34 Dritter Abschnitt: Die natürlichen Grundlagen des Staats. II. Die Staatsangehörigen.
betr. den Aufenthalt in den Gemeinden des Landes und in der M.V. v. 27. Dez. 1872 (R.Bl.
S. 275 u. 460) ¹).
Beschränkungen der freien Bewegung am Aufenthaltsorte selbst ergeben sich
aus den Bestimmungen über die Polizeiaufsicht (Str. G. B. §§ 38, 39) ²), ferner aus den §§ 361
Z. 3—8, 362 des Str.G.B. ³), endlich aus den Bestimmungen über die Ueberwachung der vorläufig
entlassenen Strafgefangenen ⁴).
V. Die Freiheit der Presse und des Buchhandels. Diese wurde durch § 28 der württem-
bergischen V. U. — in Uebereinstimmung mit dem damals noch geltenden Preßgesetze v. 30. Januar
1817, welches die Zensur aufgehoben und durch Repressivmaßregeln ersetzt hatte — „in ihrem
vollen Umfang, jedoch unter Beobachtung der gegen den Mißbrauch bestehenden oder künftig zu er-
lassenden Gesetze“ zugesichert. Die Einführung der Zensur durch den fast gleichzeitig mit der V. U.
publizirten Bundesbeschluß vom 20. September 1819, sowie die späteren Bundesbeschüsse vom
19. November 1831 und 3. Juli 1832 ⁵) und — nach Beseitigung der sog. deutschen Grundrechte —
der Bundesbeschluß vom 6. Juli 1854 ließen jedoch für diese verfassungsmäßige Preßfreiheit keinen
Raum, bis eine K.V.O. vom 24. Dezember 1864 unter Beseitigung der bundestäglichen Normen
das Preßgesetz von 1817 wieder in Wirksamkeit setzte.
Jetzt ist der Rechtszustand der Presse und des Buchhandels durch die Reichsgesetzgebung
(R. V. Art. 4, Z. 16), insbesondere durch das Reichs-Preßgesetz vom 7. Mai 1874 geregelt ⁶).
Die Rechtsverhältnisse des Buchhandels insbesondere sind durch die R.G.O. §§ 14, 43,
56, 143 ausschließlich normirt. Dem württembergischen Recht eigenthümlich ist nur noch die aus
dem Preß-Gesetze von 1817 (§ 17) aufrecht erhaltene Bestimmung, nach welcher jeder Buchdrucker
verbunden ist, von jeder von ihm gedruckten Schrift der Bezirkspolizeibehörde gleichzeitig mit der
Ausgabe oder mit der Ablieferung an den Verleger oder Besteller zur Abgabe an die öffentliche
Bibliothek ein Freiexemplar zu übergeben ⁷). Ferner sind nach Art. 12 des württembergischen
A.G. z. G.V.G., vgl. m. d. E.G. zu diesem (§ 6), die Schwurgerichte zuständig für die durch
die Presse begangenen Verbrechen und Vergehen, mit Ausnahme der in den §§ 18, 28 des R. Pr. G.
vom 7. Mai 1874 bedrohten Vergehen, sowie derjenigen Fälle, in welchen die Verfolgung nur auf
Antrag eintritt. Eine weitere Ausnahme bilden die der Zuständigkeit des Reichs-Gerichts in erster
Instanz nach § 136 Nr. 1 des R.G.V.G. unterliegenden Handlungen.
VI. Die Gewissensfreiheit. Nachdem mit der altwürttembergischen Verfassung auch der
Grundsatz der ausschließlichen Herrschaft der protestantischen Kirche aufgehoben worden und in den
Religionsedikten vom 14. Februar 1803 und vom 15. Oktober 1806 die Bekenner der drei im ehe-
maligen Deutschen Reich anerkannten christlichen Kirchen in ihren bürgerlichen und politischen Rechten
gleichgestellt worden waren ⁸), sicherte zunächst die V.U. von 1819 Jedem ohne Unterschied der Reli-
gion im Königreich „ungestörte Gewissensfreiheit" zu; „den vollen Genuß der staatsbürger-
lichen Rechte" gewährte sie aber blos den Anhängern der drei christlichen Glaubensbekenntnisse,
wogegen „andere christliche und nichtchristliche Glaubensgenossen zur Theilnahme an den bürger-
lichen Rechten nur in dem Verhältnisse zugelassen wurden, als sie durch die Grundsätze ihrer Reli-
gion an der Erfüllung der bürgerlichen Pflichten nicht gehindert werden" ⁹), auch das aktive und
passive Wahlrecht zur Ständekammer ausdrücklich auf die Angehörigen der drei christlichen Bekennt-
nisse beschränkt wurde ¹⁰). Nach der Wiederaufhebung der sog. deutschen Grundrechte, welche in
1) Vgl. auch die M.V. v. 10. Dez. 1890 betr. den Eintritt von Dienstboten ꝛc., R. Bl. S. 309
und Zeller-Huzel S. 312ff.
2) S. v. S. 32 N. 4, insbes. M.V. v. 16. Jan. 1872.
3) S. auch M. V. v. 2. Febr. 1882 § 2, R.Bl. S. 60.
4) Str. G. B. §§ 23—26, M.V. v. 19. Jan. 1872 §§ 6, 9—11, R.Bl. 21; Zeller-Huzel S. 323.
5) Vgl. über den damaligen Rechtszustand Mohl, I S. 358 ff.
6) Vgl. auch R.V. Art. 22 und R.G. v. 12. März 1884, betr. die Stimmzettel für öffentl.
Wahlen. Für Württemberg kommt noch hinzu das A.G. z. R. Str. G. v. 27. Juni 1874, welches
in Art. 1—3 das Plakatwesen regelt. Litt.: Hänel I 661 ff., G. Meyer, Verw.R. I § 54, Liszt,
Das D. R.Preß R. 1880, Jolly in Stengel's Wörterb. II, S. 300 ff.
7) Vgl. auch die M. V. v. 20. Febr. 1850 und die K. Resolution v. 30. Dez. 1817/2. Jan. 1818.
Es handelt sich hier um eine fiskalische Abgabe, vgl. auch § 17 cit. mit §§ 13 u. 14; die Nicht-
ablieferung ist Ungehorsam, aber keine Uebertretung im Sinne des § 1 des Str.G.B. und des § 453
Abs. 1 der Str. Pr.O.
8) Die letzte Ungleichheit — bezüglich der Erziehung der Kinder aus gemischten Ehen —
wurde durch die Bekanntm. vom 14. März 1817 beseitigt; (s. Einl. S. 8 N. 5).
9) S. Mohl, LS. 372ff.
10) Durch das Ges. vom 25. April 1828 über die öffentl. Verhältnisse der Israeliten wurden