220 Siebenter Abschnitt: Die Selbstverwaltung und ihre Organe. I. Die Gemeinden. § 70.
I. Kapitel.
Die Gemeinden.
Litteratur: Mohl, II S. 143—222. Mayer, die Gemeindewirthschaft. 1851. Zeller,
Handbuch für die württemberg. Gemeindebehörden. Dritte, von Huzel durchaus neubearbeitete
Auflage. 1892. Weinheimer, die Verwaltung der Gemeinden. 1880. Fleischhauer, die
Württ. Gesetzg. über die Verwaltung der Gemeinden. 1893.
§ 70. I. Der Gemeindeverband. Nach § 62 der V. U. sind die Gemeinden die
Grundlagen des Staatsvereines. Jeder Staatsbürger mußte hiernach bisher, sofern nicht
gesetzlich eine Ausnahme bestand, einer Gemeinde als Bürger angehören ¹), und der ding-
liche Gemeindeverband erstreckt sich auf sämmtliche Theile des Staatsgebiets ²). Als öffent-
liche Korporationen, welche einen geographisch abgegrenzten Theil des Staatsgebietes dar-
stellen, sind die Gemeinden zwar selbständige Körperschaften, bilden aber zugleich einen
Theil des gesammten Staatsorganismus und werden von der Staatsgewalt als unterste
lokale Instanz der Staatsverwaltung benützt.
Jede Stadt und jedes Dorf bildet eine für sich bestehende Gemeinde, an
welche sich die zunächst gelegenen einzelnen Weiler und Höfe anzuschließen haben, sofern
sie sich nicht zu einer eigenen Gemeinde mit einander verbinden. Jede neu zu bil-
dende Gemeinde soll wenigstens 100 Familien oder 500 Einwohner umfassen. Die
aus mehreren Orten bestehenden Gemeinden bilden entweder blos eine Gesammt-
gemeinde mit einem gemeinschaftlichen, von den stimmberechtigten Einwohnern sämmtlicher
Orte gewählten Ortsvorsteher, Gemeinderath und Bürgerausschuß oder sie zerfallen daneben
noch in sog. Theilgemeinden mit abgesonderter Vermögensverwaltung, wobei dann
die gesetzlichen Rechte und Pflichten der Gemeinden im Allgemeinen zwischen der Gesammt-
gemeinde und der einzelnen Theilgemeinde getheilt sind. Theilgemeinden können nur
diejenigen Orte einer Gesammtgemeinde bilden, welche eine abgesonderte Markung ³) be-
sitzen und deßhalb einen bleibenden besonderen Aufwand zu machen haben oder welche
ein besonderes, für Gemeindezwecke bestimmtes Ortsvermögen in eigener Verwaltung haben.
Die nähere Regelung der Verhältnisse der zusammengesetzten Gemeinden ⁴) erfolgt nach
Maßgabe des Gesetzes vom 17. Sept. 1853 durch ein vom Gemeinderath unter Zustim-
mung des Bürgerausschusses abgefaßtes, der Kreisregierung zur Genehmigung vorzu-
legendes Ortsstatut ⁵).
Ein Unterschied in der rechtlichen Stellung der Gemeinden besteht nicht. Die Ge-
meinden werden zwar nach der Zahl ihrer Einwohner in drei Klassen getheilt, deren
erste die Städte mit mehr als 5000 Einwohnern, die zweite die Gemeinden von mehr
als 1000 Einwohnern, die dritte alle übrigen Gemeinden begreift. Allein diese Ein-
theilung hat eine praktische Bedeutung blos in Beziehung auf die Zuständigkeit zur
Bestätigung der Ortsvorsteher, die sachliche Zuständigkeit der Gemeindegerichte (50, 40
1) Anders jetzt nach Art. 37 des Gemeindeangeh. G. v. 16. Juni 1885; s. hierüber unten
S. 225 N. 1.
2) Ges. v. 18. Juni 1849 Art. 1 ff., 13, 14.
3) Vgl. hierüber württemberg. Archiv, B. II S. 118 ff. u. B. XV S. 58, 82 und Fleisch-
hauer am oben a. O. S. 7.
4) Und zwar aller Gemeinden, welche aus mehreren Ortschaften bestehen, auch wenn diese keine
„Theilgemeinde“ in dem oben angeführten Sinne bilden; s. d. angef. Ges. Art. 1—5 u. Boscher's
Z. B. XXVIII S. 80 f.
5) Das Feuerlöschwesen ist ausschließlich Sache der Gesammtgemeinde, F.L.O. v. 7. Juni
1885 Art. 1; ebenso kommen die Funktionen des Ortsarmenverbandes ausschließlich der Gesammt-
gemeinde zu.