Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
Ziehkinder — Zigeuner 
977 
  
Dr. von Drygalski-Halle a. S., der ärztliche Forderungen 
zur Organisation des Z.Wesens erhob, und Dr. Franz 
Recke, der die örtliche Organisation des Z. Wesens besprach 
(val. den Bericht über die Tagung. Zentralbl. für Bor- 
mundschaftswesen 3, Nr. 19 S 233). Die Tagung endete 
mit* der Einsetzung einer Kommission, welche die von den 
Referenten ausgestellten Borschläge weiter bearbeiten 
sollte. Die Kommission ist auch zu sehr detaillierten Bor- 
schlägen gelangt, die im Zentralbl. für Bormundschafts- 
wesen 4, Nr. 12 S 138 abgedruckt sind. Eine ausführliche 
Bekanntgabe über die Tagung ist als Band I und Band I 
der Veröffentlichungen der Preußischen Landeszentrale für 
Säuglingsschutz, Berlin 1911, erschienen. Band 1 gibt den 
Vorbericht und Materialien, zusammengestellt von Recke, 
Band II den stenographischen Berhandlungsbericht. Die 
größte Materialsammlung bietet das im Text schon ge- 
nannte Handbuch: „Säuglingsfürsorge und Kinderschutz in 
den europäischen Staaten“" von Keller--Klumker, 
Band I1 (Berlin 1912) S 1206—1266, doch reicht diese 
Sammlung nur bis März-Mai 1911. Das Handbuch gibt 
auch Materialien über eine große Reihe außerdeutscher 
Staaten, worauf hier nur hingewiesen sel. Grabotwskv. 
Sigarettensteuer 
LTabaksteuer 5 2 IV, 7 8. 
Zigenner 
#s 1. Allgemeines (Mißstände). 1 2. Bekämpfung. 
5* 1. Allgemeines (Mißftände). Die Z. stam- 
men wahrscheinlich aus Indien und sind auf ihren 
Wanderzügen im Mittelalter nach Europa ge- 
kommen, wo sie seitdem eine ständige Landplage 
bilden. Es ist wohl ein Erfolg der behördlichen 
und auch aus der Bevölkerung herausgewachsenen 
Verfolgungen, daß sie nunmehr schon seit Jahr- 
hunderten kein Volk im Volke mehr bilden. Sie le- 
ben indessen in mehr oder minder starken Stämmen 
noch heut ziemlich zahlreich in gewissen Staaten 
des Ostens, namentlich in Ungarn und auf dem 
Balkan und kommen in größeren Horden auch in 
den Pyrenäen vor. In Deutschland sind sie etwa 
im 15. Jahrhundert zahlreicher aufgetreten, ohne 
sich indessen hier in ihrer Rassenreinheit zu erhal- 
ten. Was abgesehen von den hin und wieder aus 
den östlichen Ländern bei uns durchziehenden 
Horden in Deutschland an Z. vorkommt, sind ent- 
weder Mischlinge oder Landstreicher, die seit 
Generationen die Lebensweise der Z. angenom- 
men haben. Sie sind zur gleichen Landplage 
wie die Rasse 3. geworden und sind in ihrer äußeren 
Erscheinung, Lebensweise und Beschäftigungsart 
von ihnen nicht zu unterscheiden. Deshalb richten 
sich auch die polizeilichen Maßnahmen der ein- 
zelnen Bundesstaaten nicht nur gegen die Z., 
sondern auch gegen die nach Z. Art umherziehen- 
den Personen, die teilweise die deutsche Staats- 
angehörigkeit besitzen und deshalb gegen manche 
v. Stengel-Fleischmann, Wörterbuch. 2. Aufl. 
  
Präventiv= und Regressivmaßregeln geschützt sind, 
welcher der ausländische Z. unterliegt. 
