Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.2. Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg. (2)

§ 66. Die Wirkungen des Etatsgesetzes. 207 
seiner Wirksamkeit auf eine bestimmte Zeit ¹). Diese Beschränkung schließt aber 
die Verpflichtung der Staatsgewalt zur Erfüllung solcher Verbindlichkeiten, welche unab- 
hängig vom Etatsgesetze auf rechtsgiltige Weise entstanden sind, nicht aus. Nur darf 
hieraus nicht gefolgert werden, daß die Regierung berechtigt sei, zu diesem Zwecke auch 
nicht verwilligte Steuern zu erheben, sei es nun, daß über die Modalitäten der Erhebung 
einer Steuer besondere Gesetze verabschiedet sind oder daß die Steuer bisher nur auf 
dem Finanzgesetze beruhte ²). 
Die besondere Natur des Finanzgesetzes, nach welcher die Mitwirkung der Kammer 
der Standesherren nur eine sehr beschränkte ist, bringt es dagegen von selbst mit sich, 
daß diesem Gesetze eine derogatorische Kraft gegenüber anderen Gesetzen nicht zukommt; (s. 
übrigens oben S. 196).  
§ 66. II. Die Wirkungen des Etatsgesetzes. Die württembergische Verfassung 
enthält keine ausdrückliche Bestimmung darüber, welche Wirkungen dem mit den Ständen 
verabschiedeten Finanzgesetze beizulegen seien. Es ist daher in dieser Frage wie auf dem 
Gebiete des Reichsrechts ganz auf die allgemeinen Grundsätze zu rekurriren ³). Hiernach 
ist das Etatsgesetz zwar formell Gesetz, aber materiell ein von der Staatsgewalt fest- 
gesetztes Programm ihrer künftigen Verwaltung, eine Richtschnur, welche sie befolgen muß, 
soweit es von ihrem Willen abhängt. 
1. Blos guantitative Abweichungen, d. h. daß eine Einnahme- 
position in Wirklichkeit ein größeres oder geringeres Ergebniß geliefert, die Ausgaben sich 
thatsächlich höher oder niedriger belaufen, als in Rechnung genommen worden, sind zwar 
als Thatsachen den Ständen nachzuweisen, sie unterliegen aber keiner Genehmigung durch 
die Stände außer etwa zu dem Zwecke, um festzustellen, daß die Differenz nicht auf dem 
Willen der Regierung beruht. 
II. Soweit dagegen die Abweichungen auf Willensakten  der Regierung be- 
ruhen, ist zu unterscheiden: 
a) Was die Einnahmen betriftt, so kann die Regierung keine Abgaben erheben, 
zu welchen sie nicht durch das Finanzgesetz ermächtigt ist ⁴). Andererseits ist sie auch nicht 
berechtigt, den Einzug von Einnahmen zu unterlassen, welche in dem Gesetze begründet 
sind, sofern nicht das Finanzgesetz selbst blos eine Ermächtigung der Regierung zur Reali- 
sirung gewisser Einnahmen ausspricht ⁵); namentlich gilt dies von den Steuern, da die 
Regierung nicht einseitig durch Verzicht auf eine Steuerquelle, andere Kategorien von 
Steuerpflichtigen prägraviren darf. 
Selbstverständlich ist die Regierung nicht gehindert, nicht etatsmäßige Einnahmen 
zu machen, welche ihr ohne Auflage auf die Einzelnen in gesetzlicher Weise zufließen 
sollten; nur müssen dieselben den Ständen gegenüber verrechnet werden. 
 
1) Vgl. hierüber Fricker, Budget- und Landtagsperiode in der Tüb. staatsw. Zeitschr. 
B. 17 S. 285 ff., 307. 
2) S. hierüber oben S. 86 u. 196. 
3) Vgl. hierüber Laband, II 998 ff. und die Litteratur S. 985; nur ist für das württ. 
Recht an dem mehr erörterten Grundsatze festzuhalten, daß in Württemberg abweichend von der 
Gesetzgebung in Preußen und im Reiche auch diejenigen Steuern, welche auf besonderen Gesetzen 
beruhen, der jedesmaligen Verwilligung durch das Finanzgesetz bedürfen. 
4) Nicht unter den Begriff der Abgaben fallen nach der Auffassung des württemberg. Rechts 
die Leistungen für die Benutzung von Staatsanstalten, wie namentlich der Verkehrsanstalten, welche 
im Etat als Ertrag des Kammergutes aufgeführt werden und gar nicht durch Gesetz geregelt sind; 
in gewissem Sinne gehören hierher auch die Sporteln; s. oben S. 172 u. 196. 
5) Vgl. auch Mohl, I1 S. 227 f., II S. 756; wesentlich verschieden hiervon ist die Ent- 
scheidung darüber, ob im einzelnen Fall eine Abgabenpflicht besteht. Ueber das Recht des Staats- 
oberhauptes zum Nachlaß von Gebühren im Wege der Dispensation s. o. S. 179f. und Mohl, I 
S. 227, Laband, II 1031ff.
	        
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