§ 34. Der ständische Ausschuß. 113
9. Die Abstimmung. Das Stimmrecht muß in Person ausgeübt werden; eine
Stimmübertragung ist nur den erblichen Mitglieder der Kammer der Standesherren, ein-
schließlich der Vormünder von Standesherren, gestattet (s. o.). Die Abstimmungen er-
folgen nach der durch die Verfassung bestimmten Sitzordnung (s. o. S. 95), jedoch so,
daß in der Zweiten Kammer bei dem Stimmaufruf immer zwischen den vier ersten und
den zwei übrigen Klassen gewechselt wird, bis jene erschöpft sind. (V. U. § 162.) Bei der
Vereinigung beider Kammern wechselt die Abstimmung dergestalt, daß nach dem ersten
Mitgliede der Ersten Kammer das erste Mitglied der Zweiten Kammer zur Abstimmung
gerufen wird u. f. f.
Die Abstimmung — mit Ausnahme der Wahlen — ist öffentlich und erfolgt in
allen wichtigeren Fällen oder auf das von neun Mitgliedern unterstützte Verlangen eines
Mitgliedes durch Namensaufruf, sonst durch Aufstehen und Sitzenbleiben.
Kein Mitglied darf die Abstimmung verweigern, es wäre denn, daß die Abstimmung
seine persönlichen Verhältnisse betreffen sollte; ebensowenig darf der Abstimmung eine Bedingung
oder ein anderer Zusatz beigefügt werden. Motivirung zu Protokoll ist in der Kammer der
Abgeordneten nur zulässig, wenn wenigstens drei Mitglieder sich zu einer gemeinschaftlichen Er-
klärung vereinigen, welche dann nach der Verkündung des Beschlusses vom Präsidenten zu ver-
lesen ist. Der Präsident hat das Recht, die Herbeirufung der in den ständischen Gebäuden
anwesenden und die öffentliche Nennung der diesem Rufe nicht folgenden Mitglieder anzuordnen.
Wer die Abstimmung dennoch verweigert oder nicht unbedingt mit ja oder nein stimmt, wird
als gegen den Antrag stimmend gezählt ¹).
10. Die Minister ²) sind berechtigt, den Verhandlungen der beiden Kammern
anzuwohnen und an den Berathungen derselben Theil zu nehmen. Sie können sich auch
von anderen Staatsbeamten begleiten lassen, welche den Gegenstand bearbeitet haben, oder
sonst vorzügliche Kenntnisse davon besitzen. An den Sitzungen der Kommissionen sind sie
dagegen nur im Falle einer ausdrücklichen Einladung Theil zu nehmen befugt. Eine
Pflicht der Minister, vor der Kammer oder in einer Kommission zu erscheinen, besteht
nicht, abgesehen von der Vorschrift des § 111 der V. U., nach welcher die einzelnen Minister
den Ständen die Ausgaben für ihre Departements zu erläutern haben. Die Minister
können hiernach auch die Beantwortung von Interpellationen verweigern. Ueber die ge-
schäftliche Behandlung solcher Anfragen s. die Gesch. Ordn. der Kammer der Abgeordneten
§§ 46—50 und der Kammer der Standesherren § 58.
11. Deputationen kann die Ständeversammlung weder annehmen, noch ohne
Erlaubniß des Königs abordnen. (V. U. § 170.) Auch Einzelnen ist nicht gestattet, persön-
lich vor den Ständen zu erscheinen. Ueber die Ernennung der ständischen Deputationen
nach erfolgter Zustimmung des Königs s. die Gesch. Ordn. der Kammer der Abgeordneten
§ 94, der Kammer der Standesherren 8 16.
F. Der ständische Ausschuß.
§ 34. In der altwürttemberg. Verfassung ³) war der ständische Ausschuß ein Organ,
welches den größten politischen Einfluß ausübte und allmählig den Landtag ganz aus
1) S. die angef. Gesch. Ordn. Bei den im Zusammentritte beider Kammern vorzunehmenden
Wahlen (s. o.) entscheidet relative Stimmenmehrheit; dieselben sind geheim und erfolgen durch
Stimmzettel; vgl. die äußere Gesch. Ordn. v. 23. Okt. 1841 § 6. Gesch. Ordn. der K. d. St. H.
§ 81, der K. d. A. § 92 u. das Ges. v. 6. Juli 1855.
2) Dasselbe Recht steht auch den in § 168 der V. U. genannten Königl. Kommissarien, d. h.
den vom Könige mit der Vertretung eines bestimmten Gegenstandes in der Kammer speziell beauf-
tragten Beamten zu. Dieses Recht der Minister stieß noch im Jahre 1819 auf den größten Wider-
stand bei den Ständen. Im Jahre 1874 konnte eine Ausdehnung der Befugniß auf die Kommis-
fionsberathungen nicht durchgesetzt werden, da man bei den Ständen nicht ohne Grund den allzu-
großen Einfluß der Minister auf minder willensstarke Kommissionsmitglieder fürchtet; vgl. den
Entwurf des V.G. v. 1874 Art. 5 u. die Prot. der Abg. Kammer v. 1870/74 S. 4909 ff.
3) Zur Geschichte des ständischen Ausschusses vgl. L. T. v. Spittler, Entwurf einer
Handbuch des Oeffentlichen Rechts III. 2. Aufl. Württemberg. 8