Die Ergreifung von strengen Maßnahmen ist 
aber bei der bekannten Lebensweise und Führung 
der Z. unvermeidlich. Sie leben vom Bettel und 
Diebstahl und schrecken auch vor schweren Ver- 
brechen nicht zurück, wenn es die Umstände er- 
fordern. Indem sie hordenweise das Land durch- 
ziehen, werden die Uebelstände des Landstreicher- 
tums in potenzierter Weise durch sie zum Aus- 
druck gebracht. Wo sie sich lagern, bilden sie 
einen Schrecken der Landbevölkerung, die weiter 
durch ihre Unreinlichkeit belästigt und durch die 
von ihnen ausgehende Verschleppung von Krank- 
beiten und Tierseuchen gefährdet wird. Ihr Wan- 
ertrieb ist nicht aus zurotten und die wiederholten 
Versuche, sie an eine seßhafte Lebensweise zu 
gewöhnen, wie sie schon von Friedrich dem Großen 
gemacht worden sind, haben zu keinem Ergebnisse 
geführt, und zwar mit wenigen Ausnahmen auch 
dann nicht, wenn die Z. Kinder im jugendlichsten 
Alter in Fürsorge genommen worden sind. 
Da sie vielfach zur Verdeckung ihrer Landstreiche- 
rei als Kesselflicker, Musiker, Gaukler und in ähn- 
licher Eigenschaft im Lande umherziehen, so bedür- 
fen sie als Gewerbetreibende im Umherziehen eines 
Wandergewerbescheins (J|; doch besteht die Vor- 
schrift, daß ausländischen Z. und solchen, die sich 
über ihre Reichsangehörigkeit nicht ausweisen 
können, der Wandergewerbeschein grundsätzlich zu 
versagen ist. Auch inländischen Z. kann er regel- 
mäßig versagt werden, da sie nur in den seltensten 
Fällen über einen festen Wohnsitz verfügen und 
auch für den Unterhalt und Unterricht ihrer Kinder 
kaum genügend gesorgt ist. Indessen bilden diese 
Vorkehrungen nur einen geringen Schutz, da die 
Z. bei den geheimnisvollen Beziehungen, die 
zwischen den einzelnen Banden bestehen, es 
meisterhaft verstehen, sich in den Besitz falscher 
Ausweispapiere zu setzen. Dies gelingt ihnen oft 
um so leichter, als vielfach namentlich die Orts- 
polizeibehörden kleiner Gemeinden leicht geneigt 
sind, den Bitten von Z. um Ausstellung von Aus- 
weispapieren und insbesondere von Zwischenlegi- 
timationen, wonach die Inhaber ihre Papiere zur 
Erneuerung an die zuständige Behörde geschickt 
oder sie verloren haben, zu entsprechen, weil sie 
die Bande auf diese Weise am leichtesten loszuwer- 
den hoffen oder im Falle der Verweigerung ihre 
Rache fürchten. 
Dieses Bestreben, sich der Z., die bei ihnen auf- 
tauchen, mit möglichster Schnelligkeit und auf 
einfachstem Wege zu entledigen, bestimmt übri- 
gens nicht bloß die Entschließung der Dorf= und 
Landbürgermeister, sondern vielfach auch die 
höheren Behörden und zwar nicht nur desselben 
Staates, sondern auch der verschiedenen Staaten 
im Verhältnisse zueinander. Die vielen Umständ- 
lichkeiten, welche mit der Abschiebung der 3. 
und ihrer Uebernahme in ihre Heimat verknüpft 
sind, haben wiederholt die Behörden veranlaßt, 
sie heimlich in den Nachbarkreis oder in das Nach- 
barland hinüberzuschaffen und sich so schnellstens 
der unwillkommenen Gäste zu entledigen. Hier- 
durch werden aber die Abwehrmaßnahmen gegen 
das Z. Unwesen in hohem Maße beeinträchtigt 
und gefährdet. Es gelingt keine hinreichende Fest- 
stellung der Persönlichkeit und damit ist auch 
eine wirksame Strafverfolgung vieler Z., die 
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