8110. Das Verhältniß des Staates zur katholischen Kirche. 385
ledigung des Bischofsitzes dem Landesherrn von den Namen der zum Diözesanklerus gehörigen
Kandidaten, welche dasselbe zur Führung des bischöflichen Amtes für tauglich erachtet, in
Kenntniß zu setzen und diejenigen Kandidaten, welche dem Landesherrn minder angenehm
sind, von der Liste zu streichen. Die in der Bulle enthaltene Einschränkung, es müsse
die noch übrige Zahl der Kandidaten hinreichend sein, um aus ihr den Bischof zu wählen,
ist durch das erläuternde spätere Breve vom 22. März 1828, welches, wie das Breve
vom gleichen Tage betreffend die Wahlen des Domdekans und der Kapitulare durch den
Bischof, einen Theil der zwischen den Regierungen der oberrheinischen Kirchenprovinz und
der Kurie vereinbarten Rechtsnormen bildet, beseitigt, indem dasselbe die allgemeine Vor-
schrift enthält, daß der zu Wählende keine dem Landesherrn minder angenehme Person
sein dürfe. Die Regierung ist daher berechtigt, auch alle Kandidaten oder doch alle bis
auf einen als mißliebig aus der Liste zu streichen und es bleibt dann kein anderer Ausweg
für das Kapitel übrig, als die Liste zu ergänzen und zwar solange, bis mindestens zwei
Kandidaten auf der Liste stehen, welche der Regierung nicht mißliebig sind 1). Der gewählte
Bischof hat vor der Konsekration den Eid der Treue und des Gehorsams in die Hände
des Landesherrn abzulegen. (Fundationsinstr. Z. 3, V.O. von 1830 § 30).
Den Domdekan, die Domkapitulare und den Kapitelsvikar wählt ab-
wechslungsweise der Bischof oder das Kapitel. Dem Landesherrn ist hierbei jedesmal inner-
halb sechs Wochen vom Tage der Erledigung an eine Liste von vier Kandidaten vorzulegen,
welche Priester, mindestens 30 Jahre alt, tadellosen Wandels sein und vorzügliche theo-
logische Kenntnisse besitzen sollen 2c. Der Landesherr kann aus dieser Liste die ihm minder
genehmen Kandidaten streichen, wobei bezüglich der für die Ernennung durch den Bischof
oder das Kapitel übrig bleibende Zahl dasselbe gilt, wie bei der Bischofswahl .
2. Das Aussichtsrecht des Staates. Das Gesetz vom 30. Jan. 1862 enthält hier-
über im Wesentlichen folgende Bestimmungen: ..
a) Das landesherrliche Placet. Während die württemb. V. U. in § 72 alle
Verordnungen der Kirchengewalt — ohne Unterscheidung — der vorgängigen Genehmigung
des Staatsoberhauptes unterworfen hatte, ist jetzt das Placet für alle Anordnungen und Er-
lasse der Kirchengewalt über rein geistliche Gegenstände aufgegeben; doch sind auch diese der
Staatsbehörde gleichzeitig mit der Verkündigung zur Einsicht mitzutheilen. Dagegen sind
alle von der kirchlichen Behörde ausgehenden allgemeinen Anordnungen und Kreisschreiben
an die Geistlichkeit und Diözesanen, wodurch dieselben zu etwas verbunden werden sollen, was
nicht ganz in dem eigenthümlichen Wirkungskreise der Kirche liegt, sowie auch sonstige Erlasse,
welche in staatliche oder bürgerliche Verhältnisse eingreifen (sog. gemischte Gegenstände),
der Genehmigung des Staates unterworfen. Denselben Bestimmungen unterliegen die
auf Diözesen und Provinzialsynoden gefaßten Beschlüsse; ebenso die päpstlichen Bullen,
Breven und sonstigen Erlasse, welche nur von dem Bischofe verkündet und angewendet werden
dürfen. Darüber ob eine Sache gemischter oder rein kirchlicher Natur ist, hat, wie die
Ständekammer zu Art. 1 des Gesetzes festgestellt hat, nur die Staatsbehörde zu entscheiden ?).
1) Vgl. Friedberg, der Staat und die kath. Kirche im Großh. Baden S. 208 ff.; Golther
a. a. O. S. 63 ff., 297; Hinschius a. a. O. S. 295 Note 5 und bezüglich des päpstl. Breve „re
sacra“ v. 27. Mai 1827 die Entsch, des O. L. G. Darmstadt v. 15. Juli 1886 bei Vering, Arch.
B. 56 S. 458 ff. Die Absendung eines Kommissärs zur Ueberwachung der Wahlen des Bischofs,
des Domdekans und der Kapitulare und die landesherrliche Bestätigung dieser Wahlen, welche das
Fundationsinstrument in Anspruch nahm, ist durch Art. 4 des Ges. vom 30. Januar 1862 beseitigt;
Golther a. a. O. S. 299. Für die Annahme einer Verpflichtung der badischen Regierung, bei
der Wahl eines Erzbischofs auch den übrigen Regierungen der Oberrheinischen Kirchenprovinz
Gelegenheit zur Ausübung einer Exklusive zu geben, fehlt es an einer ausdrücklichen Bestimmung;
ogl. auch Golther S. 62, Mohl, II S. 493.
2) S. Golther a. a. O. 3) Vgl. Golther a. a. O. S. 257 ff., 419f.
Handbuch des Oeffentlichen Rechts III. 2. Aufl. Württemberg. 25