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der zu ihm befohlenen Künstler neue und keineswegs leichte Musikstücke
mit, so setzte sich der hohe Herr des öfteren sofort am Klavier nieder,
um sie in einer Weise vom Blatt zu spielen, die erkennen ließ, daß
man keinem Musikliebhaber, sondern einem Musiker gegenüberstand.
Dem König Albert war die Musik Herzenssache. Sie war ihm eine
holde Gefährtin auf seinem Lebenswege. Und als solche stand sie ihm
selbst in seiner letzten Lebensstunde zur Seite. Während er sonst in
den Stunden der Muße am Klavier sich an den Werken der klassischen
Meister erfreute, wohl auch einen der Auszüge neuerer Opern, die er
stets um sich hatte, zur Hand nahm, lauschte er in Sibyllenort noch
gern der angenehmen Baritonstimme eines seiner Ärzte, den eine der
Damen der Königlichen Umgebung am Klovier begleitete.
144. König Albert als Bücherfreund und sein Arteil ühber
neueste Geschichtsschreibßung.
König Albert las sehr viel, namentlich historische und biographische
Werke. Es gab kein Buch von irgend einer Bedeutung auf dem
Gebiete der Politik, des Staatsrechtes oder der Militärwissenschaften,
welches er nicht in den Händen gehabt, aus dem er nicht das
Charakteristische herausgeschält und mit unvertilgbarer Schärfe seinem
Gedächtnisse eingeprägt hätte.
Er verwandte große Summen für seine Privatbibliothek, bestimmte
die Auswahl der Werke selbst und knüpfte hieran oft treffende Be-
merkungen über das Buch oder den Verfasser. Von historischen
Theorien und Konstruktionen hielt er in seinem klaren Wirklichkeitssinne
garnichts, und als ein Mann, der von der neuesten Geschichte natürlich.
durch persönliche Erfahrung mehr und Intimeres wußte, als gewöhnlich
ein Historiker wissen kann, bemerkte er einmal zu einem solchen trocken:
über diese neueste Geschichte könne man wohl Vorlesungen halten, aber
nicht schreiben.