388 Achter Abschnitt: Die Landesverwaltg. III. Die Verwaltg. d. Kirchen- u. Schulwesens. 8110.
Urtheil kann ein kath. Geistlicher von seinem Kirchenamte niemals entsetzt werden, da die
Bestimmungen des angef. Gesetzes Art. 5 Abs. 3 bezw. des früheren württemb. Strafgesetz-
buches bezüglich der gerichtlich strafbaren Dienstvergehen der kath. Geistlichen durch das
Reichsstrafgesetzbuch außer Wirkung gesetzt sind, letzteres aber das geistliche Amt nicht als
öffentliches Amt im Sinne der §§ 31, 33—37 auffaßt, auch die Amtsvergehen der Geist-
lichen (88 130a, 338 des Str.G.B. und § 67 des Ges. vom 6. Febr. 1875) nicht mit
Entsetzung von ihrem geistlichen Amte bedroht 7.
Der Ausübung der bischöflichen Disziplinargewalt sind jedoch durch Art. 6 des
Gesetzes folgende Schranken gezogen: Die Disziplinargewalt kann niemals durch Freiheits-
entziehung geübt werden; Geldbußen dürfen den Betrag von 80 Mark 5), die Einberufung
in das Besserungshaus der Diözese (welche nicht den Charakter einer Gefängnißstrafe hat
und daher auch nicht in der Form einer zwangsweisen Freiheitsentziehung vollzogen werden
kann) darf die Dauer von sechs Wochen nicht übersteigen. Die Disziplinarstrafen dürfen
ferner nur auf Grund eines geordneten prozessualischen Verfahrens verhängt werden, und
es ist der Staatsbehörde von jedem auf eine Geldbuße von mehr als 30 Mark, auf
Einberufung in das Besserungshaus für mehr als 14 Tage, ferner auf Suspension, Ver-
setzung, Zurücksetzung oder Entlassung lautenden Straferkenntnisse alsbald Mittheilung zu
machen, auch kommen für die Leihung des weltlichen Armes zur Vollstreckung von Dis-
ziplinarstrafen daneben die besonderen Bestimmungen des Art. 7 (s. nachher) in An-
wendung. Endlich dürfen Disziplinarstrafsachen auch im Instanzenzuge nicht vor ein
außerdeutsches kirchliches Gericht gezogen werden (Art. 10) ).
Allgemein, ohne Unterscheidung zwischen Geistlichen und Laien, gilt ferner der Grund-
satz (Art. 7), daß kirchliche Strafverfügungen gegen die Person oder das Vermögen eines
Angehörigen der katholischen Kirche wider dessen Willen nur von der Staatsgewalt voll-
zogen werden können. Die Staatsbehörde ist jedoch nur dann befugt, ihre Mitwirkung
(z. B. zur Eintreibung einer Geldstrafe, Entsetzung aus dem Amte 2c.) eintreten zu lassen,
wenn der Bischof ihr zuvor über den Fall die erforderlichen Aufklärungen gegeben und
sie hiernach die Verfügung oder das Erkenntniß weder in formeller Hinsicht noch auch
vom staatlichen Gesichtspunkte aus in materieller Beziehung zu beanstanden gefunden hat.
Auch zur Führung einer kirchlichen Untersuchung darf die Staatsbehörde nur unter der-
selben Voraussetzung auf Ersuchen der Kirchenbehörde mitwirken 0.
c) Die kirchliche Ehegerichtsbarkeit ist mit der Einführung der obligatorischen
Civilehe durch das R.G. vom 6. Februar 1875 aus dem Kreise der sog. gemischten Gegen-
stände ausgeschieden. Demgemäß sind sowohl die Art. 8 und 9 des angeführten Gesetzes
als das Gesetz über die Nothcivilehe vom 1. Mai 1855 sowie das Gesetz vom 23. Januar
1862 über die Dispensation vom Ehehindernisse der Verwandtschaft oder Schwägerschaft
bei gemischten Ehen gegenstandslos geworden. Der Kirche steht jetzt die Regelung der kirch-
lichen Trauung ohne jede staatliche Schranke zu; vgl. auch § 82 des angeführten R.G. ).
1) Daß die kath. Geistlichen der Gerichtsbarkeit des Staates in strafrechtlicher Beziehung
wie in ihren bürgerlichen Verhältnissen unterliegen, ist schon in § 73 der V. U. ausgesprochen und
deßhalb in dem Ges. nicht wiederholt.
2) Ges. v. 18. Juni 1875 Art. 2 Z. 3.
3) Dies ist auch kirchlicherseits insofern anerkannt, als gegenüber dem bischöflichen Ordinariate
in Rottenburg das erzbischöfliche Ordinariat in Freiburg die zweite Instanz bildet, während das
bischöfliche Gericht in Augsburg von der Kurie mit den Funktionen. eines Richters dritter Instanz
betraut worden ist.
4) Vgl. Golther a. a. O. S. 301 ff.
5) Ueber die Anwendung des kanonischen Rechts auf die Ehestreitigkeiten der Katholiken vor
den bürgerlichen Gerichten in Württemberg und über die Religion der Kinder bei gemischten Ehen
s. o. S. 383 in und zu N. 4 u. 5.