Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Dritter Band. O bis Z. (3)

  
Politik 87 
sie tritt in den Vordergrund, als Polybios in seiner Geschichte 
(cu. 150) gerade dieses Iveal in der Verfassung der römi- 
schen Republik verwirklicht findet, in dem Gleichgewicht der 
chronisch staatsleitenden aristokratischen Körperschaft des 
Senats, des periodischen monarchenähnlichen Imperiums der 
Magistrate, der gesetzgebenden und die Beamten durch Wahl 
kontrollierenden Funktion der demokratischen Volksver- 
sammlung. Stoische Berater römischer Politiker — Panä- 
tios, der wissenschaftliche Lehrer des Scipio Aemilianus — 
vermitteln das Eindringen dieser Vorstellungen in die herr- 
schenden Kreise der römischen Gesellschaft (Cicero, Augu- 
stus) zu der Zeit, als sich die Organisation der Mittelmeerwelt 
von Rom aus in stärkerer Betonung der Monarchengewalt, 
aber zunächst mit Wahrung republikanischer Formen — 
Scnat und Bürgerheer — vorbereitete. 
So veranschaulicht schon die Antike, daß die 
P., indem sie die Probleme der politischen Er- 
ziehung und der Verfassungskritik mit geschicht- 
lichen und zugleich mit dogmatisch-ethischen und 
dogmatisch-metaphysischen Problemen verflicht, 
bei aller eminent anregenden Wirkung eine sichere 
Bemeisterung der Probleme des realen Staats- 
lebens schuldig bleibt. Sie liefert eine Kette 
wechselnder Reflexionen und Meditationen über 
die Staatsidee, über die angeblich allgemein- 
gültigen Schemata eines Idealstaats. Hinter ihnen 
verbergen sich aber tendenziöse Programme, die 
das Subjekt aus den realpolitischen Verhältnissen 
und Bedürfnissen abstrahiert und die mit den 
Verhältnissen selbst wieder wechseln. 
5# 6. Uebergang der Politik zu den neuen 
Nationen in Mittelalter und Renaissance. 
Den Mischcharakter, den die P. von ihrer Geburt 
unter den Griechen mitbrachte und den sie am 
anschaulichsten in der „Politik“ des Aristoteles 
(oben §# 1, 4) offenbarte, hat sie in die westeuro- 
päisch-christliche Kultur mit herübergenommen und 
bis zum 19. Jahrh. bewahrt. 
Unter ihren Zielen war das der systemati- 
schen Bürgerpädagogik unter Verhältnissen, die 
den Einzelnen einen politischen Einfluß 
verschlossen, naturgemäß wieder zurückgestellt wor- 
den, um erst ganz allmählich in dem Grade wieder 
zu Bedeutung zu kommen, als das politische 
Interesse der Menge der Gebildeten wieder vor- 
drang. Ihr Hauptziel blieb das einer syste- 
matischen Verfassungskritik, die 
sich an den Gesetzgeber, besonders an den Organi- 
sator der Grundlagen des Staatswesens richtet. 
Sie verbindet aber hiermit auch fernerhin starke 
Beisätze einer Lehre in der Staatskunst. 
Mit ihr gibt sie die Unterweisung in der Tech- 
nik einer volkspsychologischen Behandlung der 
politischen Funktionen, wie sie der Staatsmann als 
Träger der Regierung, als Parteimann, braucht. 
Auch in der Methode, ihren Stoff aus- 
zuwählen und abzugrenzen und daraus ihre 
Erkenntnissätze abzuleiten, bleibt die P. in den 
alten Bahnen. Sie bleibt bestrebt, die Staats- 
idee mit den metaphysischen Ideen 
in Einklang zu bringen. Die Weltanschauung des 
ganzen Zeitalters und des einzelnen Denkers 
gibt ihren politischen Systemen den Untergrund. 
Hatte sich das Römertum zum Verständnis des Staats 
wesentlich auf die stoistisch-pantheistischen Grundlagen zu- 
rückaczogen, so lenkte die christliche Aera seit Augustin zu 
einer theistischen Welt= und Staatsanschauung zurück, um 
in sie allmählich die gleichgerichteten Elemente der platonisch- 
aristotelischen P. zu verweben und wie diese den Staat als 
  
