§ 35. Der Staatsgerichtshof. 123
Präsidenten und muß sogleich geschehen, sobald derselbe einen von dem Justizminister
kontrasignirten Befehl des Königs oder von dem Präsidenten einer der beiden Kammern
eine Aufforderung mit Angabe des Gegenstandes erhält ¹). Der König ist nicht berechtigt,
eine vor den Staatsgerichtshof gehörige Untersuchung zu hemmen oder niederzuschlagen.
Sofort nachdem der Prozeß beendet ist, löst sich der Gerichtshof auf. (V.U. §§ 198— 205.)
Ueber das Verfahren i. e. S. enthält die V. U. nur ganz wenige und unge-
nügende Bestimmungen, deren Lücken nach der richtigen Ansicht durch die Autonomie des
Gerichts aus der Natur dieses wesentlich politischen Gerichtshofes im Sinne des reinen
Parteiprozesses, also ohne subsidiäre Anwendung der z. Z. giltigen St. Pr. O. zu er-
gänzen sind ²).
Deas Verfahren findet nämlich nach der V. U. nur auf Klage statt. Das Recht
der Anklage steht jedoch ausschließlich zu a) der Regierung (s. o. I 2 a) gegen einzelne
Mitglieder der Stände oder des Ausschusses. Vorausgesetzt ist ein Befehl des Königs
unter Kontrasignatur des Justizministers nach vorgängiger Anhörung des Staatsmini-
steriums ³). Ueber die Vertretung der Staatsregierung bezw. des Justizministers bei der
Verhandlung ist nichts bestimmt, also auch keine Schranke gezogen; b) den Ständen
(s. o. I 2 b) und zwar jeder der beiden Kammern für sich; selbst im Widerspruch gegen
die andere, welcher nicht einmal Mittheilung von dem Beschlusse zu machen ist. Auch
hier ist über die Vertretung der Anklage nichts bestimmt ⁴).
„Anklage und Vertheidigung geschieht öffentlich“, also jedenfalls auch
mündlich. Die Einreichung einer Anklageschrift vor der Verhandlung und deren Mit-
theilung an den Beklagten zur Vorbereitung der Vertheidigung ist nicht vorgeschrieben,
aber wohl selbstverständlich ⁵). Ein Vorverfahren über die Zulassung der Anklage findet
nicht statt; vielmehr genügt die Anklage der Regierung oder der Ständekammer, um auf
Grund derselben das öffentliche Verfahren zu eröffnen. (V. U. § 199 Abs. 2.) Der Be-
klagte tritt daher nur als solcher, nicht aber als ein auf Grund vorliegender Verdachts-
gründe in den Stand der Anklage Versetzter, in die Verhandlung ein ⁶). Er hat, sofern
es das Gericht verlangt, persönlich zu erscheinen; in der Beiziehung von Vertheidigern
ist er nicht beschränkt.
Wenn es erforderlich ist, Untersuchungsrichter („Inquirenten") aufzustellen, so
wählt der Gerichtshof dieselben aus den Räthen der Kriminalgerichte. Der Untersuchung
hat jedes Mal ein königliches und ein ständisches Mitglied des Gerichtshofes anzuwohnen.
Es werden jedes Mal zwei Referenten bestellt. Ist der erste Referent ein königlicher
Richter, so muß der Korreferent ein ständischer sein und umgekehrt. Die Protokolle werden
mit den Abstimmungen und Beschlüssen durch den Druck bekannt gemacht ⁷).
1) Im Zusammenhang hiermit steht die oben S. 116 f. erörterte Bestimmung in § 188
der V. U., nach welcher, wenn es sich um die Anklage eines Ministers handelt, auf Verlangen
des Ausschusses ein außerordentlicher Landtag von der Regierung einberufen werden muß, „wenn
der Grund der Anklage und die Dringlichkeit derselben gehörig nachgewiesen ist“.
2) Auf diesen Standpunkt hat sich auch die Mehrheit des Staatsgerichtshofes im Jahre 1850
gestellt unter Zurückweisung der die Natur des Instituts verkennenden Auffassung von Scheurlen
a. a. O. S. 82 ff.; s. Verh. v. 1850 S. 19 ff., 237 ff.
3) Verf.Ges. v. 1. Juli 1876 Art. 6 Abs. 2, Art. 7 vgl. mit § 199 der V. U.
4) In dem mehrerwähnten Staatsprozeß wurden zwei rechtskundige Mitglieder der klagenden
Landesversammlung von dieser mit der Vertretung der Anklage beauftragt. Der Staatsgerichtshof
erklärte den ständischen Beschluß für genügend, die Ausstellung einer Vollmacht für nicht erforderlich;
a. a. O. S. 32 ff., 225.
5) In dem angeführten Falle wurde die von der Ständeversammlung selbst genehmigte
Anklageschrift mit ausführlicher Begründung dem beklagten Minister zur Einreichung einer etwaigen
Erklärung unter Ertheilung einer Frist vor der Terminsbestimmung mitgetheilt, a. a. O. S. 37 ff.
6) A. a. O. S. 25 ff., 35, 36, 64, 224 ff., 337 ff. Mohl a. a. O., B. I S. 804 ff.
7) V. U. §§ 199—201.