Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.2. Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg. (2)

180 Fünfter Abschnitt: Die Funktionen des Staates. II. Die Verwaltung. § 56. 
von dem auf § 97 der V. U. beruhenden Begnadigungsrecht in Strafsachen jeder Art 
(s. o. S. 74), ein Recht, Privilegien und Dispensationen zu ertheilen, nur zu α) in 
denjenigen Fällen, in welchen das Gesetz selbst Abweichungen von seinen Vorschriften 
zuläßt und das Staatsoberhaupt oder die Organe der Verwaltung zur Ertheilung von 
Dispensationen ermächtigt ¹); β) wenn das Gesetz die nähere Ausführung seiner Bestim- 
mungen der Staatsregierung überlassen hat; denn soweit die Staatsregierung berechtigt 
ist, Verwaltungsvorschriften zu erlassen, muß ihr auch das Recht zustehen, von diesen 
Vorschriften zu dispensiren, m. a. W. für den gegebenen Fall eine neue besondere Norm 
zu geben. Jedoch kann selbstverständlich nur diejenige Staatsbehörde von einer solchen 
Vorschrift dispensiren, welche dieselbe auch zu erlassen berechtigt ist. Diese Regel wie 
die beiden Ausnahmen finden auch Anwendung auf die Dispensation von Steuern, Ab- 
gaben und Gebühren ²). Nur ist zu beachten, daß die Durchsetzung eines bestehenden 
fiskalischen Anspruchs z. B. im Wege der Zwangsvollstreckung von dem pflichtmäßigen 
Ermessen der Verwaltung abhängt, indem die Nichtverfolgung eines bestehenden Anspruchs 
etwas wesentlich anderes ist, als die Dispensation von der öffentlichrechtlichen Verpflichtung, 
aus welcher der Anspruch entspringt ³). 
2. Das Recht der obersten Aufsicht findet in Folge der durch die Reichs- und 
Landesgesetzgebung garantirten Unabhängigkeit der Gerichte ⁴) nur in be- 
schränkter Weise auf die Thätigkeit der letzteren Anwendung. Zu den Gerichten gehören 
jetzt auch der Verwaltungsgerichtshof und der Disziplinarhof ⁵); außerdem erstrecken sich 
die Garantien der Unabhängigkeit auch auf die den ordentlichen bürgerlichen Gerichten 
übertragenen Funktionen der freiwilligen Gerichtsbarkeit. In Folge dieser Unabhängigkeit 
der Gerichte kann auch das dem Könige bezw. dem Justizministerium nach § 92 der V. U. 
zustehende Oberaufsichtsrecht über die Gerichte nur in den durch das R.G.V.G. 
gezogenen Schranken ausgeübt werden ⁶). Das Recht der Erkennung von Ordnungsstrafen 
steht dem Vorstande des Justizministeriums gegen Richter nur wegen einer in unmittelbarer 
amtlicher Berührung mit dem Justizministerium begangenen Verletzung der Dienstpflicht 
zu, wogegen der Justizminister in allen andern Fällen nur das Einschreiten der zuständigen 
richterlichen Disziplinarbehörde veranlassen kann ⁷). 
  
in Beziehung auf die Normen des Gemeindeverwaltungsrechts — anerkannt, so durch Art. 8 des 
Ges. v. 6. Juli 1849 durch Art. 2, 7, 19², der Verw.Nov. v. 21. Mai 1891; vgl. auch Art. 76 der 
BauO. v. 1872. 
1) Hierher gehören namentlich die sog. Jahrgebung (jedoch ohne Ausdehnung auf politische 
Wahlrechte), die Dispensationen in Ehesachen (R.G. v. 6. Febr. 1875 §§ 28, 33, 35, 50 
u. § 6 des R.G. v. 4. Mai 1870, Art. 2 des württemberg. Ausf.G. v. 8. Aug. 1875), die 
Befugniß der Staatsgewalt, im Wege der Verordnung den Mitgliedern einzelner Religionsgenossen- 
schaften an der Stelle des Eides den Gebrauch einer anderen Eidesformel zu gestatten; vgl. 
auch Gaupp, Komm. z. C.Pr. O. Anh. S. 31; die Befugniß, von Vorschriften der Bauordnung 
zu dispenfiren, „sofern dadurch dem Rechte oder erheblichen Interessen eines Dritten kein Eintrag 
geschieht“; Art. 76 der Bauordnung v. 6. Oct. 1872 u. Verh. der K. d. A. 1870/74, Prot.B. I 
S. 979—995. Nachdem durch die neueren Gemeindeverwaltungsgesetze (s. S. 179, N. 5) die Fälle der 
Dispensation von den Normen derselben gesetzlich geregelt sind, könnte eine Dispensation auf Grund 
des § 10 der Königl. V.O. v. 11. März 1822 (Fleischhauer, S. 251) in Gemeindeverwaltungs- 
sachen nur noch insoweit in Frage kommen, als schon vor Erlassung des Verwaltungsedikts von 
1822 eine solche Dispensationsbefugniß gewohnheitsrechtlich außer den jetzt gesetzlich anerkannten 
Fällen bestand; vgl. auch die Ausf. in Boscher's Z. B. 29 S. 90 ff. 
2) S. Laband II S. 1032 N. 1 u. arg. württ. Sport. G. v. 1881/87 Art. 6 Abs. 1; nicht 
richtig in dieser Beziehung Sarwey a. a. O. S. 70. 
3) S. auch Laband a. a. O. 4) G. V. G. § 1. Württemberg. V. U. § 93. 
5) Auch der Disziplinarhof für Körperschaftsbeamte s. o. 
6) Das Nähere über diese Dienstaufsicht, auf welcher auch das Recht zur Verfügung auf 
Beschwerden über verweigerte oder verzögerte Rechtspflege beruht, s. bei Gaupp, Komm. z. C. Pr.O. 
Anh. S. 33 f.; bezüglich der formellen Oberaufsicht gilt das oben S. 74 unter c. Bemerkte auch für 
die Gerichte. 7) Königl. V.O. v. 13. Febr. 1877 § 1.
	        
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