§ 24. Die Zusammensetzung der Ständeversammlung. 93
herrlichen Familien gehören nur diejenigen, welche von den im Jahre 1806
mediatisirten vormals reichsständischen Familien im Sinne des Art. 14 der deutschen
Bundesakte abstammen. Ausgeschlossen sind dagegen die sog. Personalisten, d. h. die-
jenigen Familien, deren Häupter im Jahre 1806 zwar Sitz und Stimme auf dem
Reichstage hatten, aber sich damals nicht im Besitze einer Herrschaft befanden, mit
welcher eine Reichs- oder Kreistagsstimme verbunden war. Zu diesem persönlichen
Erforderniß kommt dann noch das sachliche, nämlich der Besitz wenigstens eines
Theiles einer früher reichsunmittelbaren, jetzt im württemberg. Staatsgebiet gelegenen
Besitzung, auf welcher das reichsständische Sitz- uud Stimmrecht haftete. Die Erwer-
bung mehrerer solcher Standesherrschaften begründet übrigens ein mehrfaches Stimm-
recht nicht. Haupt der Familie ist nur derjenige Besitzer einer solchen Standesherr-
schaft, welcher auf Grund der Stammgutserbfolge, eines Familienvertrages oder Familien-
statutes von Todes wegen oder unter Lebenden in den ausschließlichen ¹) Besitz derselben
gelangt ist.
Als weiteres Erforderniß ergibt sich ferner aus § 129 Z. 2 der V. U. und aus
Art. 14 der deutschen Bundesakte die ununterbrochene Fortdauer des Besitzes in der
qualifizirten standesherrlichen Familie seit dem Jahre 1806, so daß jede Veräußerung
des Gutes an einen Dritten oder an eine Familie, welche nicht kraft deutschrechtlichen
Successionsrechts zur Nachfolge in die Herrschaft berufen ist, das Standschaftsrecht für
alle Zeiten aufhebt und letzteres auch nicht wieder auflebt, wenn die Herrschaft später
in den Besitz desjenigen zurückgelangt, welcher früher auf Grund derselben die Stand-
schaftsrechte ausübte. Eine nach dem Jahre 1806 abgeschlossene Erbverbrüderung
könnte hiernach den Uebergang des Standschaftsrechts auf eine andere Familie nicht
begründen ²).
Soweit es dem Haupte einer zur Landstandschaft berufenen Familie zur Zeit der
Einberufung des Landtages persönlich an einer der gesetzlichen Eigenschaften eines Stände-
mitgliedes (s. oben § 23) fehlt, so gilt seine Stimme als ruhend.
Die Zahl der Häupter standesherrlicher Familien mit Standschaftsrecht beträgt zur
Zeit 19 ³).
C. Aus den Vertretern der standesherrlichen Gemeinschaften, auf deren
Besitzungen vormals eine Reichs- oder Kreistagsstimme geruht hat. Vorausgesetzt wird
hierbei, daß mehrere ehemals reichsfürstliche oder reichsgräfliche Familien ein Gut von
der unter B. bezeichneten Beschaffenheit in ungetheilter Gemeinschaft besitzen. Das Stand-
schaftsrecht, welches im Uebrigen an dieselbe Bedingung geknüpft ist wie dasjenige unter
B., wird durch einen Vertreter ausgeübt, dessen Aufstellung nach Maßgabe der Familien-
verträge ꝛc. erfolgt ⁴).
1) Bei gemeinschaftlichem Erwerb durch mehrere qualifizirte Familienglieder würde eine
Gemeinschaft entstehen; s. C.
2) An dieser Auffassung hat die württemberg. Regierung stets festgehalten, so schon
1819 gegenüber den Fürsten von Salm-Reifferscheid-Dyk; dann im Jahre 1858,
als der Graf von Erbach-Wartenberg-Roth die seit 1803 im Besitze der Grafen von
Wartenberg-Roth befindliche, im Jahre 1844 aus der Erbach-Wartenberg'schen Konkursmasse weg-
veräußerte Herrschaft Roth wiederum erworben hatte und das Standschaftsrecht für seine Familie
wieder in Anspruch nehmen wollte; s. hierüber das Nähere bei Geßler im württemberg.
Archiv II S. 479 und bei Golther in der Tübinger Zeitschrift f. Staatsw. Bd. 17 S. 208 ff.,
A. A. Mohl, 1 S. 548 ff. und in zwei dem Grafen von Erbach erstatteten Gutachten; vgl.
Verh. d. K. d. St. H. v. 1862/65, B. B. II. S. 389 ff., Prot. B. S. 276 ff. Diese Auffassung
wird auch nicht widerlegt durch die Ausführungen v. Sicherer, das Haus der Grafen v. Törring,
München 1886.
3) S. das Staatshandbuch von 1892 S. 114.
4) Von früher fünf solcher Gemeinschaften besteht dermalen nur noch eine, die Herr-