886. Das Armenwesen. 285
Ortsarmenverband, in zusammengesetzten Gemeinden die Gesammtgemeinde. Mehrere
Gemeinden eines Oberamtsbezirkes können sich durch Uebereinkunft der bürgerlichen Kol-
legien zu einem Gesammtortsarmenverbande vereinigen ). Die Ortsarmenbehörde
besteht aus dem Gemeinderath bezw. Gesammtgemeinderath mit Zuziehung des ersten
Ortsgeistlichen der betr. Parochie, wo Geistliche verschiedener Konfession angestellt sind,
des ersten Geistlichen jeder Konfession. Bei Ortsarmenverbänden, welche aus mehreren
Gemeinden bestehen, wird die Verwaltung durch ein besonderes Statut geregelt?).
Für die Verwaltung der gesammten öffentlichen Armenpflege können besondere dem
Gemeinderath untergeordnete Deputationen, und für die Verwaltung einzelner Zweige
oder Anstalten der Armenpflege Kommissionen durch Beschluß der bürgerlichen Kollegien
gebildet, auch für einzelne Bezirke der Gemeinde besondere Armenpfleger bestellt werden.
Wählbar sind alle Gemeindeeinwohner, welche nicht von der Ausübung der staatsbürger-
lichen Wahlrechte ausgeschlossen sind 3). Der erste Ortsgeistliche ist stimmberechtigtes Mit-
glied der Armendeputation. Die Beschlüsse der Gemeindekollegien über den Geschäfts-
kreis und die Geschäftsführung dieser Deputationen und Kommissionen bedürfen der
Bestätigung des Ministeriums.
Die Landarmenverbände haben neben ihren auf § 5 des R. G. beruhen-
den Aufgaben in Württemberg die Verpflichtung, denjenigen ihrem Bezirk angehörigen
Ortsarmenverbänden eine Beihilfe zu gewähren, welche durch Erfüllung der ihnen ob-
liegenden Verpflichtungen überbürdet würden; im Streitfall entscheidet hierüber die Kreis-
regierung, in zweiter Instanz endgiltig das Ministerium des Innern.
Die Landarmenverbände umfassen die sämmtlichen Oberamtsbezirke (einschließlich
des Stadtdirektionsbezirkes Stuttgart) eines Kreises. In jedem dieser Verbände ist eine
Landarmenbehörde bestellt, deren Vorsitzender vom Ministerium des Innern ernannt
wird, wogegen die Mitglieder von den Amtsversammlungen gewählt werden. Zur Be-
sorgung der laufenden Geschäfte besteht ein Ausschuß?). ·
Muß ein hilfsbedürftiger Deutscher, welcher keinen Unterstützungswohnsitz hat, auf
Verlangen einer auswärtigen Staatsbehörde übernommen werden, so liegt die Pflicht
zur Erstattung der Kosten der Unterstützung demjenigen Landarmenverband ob, innerhalb
dessen der Hilfsbedürftige seinen letzten Unterstützungs-Wohnsitz gehabt hat, läßt sich dieser
aber nicht ermitteln, demjenigen Landarmenverband, in dessen Bezirk die Hilfsbedürftig-
keit hervorgetreten ist .
Streitigkeiten zwischen württemb. Armenverbänden über die öffentliche Unter-
stützung Hilfsbedürftiger und Streitigkeiten über Ersatzansprüche?) an Unterstützte (s. o.)
werden in erster Instanz von den Kreisregierungen, in der zweiten Instanz vom Ver-
waltungsgerichtshof entschieden. Streitigkeiten dagegen über Ansprüche, welche von einem
nichtwürttemb. Armenverband an einen württembergischen erhoben werden, sind in erster
Instanz von dem Verwaltungsgerichtshof, in zweiter von dem Bundesamt für das
Heimathwesen ) zu entscheiden w.
1) Ausf.G. Art. 8; Nov. v. 1889 Art. 12.
2) Ausf.G. Art. 9, Nov. Art. 12.
3) Ausf.G. Art. 10, Instr. § 15.
4) Ausf.G. A. 25 u. 26 vgl. m. § 59 des U. W. G.
5) Nov. v. 1889 Art. 1—5.
6) Ausf.G. Art. 27 und dazu die Nov. zum U.W. G. v. 12. März 1894 III.
7) Die Tarife für die Erstattungsforderungen der Armenverbände (Ausf G. Art. 24) sind
enthalten in der M.Verf. v, 25. Juni 1891 (RN. Bl. 235).
8) Laband, I1 S. 397 ff.
9) U. W.G. §§ 36—51; Württ. Ges. v. 16. Dez. 1876 Art. 10 Z. 2 u. 3, Art. 11 Z. 1 u.
Art. 12, 25, 26—56.