Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
Ziehlinder 
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Zurücknahme der Erlaubnis die Kinder innerhalb 
eines gewissen Zeitraums aus der Pflege zu 
entlassen sind, und es wird weiterhin über die 
Annahme, die Entlassung und den Tod eines 
Kindes und über den Wohnungswechsel der 
Haltefrau Meldung bei der Polizeibehörde er- 
fordert. 
Meist findet die Verordnung keine Anwendung 
auf diejenigen Haltekinder, die von der Armen- 
pflege oder einer Unterstützungsänstalt in Kost ge- 
geben sind. (Der Satzfehlt aber z. B. in der Ver- 
ordnung des Oberpräsidenten der Provinz Bran- 
denburg mit Ausnahme von Berlin v. 29. 5. 81, 
ebenso in der V der Regierung zu Schleswig 
v. 17. 5. 96.) Wir haben also als Regelfall mit 
einer Zweiteilung der Ziehkinder zu rechnen: die 
„Polizeikinder“, bei denen lediglich die Polizei 
kontrollierend wirkt—sodann diejenigen, die von der 
Armenpflege oder einer Unterstützungsanstalt be- 
aufsichtigt werden und bei denen die Polizei zu- 
gunsten dieser anderen Kontrolle auf ihre Kon- 
trolle verzichtet. 
In fast allen diesen Polizeiverordnungen findet 
sich auch insofern gegen früher ein bedeutsamer 
Fortschritt, als die Altersgrenze für die 
Ueberwachung höher genommen ist: erst mit dem 
Abschluß des sechsten Lebensjahres hört jetzt die 
Ueberwachung auf. Ein Runderlaß der beteilig- 
ten Minister v. 20. 3. 96 (MBl 67) bestätigt 
diese Vorschrift und weist zugleich die Anschauung 
ab, als ob die Altersgrenze noch weiter hinauf- 
zusetzen sei. Mit der Vollendung des sechsten 
Lebensjahrs pflege der Schulbesuch zu beginnen, 
dann aber hätten an Stelle der Polizei die Lehrer 
die Ueberwachung der Haltekinder auszuüben. 
Sollten die Lehrer die Abstellung etwaiger Uebel- 
stände nicht zu erzielen vermögen, so müßten 
sie die Vernachlässigung dem Vormunde, dem 
Waisenrate oder der PolBehörde anzeigen, da- 
mit von dort aus Abhilfe geschafft werde. Kinder 
allerdings, die noch nach vollen detem sechsten 
Lebensjahre wegen körperlicher oder geistiger 
Mängel vom Schulbesuche befreit seien, würden, 
falls die polizeiliche Ueberwachung mit diesem 
Zeitpunkte aufhören sollte, einer behördlichen 
Aufsicht überhaupt entbehren. Die Regierungen 
werden deshalb aufgefordert, die Polizeiverwal- 
tungen ihres Bezirks anzuweisen, ihre Aufmerk- 
samkeit, solange es erforderlich sei, dieser Kate- 
gorie von Kindern zuzuwenden. 
2. Die vorhin skizzierte Entwicklung, daß der 
Begriff der Ziehkinder allmäh- 
lich weitergesaßt wird, findet sich 
deutlich in den preußischen Pol Verordnungen, 
wobei aber — entgegen einem Teil der außer- 
preußischen Entwicklung — die Tendenz be- 
steht, der Polizei über die Z. im weiteren und 
auch im weitesten Sinne die Kontrolle, minde- 
stens die oberste Kontrolle möglichst zu belassen. 
Es werden häufig alle in einer fremden Familie 
aufwachsenden unehelichen Kinder einbezogen. 
So bestimmt # 1 Pol B des Regierungspräsidenten zu 
Düsseldorf v. 8. 5. 13 ganz allgemein: 
„Wer fremde, noch nicht 6 Jahre alte Kinder in Kost 
und Pflege halten will, bedarf dazu der Erlaubnis der 
Ortspolizeibehörde. Ausgenommen von dieser Vorschrift 
ist die unentgeltliche Uebernahme ehelicher Kinder in Kost 
und Pflege; solche Kinder gelten nicht als Haltekinder im 
Sinne dieser Verordnung.“ 
  
( 8 dieser V dehnt dann noch die Kontrolle auf die 
jenigen unehelichen Kinder aus, die bei ihrer Mutter unter- 
gebracht sind, „soweit nach dem Ermessen der Ortspolizei- 
behörde ein gesundheitliches Interesse vorliegt". 
