§ 109. Das Verhältniß des Staates zur evangelischen Kirche. 379
Versammlung, Berathung und Beschlußfassung dieser Organe, auch die Entlassung der
Mitglieder des Kirchengemeinderathes und die Auflösung desselben geordnet, alles unter
dem Gesichtspunkt einer Bedingung für die Anerkennung der Kirchengemeinde als eines
selbständigen Rechtssubjekts seitens der staatlichen Gesetzgebung, wie es andererseits vom
Standpunkte des öffentlichen Interesses der Gesammtheit auch die Normen für die Ver-
waltung des örtlichen Kirchenvermögens aufgestellt hat )). Nur die Entscheidung darüber,
ob die Voraussetzungen der Kirchengemeindegenossenschaft vorhanden sind, ist — sowohl
auf Grund des staatlichen Gesetzes als der bestehenden oder künftigen Kirchengesetze — den
kirchlichen Organen zugewiesen ).
Das von der Staatsgewalt zur Vertretung der Kirchengemeinde berufene Organ
ist der Kirchengemeinderath, bestehend aus dem Pfarrer, bezw. den mehreren im
Pfarramt der Kirchengemeinde ständig angestellten Geistlichen, aus dem Ortsvor-
steher oder dessen ordentlichen Stellvertreter, wenn diese der evangelischen Kirche ange-
hören, aus den vom Kirchengemeinderath — auf mindestens drei Jahre oder auf Lebens-
zeit — zur Besorgung der laufenden ökonomischen Geschäfte und für die Kassen- und
Rechnungsführung gewählten Kirchenpfleger und aus den von den Gemeindegenossen
gewählten weltlichen Kirchengemeinderäthens). Der Patron kann persönlich, aber
nur mit berathender Stimme theilnehmen.
Die Aufgabe des Kirchengemeinderaths besteht nach dem Staatsgesetz in der
Vertretung der evangelischen Kirchengemeinde, sowie — vorbehaltlich der staatlichen Auf-
sicht — in der Verwaltung des örtlichen Kirchenvermögens. Zu diesem gehören nament-
lich die jetzt (s. o. S. 242 f.) ausgeschiedenen kirchlichen Stiftungen, nicht aber das Ver-
mögen der kirchlichen Pfründen, soweit solche in der evangelischen Kirche (in Neu-
Württemberg) vorkommen. Bezüglich der katholischen Kirche, wo die Pfründen die Regel
bilden, ist dies in Art. 21, Abs. 2 des staatlichen Gesetzes von gleichem Tage ausdrücklich
bestimmt"). Im Uebrigen ergibt sich der Umfang der Vermögensverwaltung des Kirchen-
gemeinderaths aus Art. 53 des staatlichen Gesetzes über die evangelischen Kirchengemeinden.
Ueber die Vermögensverwaltung selbst und über die Rechnungsstellung s. Art. 55—63 ebendafs.
Die Vermögensverwaltung steht nämlich sowohl unter staatlicher als kirchlicher
Aufsicht. Während die unmittelbare Aufsicht auf Grund des kirchlichen Gesetzes durch
den Dekan und den Ausschuß der Diöcesansynode, die kirchliche Oberaufsicht aber durch
das evangelische Konsistorium ausgeübt wird ?), fungiren dagegen die Kreisregierung und
das Oberamt, sowie das Ministerium des Kirchen= und Schulwesens als Organe der
staatlichen Aufsicht und zwar dergestalt, daß die Kreisregierungen und die Oberämter
bei dieser Thätigkeit nur dem Kultusministerium unterstellt sind und von diesem ihre
Instruktionen erhalten )). Uebrigens erstreckt sich die staatliche Aufsicht nicht auf das
1) S. d. angef. staatl. Ges. Art. 1—6, 8—28, 75—84, 86, 87, 89.
2) Art. 7. Nur wenn in einem Streit über die Bezahlung kirchlicher Umlagen über diese
Vorfrage gestritten wird, haben die Verwaltungsgerichte auch hierüber zu entscheiden, aber natürlich
ohne die Wirkung einer über die konkrete Entscheidung hinausgehenden Rechtskraft; Art. 90 Abs. 2
a. a. O.
3) Die Zahl dieser weltlichen Mitglieder beträgt je nach der Größe der Kirchengemeinde
vier bis zwölf, und erhöht sich um eines, wenn der Ortsvorsteher der ev. Landeskirche nicht angehört.
Art. 9 u. 10 a. a. O.
4) S. auch Gaupp, Anh. z. Komm. zur C. Pr. O. S. 28 u. 29.
5) Art. 7 u. 11 des kirchlichen Ges. betr. d. Kirchengemeinden v. 29. Juli 1888.
6) Eine Ausnahme d. h. ausschließliche Zuständigkeit des Ministeriums des Innern tritt
nur ein im Falle des Art. 47 Abs. 2 (Benützung von Kirchthurm, Uhr, Glocken, Begräbnißplätzen
für Zwecke der bürgerlichen Gemeinde), sowie (während der Uebergangszeit) im Ausscheidungsverfahren
gemäß Art. 48 Abs. 8 des staatl. Ges.