§ 56. Die Verwaltung. 177
durch eine neue Nothverordnung aufgehoben oder abgeändert wird ¹). Dieselbe tritt also
nicht außer Kraft, wenn die Stände zusammentreten, oder ihre Einwilligung versagen²). Den
Ständen steht nur, wenn sie glauben, daß die Voraussetzungen des § 89 nicht vorlagen, das
Recht der Ministeranklage zu. Die Nothverordnung würde aber dadurch, selbst wenn die
Anklage Erfolg hätte, nicht beseitigt.
Ueber die Erklärung des Belagerungszustandes s. o. S. 29.
II. Kapitel.
Die Verwaltung.
§ 56. Die Staatsverwaltung ist die freie Thätigkeit der Staatsregierung
zur Erfüllung der staatlichen Aufgaben innerhalb der durch die Rechtsordnung gezogenen
Grenzen. So verschieden die Aufgaben und die Bedürfnisse des Staates sind, so ver-
schieden sind auch die Funktionen und die diesen entsprechenden Organe der Verwaltung.
Die Verwaltung ist hiernach nicht blos Vollziehung der Gesetze; ihre Aufgaben sind viel-
mehr durch die thatsächlich bestehenden Interessen des Staates wie jedes anderen handlungs-
fähigen Organismus bestimmt und das Gesetz ist, wie gegenüber der Thätigkeit des Ein-
zelnen, nur Schranke nicht Inhalt der Willensthätigkeit. Die verschiedenen Gebiete,
auf welche sich nach der gegenwärtigen Auffassung über die Aufgaben des Staates die
Thätigkeit der Verwaltung erstreckt, sind unter Festhaltung an der durch die württemberg.
V. U. bestimmten Eintheilung der Verwaltungsdepartements im achten Abschnitte in Verbin-
dung mit den Organen, welche für jede einzelne Funktion bestehen, übersichtlich dargestellt ³).
Der gesammten Verwaltungsthätigkeit gemeinsam sind dagegen folgende Grundsätze:
I. Die Rechtsformen, in welchen sich die Thätigkeit der Verwaltung vollzieht, sind theils:
A. Verträge und zwar sowohl internationale (Staatsverträge i. e. S.) und
solche, welche dem Gebiete des innern Staatsrechts angehören, als rein privat-
rechtliche Verträge, theils
B. Befehle. Letztere sind entweder
1. Berwaltungsverfügungen d. h. Befehle der Verwaltung, durch welche
nicht sowohl Rechtsnormen aufgestellt (s. § 55) als Rechtsverhältnisse geschaffen
werden. Diese Befehle sind die Form, in welcher der Staat seine Herrschaftsrechte über die
Einzelnen ausübt. Ihr Inhalt ist das Gebot an die der Staatsgewalt Unterworfenen,
etwas zu thun, zu leisten oder zu unterlassen. Da die Staatsgewalt hierbei an die
Schranken des Gesetzes gebunden ist, so kommen bei jeder Verwaltungsverfügung zwei
Gesichtspunkte in Betracht, nämlich der thatsächliche, auf die Erfüllung der Staatsaufgabe
gerichtete Inhalt des Befehls, welcher von dem freien, durch Rücksichten der Zweckmäßigkeit
bestimmtem Ermessen der Verwaltung abhängt, und die rechtliche Begründung desselben
d. h. die Frage, ob die Verfügung sich innerhalb der Grenzen des objektiven Rechts bewegt.
Durch diese Verbindung beider Elemente unterscheidet sich der Verwaltungsbefehl von dem
Akte der Rechtssprechung, dem Urtheilsbefehle, bei welchem die Staatsgewalt sich nur die
Aufgabe setzt, das objektive Recht in der Anwendung auf das einzelne Rechtsverhältniß,
unbeeinflußt durch andere Interessen, zu verwirklichen ⁴).
1) Vgl. auch die Königl. V.O. v. 25. Nov. 1850.
2) Die abweichende Darstellung bei Sarwey, II S. 20 zu N. 3 ist in Beziehung auf das
württ. Recht bereits in der I. Aufl. S. 164 N. 5 widerlegt; s. auch Gaupp, die neuesten Bearbei-
tungen S. 26 ff.
3) Nur das Finanzwesen ist jetzt wegen seiner allgemeinen Bedeutung (auch für die Selbst-
verwaltung) im VI. Abschn. vorangestellt.
4) S. Laband in diesem Hdb. II 1 S. 106, 215, St R. I S. 690.
Handbuch des Oeffentlichen Rechts III. 2. Aufl. Württemberg. 12