22 Das Buch der Wahrheit
Bezüglich der schöngeistigen Literatur ma-
chen Sie, als Professor der Literatur, die Bemerkung, dass
„seit Goethes Zeit (also innerhalb der letzten achtzig
Jahre) ausser Hauptmann und Sudermann nur
ein deutscher Autor einen Weltruf erworben habe, und
das sei Heinrich Heine, ein Jude.”
Welch ein Armutszeugnis für Sie! Inner-
halb der letzten achtzig Jahre hatte Deutschland grosse
Männer in allen Zweigen der Literatur aufzuweisen. Wel-
cher Amerikaner kennt nicht die Philosophen Schopen-
hauer und Nietzsche? Sind das nicht Männer von
Weltruf? Sie erwähnen nur BRucken und Häckel; letz-
terer ein Naturforscher und Zoologe. Wie steht es mit an-
deren deutschen Grössen der Literatur dieser Periode? Da
sind drei weitere Philosophen: Wilhelm Wundt,
EduardvonHartmannund Ernstvon Mach.
Dann die Dichter: Uhland, Rückert, Schlegel, Tieck, Bür-
ger, Emanuel Geibel, Freiligrath, Grillparzer, Hebbel,
Anzengruber, Otto Ludwig, Gustav Freytag, Paul Heyse,
Ernst von Wildenbruch,. Konrad Ferdinand Meyer, Gott-
fried Keller, Victor von Scheffel, Bodenstedt, Hoffmans-
thal, Dehmel, Detlev von Liliencron, Otto Erich Hartleben,
Walter Blöm, Gustav Frenssen, Ganghofer, Ludwig Fulda,
usw. —: Und Sie wagen es, als Professor der Literatur.
Deutschland „arm an literarischen Grössen” zu nennen!!
Die Schöpfungen der bedeutendsten Männer Deutsch-
lands während der letzten achtzig Jahre sind allein „Kul-
turerrungenschaften”, deren sich keine andere Nation
rühmen kann, und von einer so befruchtenden Wirkung,
dass, wenn alle anderen literarischen Erzeugnisse jener
Zeit verloren gingen, die Kulturmenschheit dennoch einen
Mangel an geistiger Nahrung und ethischen Vollwerten
nicht empfinden würde. —