gottgesetzte Ordnung und als Anstalt der Heranbildung der 
Menschheit zum Gottesreiche zu begreifen. Demgemäß 
wirkten auch die christlichen Glaubensstreitigkeiten auf die 
P. ein, schon während des Mittelalters die innerhalb der 
katholischen Kirche, später erst recht die Kämpfe, die die 
Reformation in die Kirche hineinträgt. Daneben drang 
aber schon früh auf dem Umweg über die arabische Literatur 
der Pantheismus der Stoa oder ein epikuräischer Materialis- 
mus verkappt auch in die mittelalterliche Politik ein, bis er 
in der Renaissance offen der katholischen oder protestanti- 
schen Scholastik entgegentrat und im 17. Ihd. in der Staats- 
lehre des Thomas Hobbes und des Spinoza als Bestand- 
teil eines geometrisch-physikalischen Welusystems kulminierte. 
Aber noch weniger als in der Antike legen sich 
die gegensätzlichen Lehren in starren und unver- 
änderlichen Schemata fest. Fortdauernd wird 
die P. von der historischen und der juristischen 
Betrachtung der staatlichen Dinge beeinflußt. 
Aus der wachsenden geschichtlichen Literatur, besonders 
auch aus jetzt auftretenden Untersuchungen von Verfassungs- 
geschichten der Einzelstaaten, Florenz, Englands, Frank- 
reichs, wird der Schatz empirischepsychologischer Beobach= 
tung vermehrt und gegenüber der Antike besonders deswegen 
bereichert, weil der Vergleich der Staatseinrichtungen des 
Altertums mit den gerade in den mächtigsten Gebilden, den 
territorialen Nationalstaaten, aus ganz andern Gesichts- 
punkten erwachsenen Staaten der neuen Welt tiefer in Eigen- 
art und Gesüge, Wert und Unwert des politischen Wesens 
eindringen läßt. Noch mehr vertieft sich der juristische 
Apparat. Hatte das Altertum wesentlich nur insoweit das 
Verhältnis zwischen Staat und Recht erkannt, als der Staat 
in Gesetzgebung und Rechtsprechung der berufene Schützer, 
wo nicht der Schöpfer des Rechts ist, so öffnete die Eifersucht 
der Kirche auf den Staat dem Mittelalter die Augen auch 
über die umgekehrte Wechselbeziehung zwischen Recht und 
Staat. Die italienischen, französischen, englischen, deutschen 
Denker fühlen das Bedürfnis, die Macht des Staates über 
den Bürger zu rechtfertigen und unter das Recht 
zu stellen. 
Um das Rechtsverhältnis zwischen 
Staat und Volk, Krone und Ständen, Staatsge- 
walt und Individuum zu erklären, greift die Doktrin 
zunächst auf die Analogie derjenigen rechtlichen 
Beziehungen, welche für das Einzeldasein, das 
Privatleben, Rechte und Pflichten begründen. 
Wie das Familienrecht ein Autoritätsverhältnis 
des Vaters oder Geschlechtsältesten zu den Ab- 
kömmlingen schafft, so wird auch das Verhältnis 
des Herrschers zum Stamm, später zum Volke 
als das einer erweiterten Familie begriffen 
(Hpatriarchale Staatsauffassung). Aus der 
Eigentumsherrschaft, die das Sachenrecht dem 
Eigentümer eines Grundstücks verleiht, sucht man 
das Recht des Herrschers am Gebiet, und 
damit die Unterlage des Staats zu [NI erklären 
(pvatrimoniale Staatsauffassung). Beson- 
ders aussichtsreich aber erscheint es, aus dem Ver- 
trag, der nach Obligationenrecht Pflichtverhält- 
nisse aller Art ins Leben ruft, analog auch die aus 
dem Staatsleben erwachsenden Herrschafts= und 
Gebundenheitsverhältnisse zu erklären. Man nimmt 
an, daß sich eine Vielheit von Menschen zum ge- 
sellschaftlichen staatlichen Zusammenleben, dem 
status civilis oder sccialis. vereinigen — im 
Gesellschafts-oder Sozialvertrag 
oder auch, daß das vereinigte Volk einem Pri- 
vilegierten oder einer Gruppe Bevorrechtigter 
die staatliche Funktion überträgt, sich ihrer Herr- 
schaft unterordnet, — im Herrschafts-oder
	        
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