§ 22. Fortsetzung. Die Verwaltung der Staatsschuld. 89
Die Staatsschuld ist seit dem Ges. v. 30. Juni 1845 seitens der Gläubiger unaufkündbar.
Der Zeitraum für die allmählige Tilgung war bisher nach den, jedem einzelnen Anlehen zu
Grunde liegenden vertragsmäßigen Bestimmungen, welche die Tilgungszeit nicht über 50 Jahre
hinaus erstreckten, zu bemessen ¹). Erst das Gesetz vom 20. März 1881 hat im Interesse der zeit-
weiligen Entlastung des Budgets gelegentlich der Konversion eines Theils der Staatsschuld die
Grundsätze des früheren württemberg. Finanzrechts verlassen und bestimmt, daß bei den bis zum
Ablaufe der Finanzperiode 1881/83 aufzunehmenden Staatsanlehen (also für die damals konver-
tirte Staatsschuld) vertragsmäßig festgestellt werden dürfe, daß die Tilgung entweder in jähr-
lichen Raten, nach einem im Voraus festgesetzten Plane stattzufinden, oder daß sie sich nach
den Bestimmungen zu richten habe, welche im Wege der Gesetzgebung getroffen werden.
Jedoch ist auch in letzterem Falle der Schlußtermin der Heimzahlung im Voraus festzusetzen ²);
s. auch unten § 64.
V. Abgesehen von diesen weitergehenden Befugnissen (III u. IV) steht den Ständen
das Recht der Kontrolle der gesammten Staatsverwaltung zu. Die Stände sind nämlich
(V. U. § 124) berechtigt und verpflichtet, „in Beziehung auf Mängel oder Mißbräuche,
welche sich bei der Staatsverwaltung ergeben, ihre Wünsche, Vorstellungen und Beschwer-
den dem Könige vorzutragen“. Dieselben können hierbei aus eigener Entschließung in
Folge von Anträgen aus ihrer Mitte oder in Folge von Eingaben oder Beschwerden
Einzelner vorgehen. Eine Verpflichtung der Staatsregierung, auf solche Vorstellungen
Antwort zu ertheilen, besteht jedoch nicht, soweit es sich nicht um Beschwerden Einzelner
über gesetz- oder ordnungswidriges Verfahren einer Staatsbehörde oder Verzögerung der
Entscheidung handelt. (S. hierüber oben S. 38 und 39 .u ³). Das Recht, schriftliche
Bitten (Petitionen) von Einzelnen oder von Korporationen über Gegenstände, welche ihre
Rechte oder Interessen betreffen, anzunehmen, ist zwar in der V. U. nicht ausdrücklich
anerkannt ⁴), aber sowohl für die Ständeversammlung im Ganzen, als für die einzelnen
Kammern nie bezweifelt worden ⁵).
VI. Das Recht der Anklage vor dem Staatsgerichtshofe und das Recht der Wahl
der ständischen Mitglieder des letzteren; s. hierüber unten § 35.
VII. Das Recht der Verwaltung der eigenen inneren Angelegenheiten. Dahin
gehört namentlich:
a) Das Recht der Prüfung der Legitimation der Mitglieder und das Recht
der Entscheidung über die Giltigkeit der Wahlen.
b) Das Recht der Kammer der Abgeordneten, ihre beiden Präsidenten, der
Kammer der Standesherren, ihren Vicepräsidenten zu wählen; s. u.
c) Das Recht jeder Kammer, innerhalb der verfassungsmäßigen Schranken ihre
Geschäftsordnung zu regeln; s. u.
d) Das Recht der Ernennung des ständischen Dienstpersonals
und der Leitung und Aufsicht über dasselbe. Die Beamten der Staatsschulden-
zahlungskasse und der Archivar werden im Zusammentritt beider Kammern mit
relativer Stimmenmehrheit gewählt, wogegen jede einzelne Kammer besonders
und für Umschreibungen eine Gebühr, bei Obligationen von 200 Mk. mit 20 Pf.; bei allen andern
Beträgen von je 40 Pf. erhoben.
1) Vgl. auch Art. 1 des Ges. v. 4. Sept. 1853.
2) Demgemäß wurde für die konvertirte neue Schuld 1881/82 der Schlußtermin auf den
1. Juli 1950 bestimmt. Ebenso wurde dann bezüglich der in der Etatsperiode 1883/85 aufzu-
nehmenden Anlehen in dem Finanzgesetze vom 8. Juni 1883 Art. 10 verfahren.
3) Eine unter Berufung auf das Verfahren des Bundesraths (s. Laband, 1 S. 282 N. 3)
gestellte Bitte der Abgeordneten-Kammer (23. Juni 1876) um Mittheilung periodischer Uebersichten
über die Entschließungen der Regierung hat bis jetzt keinen Erfolg gehabt.
4) S. übrigens arg. § 170 V. U.
5) Ueber das Recht der Stände, die Urkunde des Thronfolgers beim Antritt der Regierung
entgegenzunehmen und bei der Einsetzung einer außerordentlichen Regentschaft mitzuwirken, s. o.
S. 55 u. 57.