Kammer, Ein-
führung der Verhältniswahl für 6 Abgeordnete
der Stadt Stuttgart und 17 Abgeordnete des
Landes) unterzogen.
Eine materielle Aenderung des durch die Ver-
fassung begründeten Rechtszustandes hat der
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Zollverein und die Aufrichtung des Deutschen
Reiches mit sich gebracht. Die VU ist zu ben
Reichsgesetzen in das in a 2 der RV festgesetzte
Verhältnis getreten, daß die Reichsgesetze den
Landesgesetzen vorgehen. Eine formelle Uumge-
staltung der Vu hat nicht stattgefunden, es bleibt
also der Auslegung des Einzelfalles überlassen,
ob und inwieweit die VU nebst abändernden Ge-
setzen neben den denselben Gegenstand regelnden
Reichsgesetzen noch bestehen. Da ferner die Reichs-
ewalt mit der Kompetenz-Kompetenz ausge-
Katet ist, so unterliegt die württ. Verfassung der
Bestimmbarkeit durch das Reich, jedoch hat sich
W. einige besondere den übrigen Staaten nicht
zustehende Hoheitsrechte (Reservatrechte), die
ohne seine Zustimmung nicht geändert werden
können, vorbehalten: a) Die Bestimmungen der
Reichsverfassung über das Reichskriegswesen kom-
men in W. nach näherer Bestimmung der Militär-
konvention v. 21./25. 11. 70 in Anwendung.
b) Bezüglich der Post und Telegraphie (JU sind W.
die Einnahmen, Verwaltung, Tarifbestimmungen
für den inneren Verkehr und die Regelung des
unmittelbaren Verkehrs mit den dem Reich nicht
angehörenden Nachbarstaaten vorbehalten. c) Im
Eisenbahnwesen 1/71 soll die Einführung des Ein-
pfennigsatzes in W. nicht ohne dessen Zustimmung
erfolgen. d) Die Besteuerung des inländischen
Biers [I und der Ertrag verbleibt W. Beim
Branntwein (XI hat sich das frühere Reservat
auf die Bestimmung im §5 2 Abs 2 des G, betreffend
Beseitigung des Branntweinkontingents, v. 14. 6.
112, Fai ver erite Satz der Verbrauchs-
gabe nicht ohne Zustimmung von W. «
westdzn darf, beschränkt. s gedndert
. geltendebetfassnugduaud. i
bestehende, in den Grundzügen * 7 Bu Die
1819 beruhende Verfassung knüpft zwar an einige
Einrichtungen der altwürtt. Verfassung an, hat
aber doch mit letzterer gebrochen; sie ist bestimmt
durch die Theorie des konstitutionellen Staats-
rechts, wie sie in der französischen Charte con-
stitutionelle v. 4. 6. 1814 typisch zum Ausdruck
gekommen war. Als formelle Garantie der Ber-
fassung bestehen die politischen Eide, nämtlich das
Gelöbnis des Königs, der Ständeeid, der Dienst-
eid der Staatsdiener, die Verpflichtung der
Gemeinde-= und Amtsvorsteher, der von jedem
Württemberger nach dem 15. Lebensjahr abzu-
legende Huldigungseid, sodann der gerichtliche
Schutz der Verfassung durch den Staatsgerichts-
hof; hiezu ist der Schutz der R# ##76 Abs 2 von
Reichs wegen getreten. Für die Abänd erung der
Verfassung ist die erschwerte Form der Zweidrittel-
mehrheit in jeder der beiden Kammern erforderlich
Das hiernach zustande gekommene Verfassungs-
Heset teitt den juristischen Charakter der Ver-
Bei den einzelnen Bestandteilen de 3 s.
süng sund folgende vom allgemeinen Saaerfas
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hebeåhe ende Besonderheiten hervorzu-
I. Die Rechtsstellung des «
ist unter Ablehnung des X E mWG
waltenteilung dadurch gekennzeichnet, daß der
König alle Rechte der Staatsgewalt in sich ver-
einigt und sie unter den durch die Verfassun
festgesetzten Bestimmungen ausübt (BVu s 4
Demnach ist die Gesetzgebung nicht gemeinsame