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teilnehmen zu lassen. Der Oberkirchenrat hat infolge dessen die Unter—
stützung des unterzeichneten Ministeriums in Anspruch genommen, damit
die Eltern derjenigen Schulkinder, welche der Küster als Leiter des
Sängerchors zum Eintritt in denselben für geeignet erachtet und in den—
selben einreihet, nötigenfalls angehalten werden möchten, die Mitwirkung
ihrer Kinder im Schülerchor nicht zu verweigern und zu hindern.
Daß eine Verpflichtung der Schulkinder zur Teilnahme am kirch-
lichen Sängerchor besteht, leidet keinen Zweifel. Die revidierte Kirchen-
ordnung von 1602 und 1650, welche im landesgrundgesetzlichen Erbver-
gleiche von 1755 ausdrücklich als gesetzlich verbindlich anerkannt ist,
schreibt in dem Abschnitte „Ordnung der Ceremonien in Pfarrkirchen der
Städte, und da Schulen sind“, fol. 150 ff., allgemein vor, daß zum
Gottesdienste der Kantor mit den Schülern zur Kirche gehen und singen,
daß der Chor dem Pastor antworten soll u. s. w., und daß zu dem
Zwecke die Schulmeister und Kantoren die Knaben zu den christlichen
Choralgesängen gewöhnen sollen. Beziehen sich diese Vorschriften zunächst
auch nur auf die Städte und deren Schulen, so läßt doch der Zusatz:
„und da Schulen sind“, deutlich erkennen, daß die Absicht darauf gerichtet
war, es sollte auch an andern Orten, auch auf dem Lande, wo Schulen
bestanden oder noch gegründet wurden, mit dem Gottesdienste nach dem
Maße der vorhandenen Leistungsfähigkeit gehalten werden. Ebenso ver-
ordnet die revidierte Kirchenordnung in dem Abschnitte „Vom Begräb-
nisse“, fol. 240, 6 ff., ganz allgemein, daß die Begräbnisse mit christlichen
Gesängen, Prozessionen und anderen gewöhnlichen Zeremonien allenthalben
gehalten werden, wozu ebenfalls die Mithülfe eines Schülerchors nicht
entbehrt werden konnte. Auf Grund dieser Bestimmungen sind mit der
fortschreitenden Entwicklung des Schulwesens auf dem Lande auch hier
allmählich Schülerchöre in immer weiterem Umfange errichtet und bei
den sonntäglichen Gottesdiensten und Begräbnissen verwendet worden.
Zeugnis darüber, daß die Bestimmungen der Kirchenordnung allgemein
in dieser Richtung angewandt und wirksam geworden sind, giebt schon
die Erläuterung der Kirchenordnung von 1708, wenn sie vom kirchlichen
Gottesdienste Bogen B, 4b sagt, daß auch auf den Dörfern der Pastor
und Küster mit den Dorfknaben, so viel deren zu haben möglich, in die
Kirche kommen sollen, und hinsichtlich der Begräbnisse auf dem Lande,
Bogen II 2 ausspricht, daß die Prediger nebst der Schule alle Leichen
ehrbarlich begleiten sollen. So ist es allgemeine und unbestrittene Ueb-
lichkeit geworden und muß als eine mit der Schulpflicht zusammenhängende
Landesordnung gelten, daß Sängerchöre aus den dazu geeigneten Schul-
knaben gebildet werden und in Gottesdiensten und bei kirchlichen Hand-
lungen mitwirken müssen und dementsprechend ist es als Pflicht der
Schüler anzusehen, auf Erfordern an den Sängerchören und deren kirch-
lichen Tätigkeiten teilzunehmen, und als Pflicht der Eltern sie zu solcher
Teilnahme zur Verfügung zu stellen. Im Falle der Weigerung von
Seiten der Eltern aber steht es den Schulbehörden zu, nach Befinden
mit Bedeutung, Verwarnung und nötigenfalls mit Zwangsmitteln ein-
zuschreiten.
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