III. Die gesundheitspolizeiliche 
Beobachtung der Haltekinder. 
1. Die Prüfung und Ueberwachung der Halte- 
kinder erfolgt unter Mitwirkung der Kreis- 
ärzte. Nachdem schon & 98 der DAnw für die 
Kreisärzte v. 23. 3. 01 die Ueberwachung des 
Haltekinderwesens durch die Kreisärzte vorge- 
schrieben hatte, hat die neue Dienstanweisung für 
die Kreisärzte v. 1. 9. 09 (Ml 381) diese Ueber- 
wachung noch weiter ausgebaut. 
„Bei der Ueberwachung des Haltekinderwesens 
hat der Kreisarzt nach Maßgabe der bestehenden 
Vorschriften mitzuwirken (vgl. Vf'g v. 25. 8. 80). 
Seitens der Ortspolizeibehörde ist ihm ein Ver- 
zeichnis derjenigen Personen, bei welchen fremde, 
noch nicht sechs Jahre alte Kinder gegen Entgelt 
in Kost und Pflege untergebracht sind, mitzuteilen 
und fortlaufend zu ergänzen. 
Die Haltekinderstellen hat der Kreisarzt nach 
Bedarf und tunlichst unvermutet zu besichtigen 
und sich vom Zustande der Wohnung, der Art 
der Wartung, Pflege, Erziehung und Behand- 
lung, sowie vom Gesundheitswesen der Pfleg- 
linge zu überzeugen. Bei Todesfällen von Halte- 
kindern ist nach der Todesursache zu forschen und 
insbesondere zu untersuchen, ob der Person, 
welche das Kind in Pflege gehabt hat, ein Ver- 
schulden zur Last fällt. 
Von dem Ergebnisse ist der Ortspolizeibehörde 
unter Angabe der vorgefundenen Mißstände Mit- 
teilung zu machen und bei erheblichen Mängeln 
die Zurückziehung der Erlaubnis zur Aufnahme 
von Pflegekindern zu veranlassen. 
Wo die Verhältnisse sich dazu eignen, ist auf An- 
stellung von Aufsichtsdamen zur Unterstützung 
des Kreisarztes bei Ausübung der Aufsicht über 
das Haltekinderwesen sowie auf Einführung der 
Generalvormundschaft gemäß a 78 5 4 A# z. BGB 
hinzuwirken (vgl. Vig v. 11. 2. 05 (MBl 124)0)." 
2. Vorangegangen war diesen Vorschriften der 
bedeutsame Erlaß der beteiligten 
Minister v. 11. 2. 05 (Mli V 42). Der Erlaß 
zieht mit Nachdruck die Berliner Einrichtung der 
besoldeten Aufsichtsdamen heran. Damals waren 
14 in der Charité ausgebildete Damen vom 
Pol Präsidium angestellt, die unter amtsärzt- 
licher Leitung Wohnung, Nahrung und Pfflege 
der Kinder zu kontrollieren hatten. (Inzwi- 
schen besteht diese Einrichtung im gesamten 
Landespolizeibezirk Berlin schon seit einer Reihe 
von Jahren.) Die Präsidenten der Regierungen 
werden ersucht, den Ortsbehörden der Gemein- 
den mit kommunaler Polizeiverwaltung erfor- 
derlichenfalls diese Organisation zu empfehlen. 
Nach ihrer Einführung sei in Berlin ein Rückgang 
der Kindersterblichkeit zu beobachten gewesen. 
IV. Schließlich — und dies ist besonders wichtig 
— wird in dem Erlaß als wirkungsvolle Ergänzung 
der polizeilichen Maßnahmen im Kinderhalte- 
wesen die Generalvormundschaft ge- 
mäß a 78 5 4 Preuß. AG z. BGB empfohlen. 
Der Generalvormund werde auf Veranlassung 
der Aufsichtsdamen den unehelichen Vater leich- 
ter zur Zahlung der Pflegegelder heranziehen 
können. Damit komme die Haltefrau zu ihrem 
 
	        
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