Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.2. Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg. (2)

2 Erster Abschnitt: Geschichtliche Einleitung. I. § 1. 
I. Der schon im 14. Jahrhundert beträchtliche Territorialbestand der Grafschaft Württemberg ¹) 
war nicht durch Eroberungen, Erbschaften oder Heirathen ²), sondern in der Hauptsache durch 
Kauf, Pfandschaft und ähnliche Erwerbsgründe allmählig in den Händen der Grafen vereinigt 
worden. Im 13. und 14. Jahrhundert, zu einer Zeit, wo in Süddeutschland eine große Anzahl 
herzoglicher und gräflicher Geschlechter durch Theilungen, Kirchen- und Klosterstiftungen, Schul- 
den ꝛc. in Vermögensverfall gerieth, und es an günstigen Gelegenheiten zu Käufen, Pfand- 
auslösungen ꝛc. nicht fehlte, wußten die Grafen von Württemberg durch sparsamen Haushalt, früh- 
zeitigen Ausschluß der realen Theilung des Stammguts, Vermeidung von Kirchen- und Kloster- 
stiftungen und durch kluge Benützung der Zeitverhältnisse sich allmählig im Mittelpunkte des ehe- 
maligen staufischen Herzogthums umfangreiche und verhältnißmäßig zusammenhängende Besitzungen 
zu erwerben, über welche sie die vogteilichen und grundherrlichen Rechte ausübten ³). Wie sich 
aus diesen Rechten die Landeshoheit über die Grafschaft entwickelte, läßt sich historisch nicht näher 
nachweisen, namentlich fehlt es an jedem Anhalte dafür, daß der Grafentitel selbst in Württemberg 
auf einem ursprünglichen Gaugrafenamte beruhte ⁴). 
Die Quellen des öffentlichen Rechts aus dieser Periode bestehen sämmtlich in Familien- 
verträgen ⁵), welche die Untheilbarkeit des Landes festsetzten oder bestätigten und daneben die Suc- 
cessionsordnung regelten. Unter denselben ragt der Münsinger Vertrag vom 14. Dezember 1482 
schon deßhalb hervor, weil er die Natur eines bloßen Familienvertrags zur Regelung subjektiver 
Berechtigungen abstreifend bereits den Charakter eines Staatsgrundgesetzes hat, und „mit Rath der 
Prälaten, Ritterschaft und Landschaft" unter Mitwirkung von 56 Vertretern von Städten und 
Aemtern vereinbart wurde ⁶). Ihren Abschluß erhielt die in diesen Verträgen enthaltene Entwickelung 
im Sinne der Einheit und Untheilbarkeit des Staatsgebiets erst durch den Herzogsbrief von 1495, 
welcher — nach dem Vorgang der in der Goldenen Bulle Kaiser Karl's IV. für die weltlichen 
Kurfürstenthümer getroffenen Bestimmung — die Primogeniturordnung für das Stammland Würt- 
temberg einführte ⁷). 
1) Den ältesten Grundstock des Landes bildeten wohl die Städte Stuttgart, Canstatt, Leon- 
berg, Waiblingen und Schorndorf sammt Zugehörungen, später kamen u. A. nach und nach die 
Grafschaften Urach, Asperg, Calw, Aichelberg, Vaihingen meist durch stückweise Erwerbungen hinzu. 
Das sog. Herzogthum Teck war schon 1299—1381 allmählig von den Grafen von Württemberg 
erworben worden, ohne daß sich diese deßhalb Herzöge nannten; s. hierüber Fricker u. Geßler 
a. a. O. S. 16 ff. u. P. Stälin in der Beschr. des Königr. W. (1883) Bo. I S. 22ff. und in 
der besonderen Beil. des w. St. Anz. v. 1894 Nr. 1 ff., auch Riecke, Beiträge z. Staats- u. Verf.- 
Gesch. S. 1ff, Wächter, W. P.R. 1 S. 25 ff. 
2) Durch Heirath wurde nur Mömpelgard (s. u.) erworben (1392/1419). 
3) Vgl. auch B. Kugler, Herzog Christof I S. 80 ff. 
4) Der Grafentitel war zu der Zeit, wo erstmals Grafen von Württemberg in der Geschichte 
aufgetreten (bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts zeichnen sie in den Urkunden als Herren von 
Württemberg), ein Amtstitel nicht mehr, auch führten die Grafen eine Stimme auf den Reichstagen 
nicht. Die den Grafen wiederholt übertragene Landvogtei in Niederschwaben war mehr wegen der 
pekuniären Nutzungen als wegen der damit verbundenen obrigkeitlichen Macht von Bedeutung. Auch 
für die Annahme, daß die Grafschaft früher ein Reichslehen gewesen, fehlt es an genügenden Gründen; 
s. Fricker und Geßler a. a. O. S. 16, 33. Das Münzregal erlangten die Grafen erst 1374 
durch Kaiser Karl IV. Das erste privilegium de non evocando datirt vom Jahre 1361, vielleicht 
schon von 1316; s. Wächter, I S.55, 284, 666. 
5) Es sind folgende: 1. der Nürnberger Vertrag vom 3. Dezember 1361; 2. der Uracher 
Vertrag vom 12. Juli 1473; 3. der Münsinger Vertrag vom 14. Dezember 1482; 4. der Stutt- 
garter Vertrag vom 22. April 1485; 5. der Frankfurter Entscheid vom 30. Juli 1489; 
6. der Eßlinger Vertrag vom 2. September 1492. Vgll. Reyscher, Grundges. Bd. I S. 467 ff., 
Fricker und Geßler a. a. O. S. 20—31. 
6) Die ersten Spuren ständischer Mitwirkung zeigen sich schon bei dem Friedensvertrage Graf 
Eberhards des Erlauchten mit Eßlingen vom 20. Dezember 1316, insofern diesen je 10 Bürger 
von 8 württembergischen Städten mitbeschworen. Die Zusammenfassung von „Stadt und Amt“ als 
politische Form der Organisation des ganzen Landes findet sich erstmals in der Landestheilung von 
1442. Bei dem sog, Leonberger Landtage (1. Dez. 1457) waren Abgeordnete der Landschaft betheiligt 
und wurde bestimmt, daß in wichtigen Fällen von der — aus gräflichen Räthen zusammengesetzten 
— vormundschaftlichen Regierung Sieben aus den Städten zu Rathe gezogen werden sollten. Beim 
Uracher Vertrag von 1473 wirkten neben den gräflichen Räthen die Abgeordneten von 48 Städten 
und Aemtern mit. Die dem Münsinger Vertrag nachfolgenden Hausverträge (s. o. Note 5) brachten 
einen Ständeausschuß von 12 Mitgliedern und Mitwirkung der Stände bei Landesveräußerungen; 
s. auch Fricker und Geßler S. 41 ff. 
7) Im Münsinger Vertrag war Seniorat festgesetzt gewesen; erst im Herzogsbrief von 1495 
wurde die Primogeniturordnung eingeführt; A. M. neuerdings Adam, Das Untheilbarkeitsges. im 

	        
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