§ 1. Geschichtliche Einleitung. II. 5
Vermittelung einer reichshofräthlichen Kommission ihre Erledigung fanden, hatte nicht sowohl die
Bedeutung einer Revision des Verfassungszustandes selbst, als einer Beseitigung von Beschwerden und
einer Sicherung des bestehenden Rechts, welche noch dadurch erhöht wurde, daß Friedrich der Große
in Verbindung mit den Kronen von Großbrittanien und Dänemark auf Anrufen der württem-
bergischen Stände im Jahre 1771 (10. und 31. Mai und. 7. Juni) für sich und ihre Nachfolger
die Garantie für die Aufrechterhaltung dieses letzten altwürttembergischen Verfassungsvertrags über-
nahmen ¹).
Der Charakter dieser Verfassung war ein vorwiegend privatrechtlicher ²). Die Stände als die
Gesammtheit der Korporationen des Landes und der Herzog als der Besitzer des mit dem Aufwand
für die Landesregierung belasteten Familienfideikommisses (Kammerguts) standen einander in dem
Verhältniß von Parteien gegenüber, deren gegenseitige Beziehungen durch Vertrag geregelt waren.
Die Regierung war Sache des Regenten, dem auch das Recht der Gesetzgebung zustand. Wie er
die Kosten der Regierung aus dem Kammergute deckte, war seine Sache, ein direktes Besteuerungs-
recht stand ihm nicht zu. Die Stände übten, als Ausfluß der korporativen Selbstverwaltung, ein
Selbstbesteuerungsrecht aus zum Zwecke der sogen. Ablösungshilfe d. h. der Uebernahme und Tilgung
der herzoglichen Schulden. Ob die Stände dem Herzog eine solche Hilfe gewähren wollten, hing
von ihrem freien Willen ab, wie ihnen andererseits auch kein Recht der Finanzkontrole gegenüber
der herzoglichen Verwaltung zustand. Die Landschaftskasse war die Staatsschuldenkasse, in welche
die von den Amtskoporationen aufgebrachten Steuern flossen, und welche von der Landschaft bezw.
dem Ausschuß verwaltet wurde. Die ständische Hilfe bestand hiernach in der Uebernahme von
Kammerschulden auf die Landeskasse oder in der Verwilligung von Beiträgen aus dieser Kasse.
Ueber die Theilnahme der Stände an der Gesetzgebung f. u. (§§ 20 u. 53).
Die Ausschließlichkeit der evangelischen Konfession und die damit zusammenhängende Iden-
tität der kirchlichen und staatlichen Verfassung hatte die Folge, daß die Stände in ihrer Eigenschaft
als Wächter der staatlichen zugleich die Garanten der kirchlichen Verfassung waren, wie der Herzog
mit den Rechten der Landeshoheit die Rechte des Landesbischofs verband (s. auch § 107).
Gemäß dem Vertragsverhältniß, welches seit dem Tübinger Vertrag zwischen Fürst und
Land bestand, sollte die Erbhuldigung seitens der Unterthanen erst geleistet werden, nachdem
der Fürst zuvor des Landes Grundgesetze und Rechte beschworen hatte. Als verfassungsmäßiges
Grundrecht galt, daß jeder Württemberger, selbst der Leibeigene ohne Abzug oder Nachsteuer und
ohne einer Erlaubniß zu bedürfen, auswandern konnte ³), daß jeder Württemberger nur durch den
ordentlichen Richter verurtheilt und nur in den gesetzlich bestimmten Fällen in Haft genommen
werden durfte, nur die verfassungsmäßig mit den Ständen verabschiedeten Steuern zu bezahlen hatte
und nur in Kriegs- und anderen Nothfällen militärpflichtig war und auch dann nur mit Bewilligung
der Stände und blos auf die Dauer des Kriegs. Das stehende Heer konnte daher im Frieden nur
durch freiwillige Werbung ergänzt werden. Dagegen hatte jeder Württemberger das Recht, Wehr
und Waffen zu besitzen.
Zwischen den beiden Parteien, dem Herzog und der Landschaft stand als vermittelndes
Zwischenglied die Bureaukratie, welche in ihrer Unterordnung unter den Geheimenrath eine ver-
fassungsmäßig geschützte Selbständigkeit besaß. Der Geheimerath insbesondere war zwischen beide
Parteien eingeschoben, als ein beiden Theilen gleichverpflichtetes, zur Wahrung der Verfassung be-
stimmtes Organ. Thatsächlich nahm er die Stellung eines modernen Ministeriums ein. Er war
das nicht zu umgehende Organ der Regierung und gehörte zu den Garantien der Verfassung; seine
Stellung wurde noch erhöht, als mit der Succession katholischer Herzöge auf Grund der sog. Reli-
1) Kurbrandenburg, Kurbraunschweig und Holstein hatten schon früher als Mitglieder des
corpus Evangelicorum sich bei der Gewährleistung der evangelischen Landesreligion während der
Regierung der katholischen Herzoge (1733—1797) betheiligt; vgl. auch R. v. Mohl, Theilnahme
Friedrichs des Großen an den Streitigkeiten zwischen Herzog Carl von Württemberg und den
Ständen des Landes. Tübingen 1831.
2) Dies erklärt sich aus dem Umstand, daß im Anfang des 16. Jahrhunderts die Landes-
hoheit sich noch nicht aus der Landesherrlichkeit zum Staatsbegriffe herausgearbeitet hatte. Staat
war von Rechtwegen nur das deutsche Reich. Das Verhältniß der Korporationen zum Herzog wurde
daher, der Entwicklung des deutschen Rechts entsprechend, als ein wesentlich privatrechtliches auf-
gefaßt, wie ja auch in ähnlicher Weise die Subjection der späteren Reichsritterschaft vor ihrer Los-
reißung, eine rein lehenrechtliche, also im Wesentlichen privatrechtliche war. Eine Vergleichung mit
den Ständen der modernen konstitutionellen Monarchie ist ganz unzulässig. Dies gegen Sarwey,
W. Arch. XXIII, S. 442.
3) Vgl. auch die österr. Declar. v. 11. März 1520 u. 15. Oktober 1520 bei Reyscher's
St.Gr. G. S. 57 u. 69 und die Landtagsabsch. v. 1551 u. 1608, ebenda S. 85 u. 291.