Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.2. Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg. (2)

8102. Die Volksschule und ihre Organisation. 361 
Ausführung enthält der Normallehrplan für die einklassige Volksschule vom 21. Mai 
1870. Für Mädchen kann die Ortsbehörde den Unterricht in Handarbeiten als allge- 
mein verbindliches Unterrichtsfach in den Volksschulen einführen 7). 
IV. Der Schulzwang besteht in Württemberg seit Jahrhunderten (vgl. Gen. Recrr. 
v. 10. August 1649). Die geltenden Vorschriften enthält das Schulges. v. 1836 Art. 
4—6 und die Novelle vom 6. Nov. 1858 Art. 1. Hiernach erstreckt sich die Pflicht 
zum Besuche der Volksschule auf die Kinder aller Staatsangehörigen 2), soweit dieselben 
nicht eine höhere öffentliche Schule (Gelehrten= oder Realschule oder höhere Bürgerschule) 
besuchen oder einen den Unterricht der Volksschule vertretenden oder einen höheren d. h. 
nicht auf die Unterrichtsgegenstände der Volksschule beschränkten Privatunterricht (s. III 
Nr. 2) erhalten. Die Schulpflichtigkeit beginnt bei jedem Kinde im 7. und endigt in 
dem 14. Lebensjahre; doch können die Kinder, wenn sie gehörig entwickelt sind, schon 
im 6. Jahre zur Schule geschickt werden. Bei Kindern, welche in der, der Entlassung 
aus der Volksschule vorangehenden Prüfung ganz ungenügende Kenntnisse und Fertig- 
keiten zeigen, kann die Dauer der Schulpflicht ) um ein bis zwei Jahre verlängert wer- 
den. Der Eintritt vor dem 7. Lebensjahre begründet keinen Anspruch auf frühere Ent- 
lassung. Eine Schulentlassung vor dem 14. Jahre bedarf besonderer Dispensation. Da- 
gegen kann keinem Schüler verwehrt werden, nach Erfüllung der Schulpflicht die Volks- 
schule noch ein weiteres Jahr zu besuchen. 
Die aus der Volksschule Entlassenen sind noch bis in das 18. Lebensjahr zum 
Besuche der Sonntagsschule oder — an der Stelle derselben — einer Winterabendschule 
(s. u. S. 363) verpflichtet, soweit sie nicht eine höhere Lehranstalt oder eine Gewerbe- 
schule besuchen oder einen anderen nach dem Ermessen der Ortsschulbehörde genügenden 
Unterricht erhalten. 
Für die Beobachtung dieser Vorschriften sind die Eltern und deren Stellvertreter 
(Vormünder, Erzieher, Lehr= oder Dienstherren) verantwortlich. Sie werden daher wegen der 
Schulversäumnisse der Kinder nach Maßgabe ihrer Verschuldung „innerhalb des den Orts- 
vorstehern zustehenden Strafmaßes“ 1 mit Geld= und nöthigenfalls mit Gefängnißstrafe belegt. 
Zuständig sind jetzt die Gerichte; doch können die Ortsvorsteher wegen Schulversäumnissen 
Wikerhall ihrer Strafbefugniß polizeiliche Strafverfügungen im Sinne des § 453 der Str. P.O. 
erlassen 5). 
Neben diesen Strafen für Schulversäumnisse kann aber im Falle beharrlichen Ungehor- 
sams der Schulbesuch der Kinder auch durch die geeigneten Polizeimaßregeln (3. B. polizei- 
liche Vorführung 2c.) bewirkt werden #). 
V. Die Schulaufsicht. Für Schulen, welche fünf oder mehr Klassen umfassen, 
wird zur Erhaltung der innern und äußern Schulordnung innerhalb des betr. Schul- 
komplexes und unbeschadet der Aufsichtsbefugnisse des Ortsschulaufsehers aus der Mitte 
der ständigen Lehrer in widerruflicher Weise auf Vorschlag der Ortsschulbehörde von der 
Oberschulbehörde ein Oberlehrer bestimmt, an Schulen mit weniger als fünf Klassen 
  
1) Konsist. Erl. v. 6. Okt. 1877 u. Kirchenrathserl. v. 5. Okt. 1877; bezüglich des Turnens 
s. Kons. Erl. v. 8. Juni 1883. 
2) Auch der Angehörigen auswärtiger Staaten, soweit Gegenseitigkeit bezüglich des Schul- 
zwanges verabredet ist. 
3) Schulnov. v. 6. Nov. 1858 Art. 1. 
4) Der Mindestbetrag der Strafe ist hiernach jetzt 1 M. oder ein Tag Gefängniß, der Höchst- 
betrag nach der Klasse der Gemeinde 36, 24 und 12 M. oder sechs-, vier= und zweitägige Haft; 
vgl. R. Str. G. B. §§ 18 u. 27; württemberg. P. Str. G. v. 27. Dez. 1871 Art. 1, 49 Nr. 3, dann 
das Ges. v. 12. Aug. 1849 Art. 11. 
3 Vgl. hierüber Art. 9, 10 Nr. 4, Art. 15—25 des Ges. v. 12. Aug. 1879. 
6) Schul G. Art. 9. Ueber die Dispensation eines Kindes vom Schulbesuch aus dringenden 
Gründen s. d. M.V. v. 3. Mai 1866 II 3. 12 u. M. V. v. 12. Apr. 1894 § 3 (R. Bl. S. 86 f.) 
Ueber den Ausschluß einzelner Schüler oder den Schluß der ganzen Schule bei ansteckenden Krank- 
heiten s. d. M. V. v. 13. Juli 1891.
	        
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