§ 26. Die Wahlordnung der Kammer der Abgeordneten. 97
3. Staatsdiener können nicht innerhalb des Bezirks ihrer Amtsverwaltung und
Kirchendiener nicht innerhalb des Oberamtsbezirks, in welchem sie wohnen, gewählt werden
(V. U. § 146). Auf Gemeinde- und Korporationsdiener findet hiernach diese Bestimmung
keine Anwendung; auch erstreckt sie sich auf Staatsdiener nur insoweit, als dieselben ein
Bezirks- oder Lokalamt unmittelbar verwalten, sodaß also nach der feststehenden Auslegung
die Mitglieder einer Central- oder Kreisstelle nicht unter diese Bestimmung fallen;
4. weder die Häupter der standesherrlichen Familien, noch die Ritter-
gutsbesitzer — letztere selbstverständlich nur, soweit es sich um andere als ritterschaft-
liche Wahlen handelt — können in die Abgeordnetenkammer gewählt werden (V. U. § 146
Abs. 2);
5. die Mitglieder der Wahlkommissionen sowie die Urkundspersonen können
nicht durch die Wahlhandlung, bei deren Leitung sie als solche betheiligt sind, zu Abge-
ordneten gewählt werden; ebenso sind bei den Wahlen der Ritterschaft die zur Leitung der
Wahlhandlung zuzuziehenden ritterschaftlichen Mitglieder nicht wählbar (V.U. § 151);
Staatsdiener konnten früher nach § 146 der V. U. eine Wahl nur mit Genehmigung
der ihnen vorgesetzten höchsten Behörde annehmen. Erst durch das Verf.Ges. vom 23. Juni
1874 Art. 1 wurde diese Beschränkung aufgehoben. Beamte bedürfen jetzt zur Annahme
der Wahl keines Urlaubs. Wegen der Stellvertretungskosten s. u. S. 104. Dagegen
verliert ein gewähltes Kammermitglied Sitz und Stimme in der Kammer, wenn dasselbe ein
besoldetes Reichs- oder Staatsamt annimmt, oder in dem Reichs- oder Staatsdienst in ein
Amt eintritt, mit welchem ein höherer Rang oder Gehalt verbunden ist, und kann seinen
Sitz in der Kammer nur durch eine neue Wahl wieder erlangen ¹).
II. Das Wahlrecht. Das Recht, in die zweite Kammer zu wählen, ist
bedingt:
1. durch männliches Geschlecht (s. o. S. 92);
2. durch den Besitz des württemb. Staatsbürgerrechts ²);
3. es darf keiner der in Art. 4 des V.G. vom 26. März 1868 (welcher an die
Stelle des § 142 der V. U. getreten ist) aufgeführten Ausschließungsgründe vorliegen.
Es sind nämlich ausgeschlossen:
a) Personen, welche unter Vormundschaft stehen;
b) Personen, welche am Wahltage das 25. Lebensjahr noch nicht zurückgelegt haben;
c) Personen, gegen welche das Konkursverfahren eröffnet ist, während der Dauer
desselben ³);
d) Personen, welchen durch rechtskräftige Verurtheilung der Vollgenuß der staats-
bürgerlichen Rechte entzogen ist ⁴), sofern sie in diese Rechte nicht wieder eingesetzt
worden sind; sowie Personen, welchen die staats- und gemeindebürgerlichen Wahl-
und Wählbarkeitsrechte von der zuständigen Strafkammer des Landgerichts mit
der Eröffnung des Hauptverfahrens zeitlich entzogen worden sind, weil als wahr-
gefordert, dagegen nicht für die durch das Amt berufenen Mitglieder der Ständeversammlung; vgl.
auch Verh. d. K. d. Abg. 1851 /53. Pr. B. II S. 598.
1) Es gilt in dieser Beziehung jetzt ganz der Art. 21 der R.V., vgl. Laband, R. St. B. I S.
312, 438 ff, Zorn, 1 S. 180, G. Meyer. D. St. R. S. 327, Seydel, Komm. zu Art. 21 I ꝛc. Die
Erörterung der bezüglichen Kontroversen ist daher in das Reichsstaatsrecht zu verweisen, da das
neue V. G. sich in dieser Beziehung an die „allgemeine deutsche Doktrin“ anschließen wollte; Verh.
d. K. d. Abg. 1870/74. Pr. B. 9 S. 4894.
2) Zu N. 1 und 2 vgl. V. U. § 137. Dies gilt auch für landesfremde Deutsche; s. o.
S. 91 N. 1.
3) S. oben S. 91.
4) Seit Einführung des R. St. G. B. auch — so lange die zeitliche Entziehung der Ehren-
rechte dauert.
Handbuch des Oeffentlichen Rechts III. 2. Aufl. Württemberg. 7