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figer wegen Kränklichkeit die Schule versäumen müssen, doch räumt An-
geklagter selber ein, daß die hier zur Frage stehende Versäumnis nicht
darauf zurückzuführen sei, er werde vielmehr seinen Sohn auch fernerhin
nicht zum Chorsingen schicken, da das nicht mit zur Schule gehöre, und
kein Gesetz bestehe, nach welchem er gezwungen werden könne, sein Kind
am Chorgesang teilnehmen zu lassen, auch würden die Knaben willkürlich
vom Kantor zum Chorgesang ausgesucht.
Der Angeklagte hat sich nach dem unter 2 festgestellten Tatbestande
einer Uebertretung der 88 16, 24 der am 3. Dezember 1853 landes-
herrlich bestätigten Ribnitzer Schulordnung schuldig gemacht. Schon die
Mecklenburgische Kirchenordnung von 1552 bestimmt in dem Titel: „Ord-
nung der Ceremonien in Pfarrkirchen der Sted, und da Schulen sind“
(Bärensprungsche Sammlung 1. Teil 1. Stück S. 108 ff.), daß die
Schüler zum Psalmensingen und dergl. im Kirchenchor verwendet werden
sollen. Diese Bestimmungen sind in die revidierte Kirchenordnung von
1602, neu aufgelegt zu Lüneburg 1650, unter demselben Titel (Bären-
sprungsche Sammlung 1. Teil, 2. Stück S. 234 ff.) übergegangen mit
dem ausdrücklichen Zusatz in Abs. 6 a. a. O.: „Zu solchen Alten und
Christlichen reinen Choralgesengen, sollen die Schulmeister und Cantores
die Knaben gewenen, und fleiß anwenden, daß dieselbigen ihnen von
jugend auff eingebildet und bekand werden.“ Vergl. auch den Titel: „An
Sonntagen und hohen Feste Nachmittage in den Stedten“, in welchem
ebenfalls (a. a. O. S. 242) Kirchengesang durch die Schüler vorgeschrieben
ist. Die Kirchenordnungen von 1552 und 1602, von welch letzterer die
von 1650 wie gesagt nur eine neue Auflage vorstellt, sind in § 183 des
landes-grund-gesetzlichen Erbvergleichs vom 18. April 1755 bestätigt und
haben, soweit sie nicht durch die spätere Gesetzgebung abgeändert sind oder
außer Uebung gekommen sind, noch heute praktische Geltung. Insbesondere
ist die Zuziehung der die oberen Klassen der Volksschulen besuchenden
Knaben zum Kirchenchor in den Städten wie auf dem Lande stets ganz
allgemein in Gebrauch geblieben. Für die Ribnitzer Stadtschule ist diese
Frage ganz außer Zweifel gestellt durch § 51 der Ribnitzer Schulordnung,
in welchem bestimmt ist, daß der Kantor, welcher „zur Leitung des Ge-
sanges in sämtlichen Gottesdiensten verpflichtet“ ist, „zu diesem Zweck
einen Sängerchor aus den Schülern zu bilden“ hat. Dem Kantor steht
also die Auswahl der ihm geeignet erscheinenden Schüler zu, so daß er
z. B. berechtigt ist, sich in der Auswahl auf die singfähigen Kinder der
oberen Klassen zu beschränken. Auch sonst sind die Lehrer nach 8 41 der
Schulordnung verpflichtet, mit den größeren Schulkindern den sonntäg-
lichen Gottesdienst regelmäßig zu besuchen. Aus allen diesen Bestimm-
ungen ergiebt sich, daß für die Ribnitzer Stadtschule jedenfalls die Teil-
nahme an dem kirchlichen Sängerchor einen Teil der Schulpflicht bildet,
und daß darin etwa vorkommende Versäumnisse als Schulversäumnisse
aufzufassen sind, die nach den Bestimmungen der Schulordnung ihre Er-
ledigung zu finden haben, soweit die betreffenden Kinder in Ribnitz schul-
pflichtig sind. Vgl. das Zirkular des Unterrichtsministerii vom 26. April
1890 betr. Teilnahme der Schulkinder am Sängerchor, in E. Frahm: