Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.2. Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg. (2)

§ 53. Das Gesetz. 171 
kann, womit allerdings zunächst nur ausgesprochen ist, daß der höchste Ausdruck des 
Staatswillens, nur mit Zustimmung der Volksvertretung zu Stande kommen und daß, 
wenn eine solche in Gesetzesform ausgesprochene Willenserklärung einmal vorliegt, dieselbe 
nur in derselben Weise wieder beseitigt werden kann. Ebenso ist daraus zu entnehmen, 
daß jeder Befehl der Staatsgewalt, wenn Regierung und Stände übereinstimmen, ohne 
Rücksicht auf den Inhalt in die Form des Gesetzes gekleidet werden kann ¹). Dagegen 
ist mit jener Bestimmung keine direkte Entscheidung darüber gegeben, in welchen Fällen, 
soweit es sich nicht um die Abänderung eines bereits in Gesetzesform erlassenen Befehls 
der Staatsgewalt handelt, der Weg der Gesetzgebung nothwendig ist, um einem 
Befehl der Staatsgewalt verbindliche Kraft zu verleihen. Aus der Entstehungsgeschichte 
des § 88 und aus dem Gegensatze, in welchem derselbe zu dem, das Verordnungsrecht 
des Königs regelnden § 89 der V. U. steht, ergibt sich jedoch, daß die V. U. unter Gesetz 
a. a. O. das geltende Privat- und öffentliche Recht überhaupt begreifen wollte und es 
ist deshalb in Württemberg anerkannten Rechtens, daß ein Befehl der Staatsgewalt, 
welcher eine Abänderung des bestehenden Rechtszustandes bewirken soll, welcher also einen 
Rechtssatz aufstellt und damit die Handlungsfreiheit beschränkt, nur im Wege der Ge- 
setggebung erlassen werden kann ²). Abgesehen von solchen Gesetzen im materiellen 
Sinn ist der Weg der Gesetzgebung nur insoweit obligatorisch, als besondere Bestim- 
mungen der Verfassung oder einzelner Gesetze denselben für die Giltigkeit eines Willens- 
aktes der Staatsgewalt besonders vorschreiben, wie dieses z. B. in Beziehung auf die 
Verabschiedung des Etats, die Festsetzung des Betrags der Civilliste, die Einsetzung einer 
außerordentlichen Reichsverwesung der Fall ist ³). Hieraus ergibt sich: 
1. Daß alle Anordnungen, welche in den Gesetzen enthalten sind, auch wenn 
etwa einzelne derselben keine materiellen Rechtsbestimmungen, sondern bloße Verwaltungs- 
akte darstellen, dennoch die Natur von formellen Gesetzen haben, und daher nur im Wege 
der Gesetzgebung abgeändert werden können ⁴). 
2. Bezüglich der vor der Verfassung von 1819 erlassenen Normen kann, 
da hier das äußere Kriterium des Gesetzes im formellen Sinne nicht anwendbar ist, nur 
der Inhalt derselben für die Beurtheilung ihrer rechtlichen Natur maßgebend sein, 
m. a. W. soweit diese Normen die Anordnung eines Rechtssatzes enthalten, kann ihre 
Aenderung, als Abänderung der bestehenden Rechtsordnung, nur im Wege der Gesetz- 
gebung erfolgen ⁵). 
 
1) Soweit nicht durch die Reichsgesetzgebung Schranken gezogen sind; vgl. Laband in 
diesem Hdb. II  I  S. 94, 96 f. Hat nämlich das Reich innerhalb seiner Zuständigkeit den Einzel- 
staaten die Erlassung von Ausf. Verordn. übertragen, so sind dieselben in der vom Reiche vor- 
geschriebenen Form zu erlassen, also nicht im Wege der Gesetzgebung, soweit das Reich die Befugniß 
ausdrücklich der Verwaltungsbehörde des Staates delegirt hat. Eine in einem solchen Falle dennoch 
in die Form des Landesgesetzes gekleidete Ausführungsbestimmung ist daher nach Art. 2 der 
R.V. als Gesetz ungiltig und hat — was die Abänderlichkeit betrifft — nur die Wirkung einer 
Verwaltungsverfügung. So wurden z. B. in Württemberg gegen die Vorschrift in § 155 des 
R.G.V.G. die Rechtsverhältnisse der Gerichtsvollzieher nicht durch die Landesjustizverwaltung, sondern 
durch Landesgesetz geregelt. Letzteres kann daher jederzeit durch einfache Verfügung der Landes- 
justizverwaltung abgeändert werden; s. auch Gaupp, Die neueste Bearb. des w. St. R. S. 48 f. 
 2) S. Fricker, V. U. S. 9, 57, 111, 154 u. Wächter, II S. 18. Mohl, 1 S. 67f. Bitzer 
S. 274. 
3) V. U. §§ 13, 104, 111f. 
4) S. auch Bitzer S. 283; früher war dies in Beziehung auf instruktorische Bestimmungen 
der Prozeßgesetze ꝛc. bestritten. 
5) S. auch Wächter, II S. 30f. Mohl, I S. 70. Bitzer, S. 283 und die ebendas. 
S. 280 angef. ständ. Verh. und bezüglich der sog. salvatorischen Klausel in § 91 der V. U.: Fricker 
in der Z. f. St. W. XXV 4ff. Dieser Grundsatz wurde auch bei dem Ges. v. 27. Dez. 1871 
Art. 54 zur Anwendung gebracht, indem hiernach polizeiliche Vorschriften, welche in älteren, vor
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.