Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.1.2. Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg. (2)

32 Dritter Abschnitt: Die natürlichen Grundlagen des Staats. II. Die Staatsangehörigen. § 7. 
zu den durch die Verfassung selbst für einzelne Klassen von Staatsbürgern aufrecht erhaltenen Aus- 
nahmen; s. §§ 8—10. 
III. Der Schutz der Person im Genuß ihrer bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte. 
Dieser Schutz ist Aufgabe der gesammten Rechtsordnung im Staate. Er wird verwirklicht durch 
das Civilrecht und den Civilprozeß, durch das Strafrecht und den Strafprozeß und die damit zu- 
sammenhängende Organisation der Gerichte und anderen Behörden. Auf alle diese Gebiete erstreckt 
sich die Kompetenz der Reichsgesetzgebung, welche die wichtigsten derselben: das Strafrecht und den 
Prozeß einheitlich für das ganze Reich geregelt hat. Die Bestimmung des § 26 der württ. 
V. U.: „Niemand darf seinem ordentlichen Richter entzogen und anders als in den durch 
das Gesetz bestimmten Fällen und in den gesetzlichen Formen verhaftet und bestraft, noch länger 
als einmal 24 Stunden über die Ursache seiner Verhaftung im Unklaren gelassen werden“ ist in 
ihrem ganzen Umfang durch die Gesetzgebung des Reichs ersetzt, welche in § 16 der R.G.V.G., 
§§ 2, 341 des Str. G. B., §§ 7 ff., 112 ff. der Str. P. O. den hier in Frage stehenden speziellen Rechts- 
schutz für das ganze Reich festgestellt hat ¹). 
Der in der württembergischen Verfassung nicht berührte Schutz des Staatsbürgers im 
Ausland ist durch Art. 3 Abs. 6 der R.V. und durch eine umfassende Spezialgesetzgebung des 
Reichs (R.V. Art. 4 Z. 7) gewährleistet. 
IV. Das Recht der freien Bewegung im Reichs- und Staatsgebiet. (Das Recht der Frei- 
zügigkeit.) Schon im Tübinger Vertrag von 1514 (s. o. S. 5) war dem Württemberger das Recht 
der freien Auswanderung garantirt, ebenso in der V. U. §§ 24 u. 32. Letztere gestattete auch unter 
gewissen Voraussetzungen (§ 35) die Niederlassung im Auslande mit Beibehaltung des Staatsbürger- 
rechts. Die Wahl des Aufenthalts innerhalb des Staatsgebiets fand dagegen nur in den Schranken 
der Art. 11 u. 19 des jetzt aufgehobenen Bürgerrechtsgesetzes von 1833 statt. Diese Bestimmungen 
über die Auswanderungsfreiheit sind nunmehr im Wesentlichen durch die Normen des Bundes G. vom 
1. Juni 1870 über den Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit ersetzt. Dagegen ist jetzt die freie 
Wahl des Aufenthaltsorts innerhalb des ganzen Staatsgebiets durch das B.G. v. 1. Nov. 1867, 
welches in Württemberg am 1. Januar 1871 in Kraft trat, sowie durch das B.G. v. 6. Juni 1870 
über den Unterstützungswohnsitz, in Württemberg seit 1. Januar 1873 in Geltung, gewährleistet ²). 
1. Der § 1 des Freizügigkeitsgesetzes erkennt jedem Bundesangehörigen das Recht zu, an 
jedem Orte des deutschen Reichs sich aufzuhalten, wo er eine eigene Wohnung 
oder ein Unterkommen sich zu verschaffen im Stande ist, auch an jedem Orte Grundeigenthum aller 
Art zu erwerben und Gewerbe aller Art zu betreiben, wenn er nur (nach § 2) auf Verlangen den 
Nachweis seiner Reichsangehörigkeit und sofern er unselbständig ist, den Nachweis der Genehmigung 
des Gewalthabers erbringen kann ³); dagegen sind in §§ 3—5, 12 die Gründe festgestellt, welche 
einen Bundesstaat berechtigen, einem Angehörigen eines andern Bundesstaats in seinem Gebiete — 
sei es nun im ganzen Staatsgebiet oder in einzelnen Orten den Aufenthalt zu versagen. Diese 
Gründe sind: polizeiliche Aufenthaltsbeschränkungen, welchen gestrafte Personen in 
einem Bundesstaate nach den Landesgesetzen unterliegen ⁴) oder Bestrafung innerhalb der letzten zwölf 
Monate wegen wiederholten Bettels oder wiederholter Landstreicherei (§ 3), und Mangel 
hinreichender Kräfte zur Beschaffung des nothdürftigen Lebensunterhalts, wobei 
1) Die Grundsätze über Verhaftung, Durchsuchung der Wohnung, Beschlagnahme, 
 Postgeheimniß sind nicht im Verfassungsrecht, sondern im Strafprozeß bezw. Verwaltungsrechte zu 
erörtern. 
2) Vgl. auch das R.Paßgesetz v. 12. Okt. 1867 und das Gesetz über die Doppelbesteuerung 
v. 13. Mai 1870 und den Zollvereinsvertrag v. 8. Juli 1867, Art. 26 Abs. 2. Litteratur: G. Meyer, 
Verw.R. I 96ff. Arnoldt, Freizügigkeit (1872), Laband I 145, 150, 159, 169. Seydel in 
Hirth's Ann. 1876, S. 159 ff. 1877, S. 545 ff. 
3) Eine Ausnahme von diesem Rechte der freien Wahl des Aufenthalts besteht nur für die 
Mitglieder der Gesellschaft Jesu, welchen, wenn sie Inländer sind, nach § 2 des R.G. v. 4. Juli 1872 
der Aufenthalt in bestimmten Orten oder Bezirken versagt oder angewiesen werden kann. Auch be- 
dürfen Wehrpflichtige, welche vor erfüllter aktiver Dienstpflicht zur Disposition des Truppentheils 
beurlaubt sind, der militärischen Genehmigung zum Wechsel des Aufenthaltsortes, R.M.G. v. 
2. Mai 1874 § 60 Nr. 5 (Laband II, S. 651). 
4) Das württ. Gesetz über die Gem. Angeh. v. 16. Juni 1885 Art. 57 gestattet jetzt im 
Anschluß an den § 3 des R.G. den im Text angeführten Regierungsbehörden auch außer dem Falle 
der Stellung unter polizeiliche Aufsicht (vgl. hierüber § 38 u. 39 des Str. G. B. und die M.V. 
v. 16. Jan. u. 15. Oct. 1872 und Schicker, Pol. Str. R. S. 338, 351, 126) in einer Reihe von 
einzelnen Fällen wegen früher erkannter Strafen den Aufenthalt in einer bestimmten Gemeinde 
des Landes zu versagen; nur das Bürgerrecht in der Gemeinde, welches aber nur Staatsangehörige 
erwerben können, gewährt hiergegen Schutz, Art. 1 u. 57 a. a. O. 

	        
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