8107. Rechtsverhältniß zwischen Staat und Kirche. Geschichtliches. 373
freien und vollen Disposition der Landesherren zur Erleichterung ihrer Finanzen überlassen
worden war.
Ein allgemeines katholisches Kirchenvermögen wurde zuerst im Jahre 1808 durch die
Gründung des sog. Intercalarfonds geschaffen.
3. Die Verf. Urk. von 1819 sicherte in Uebereinstimmung mit der deutschen Bundes-
akte jeder der drei im Königreiche bestehenden christlichen Konfessionen — und nur diesen —
freie öffentliche Religionsübung und den vollen Genuß ihrer Kirchen-, Schul= und Armenfonds
(§ 70) zu. Die Anordnungen in Betreff der inneren kirchlichen Angelegenheiten sollten der ver-
fassungsmäßigen Autonomie einer jeden Kirche überlassen bleiben (§ 71), wogegen dem Könige
das obersthoheitliche Schutz= und Aufsichtsrecht über die Kirchen beigelegt wurde. Aus letzterem
wurde die Konsequenz gezogen, daß die Verordnungen der Kirchengewalt ohne vorgängige Ein-
sicht und Genehmigung der Staatsgewalt weder verkündet noch vollzogen werden können (§ 72).
Die Kirchendiener sollen in Ansehung ihrer bürgerlichen Handlungen und Verhältnisse der welt-
lichen Obrigkeirt unterworfen sein und im Falle ihrer Dienstuntüchtigkeit Anspruch auf einen
angemessenen lebenslänglichen Ruhegehalt haben, auch wurden den katholischen Kirchendienern
dieselben persönlichen Vorrechte eingeräumt, wie den evangelischen (§§ 73, 74, 80).
Das Kirchenregiment der evangelisch-lutherischen Kirche soll wie bisher durch das
Königl. Konsistorium und den Synodus verwaltet werden. Den wenigen im Königreiche be-
findlichen reformirten Kirchengemeinden wurde die Zusicherung ertheilt, daß für Verbesserung
ihrer kirchlichen Einrichtungen und für Ausmittelung hinreichender Einkünfte zum Unterhalte
ihrer Kirchen= und Schuldiener 2c. werde gesorgt werden (88§ 76, 83).
Bezüglich der katholischen Kirche dagegen wurde bestimmt: die Leitung der inneren An-
gelegenheiten dieser Kirche stehe dem Landesbischof nebst dem Domkapitel zu. Derselbe werde
in dieser Hinsicht mit dem Kapitel alle diejenigen Rechte ausüben, welche nach den Grundsätzen
des katholischen Kirchenrechts mit jener Würde wesentlich verbunden seien. Die in der Staats-
gewalt begriffenen Rechte über die katholische Kirche sollten von dem Könige durch eine aus
katholischen Mitgliedern bestehende Behörde (den Kirchenrath) ausgeübt werden und diese auch
bei Besetzung geistlicher Aemter, welche von dem König abhängen, jedesmal um ihre Vorschläge
vernommen werden (§ 78 und 79).
Ueber die Zusage bezüglich des beiderseitigen Kirchengutes und über die Vorschriften für
den Fall, daß der Regent nicht der evangelischen Konfession angehören sollte (88§ 77, 82, 76) f. u.
Erst nach Abschluß des Verfassungsvertrages gelang es, auf Grund der Bulle Provida
Solersque v. 16. Aug. 1821, acceptirt durch Vertrag der südwestdeutschen Staaten v. 8. Febr.
1822, die Errichtung der oberrheinischen Kirchenprovinz und im Jahre 1828 im Anschlusse an
die Bulle Ad dominici gregis custodiam v. 11. April 1827 — über die Wahl der Bischöfe und
der Mitglieder der Domkapitel — die definitive äußere Organisation der katholischen Kirche unter
einem besonderen württemberg. Landesbischof nach den näheren Bestimmungen des aus den
Verhandlungen zu Frankfurt hervorgegangenen Fundationsinstruments vom 14. Mai 1828 und
der dort von den betheiligten Staaten vereinbarten Verordnung v. 30. Jan. 1830 zu Stande
zu bringen ?½).
4. So liberal der württemberg. Staat seit 1803 für alle Bedürfnisse der katholischen
Kirche, namentlich auch für die Heranbildung der katholischen Theologen gesorgt und so sehr
man die Gleichstellung der evangelischen und katholischen Kirche in allen Beziehungen durch-
geführt hatte, so lag es doch an der damals — auch in den katholischen Kreisen — herrschen-
den Anschauung, daß die Vorschriften der Verfassung über die Autonomie der Kirche und über
das staatliche Aufsichtsrecht in der Verordnung v. 30. Jan. 1830 ganz im Sinne des bisherigen
Staatskirchenthums ausgelegt worden waren. Namentlich war es bei der ausschließlichen Er-
nennung der katholischen Kirchendiener durch den König auf Grund des sog. Staatspatronats-
rechts verblieben, wie auch der katholische Kirchenrath sich nicht auf die Oberaufsicht beschränkte,
sondern in die Verwaltung der Kirche selbst nach allen Richtungen eingriff. Dennoch blieb der
kirchliche Frieden selbst nach Ausbruch der Kölner Wirren zunächst ungestört. Die mit dem
Jahre 1841 eingetretene Aenderung in der preußischen Kirchenpolitik wirkte zwar auch auf die
oberrheinische Kirchenprovinz zurück; doch wurde der mit der bischöflichen Motion vom 8. Nov.
1841 erstmals eröffnete offizielle Angriff gegen die Staatsgesetzgebung unter energischer Unter-
stützung der staatstreuen Katholiken sofort zurückgewiesen. Erst seit dem Jahre 1848 und nach-
dem in Preußen die sog. Grundrechtsparagraphen in die Verfassung aufgenommen worden
1) Vgl. hierüber O. Mejer, Gesch. der römisch-deutschen Frage, III. B. 2. H.